Sie führen einen Betrieb mit 350 Mitarbeitern, stehen einem kleinen Handwerksbetrieb vor oder sind ihr eigener Chef: Unternehmerinnen und Unternehmer mit Migrationshintergrund gehören auch im Westerwald längst zum wirtschaftlichen Alltag – auch wenn dies vielen verborgen bleibt. Wie stark ihr Beitrag zur heimischen Wirtschaftskraft ist, wie wichtig sie als Arbeitgeber in der Region sind – das wurde beim Auftakt einer Veranstaltungsreihe des SPD-Ortsvereins Ahrbach-Stelzenbach in Heiligenroth deutlich, in der die Genossen mit Unternehmern und Arbeitskräften mit Migrationshintergrund ins Gespräch kommen wollen.
„Wir wollen diese Unternehmen sichtbarer machen“, gab Moderator und Vorstandsmitglied Uli Schmidt das Motto des Austauschs auf Fachebene vor. Prominente Unterstützung aus den eigenen Parteireihen erhielt der Ortsverein dabei von Denis Alt, Staatssekretär im Mainzer Arbeits- und Sozialministerium, sowie der heimischen Bundestagsabgeordneten Tanja Machalet. „Wir müssen attraktiv sein für Leute, die etwas leisten wollen“, sagte Alt nicht nur mit Blick auf die sechs Unternehmer in der Runde, die längst ihren Mann oder ihre Frau stehen. Zu oft reduziere die Gesellschaft Menschen mit Migrationshintergrund auf die Themen Leistungsrecht und Ansprüche gegenüber dem Staat. „Hier geben Menschen Arbeit für die Region, sind unverzichtbar geworden“, so der Staatssekretär. Machalet ergänzte, dass der gerade geschlossene Koalitionsvertrag einen Schwerpunkt auf Integration von Menschen mit ausländischen Wurzeln setze. „Können diejenigen, die hier arbeiten, damit rechnen, dass sie dauerhaft hier arbeiten dürfen?“, fragte die Parlamentarierin auch vor dem Hintergrund jüngst erfolgter Abschiebungen.
Unterschiedliche Blickwinkel
Aber wie sehen es die Menschen, die längst ihren Weg gemacht haben? Wie Kazim Eryilmaz, Geschäftsführer der Picco Bello GmbH und gemeinsam mit Betriebsleiter Angelo de Meo Gastgeber des Austauschs in Heiligenroth. Der Chef von 350 Mitarbeitern, rund jeder zweite davon selbst mit Migrationshintergrund, erinnert an die Zeit, als sein Großvater aus der Türkei nach Deutschland gekommen und zu keinem Zeitpunkt, ebenso wie sein Vater, arbeitslos war. „Ich wünsche mir die Zeit zurück, dass die Menschen, die hier arbeiten wollen, in Zügen zu uns kommen. Wir könnten mehr Umsatz machen, wenn mehr Personal da wäre“, spürt auch der Chef des im Bereich Gebäudedienstleistungen tätigen Unternehmens den Fachkräftemangel. Auch Bürokratie und behördliche Fesseln führte Eryilmaz ins Feld. So sei einer seiner besten Mitarbeiter ein Afghane, der seit acht Jahren im Status der Duldung immer in der Angst lebe, abgeschoben zu werden. Staatssekretär Alt sagte dem Firmenchef zu, den Fall zu prüfen.
Einen etwas anderen Blickwinkel nahm Rami Ismael ein. Der promovierte Chemiker syrischer Abstammung, Geschäftsführer der Aralon Color GmbH in Heiligenroth, die mit 15 Mitarbeitern unter anderem Tageslichtpigmente herstellt, warnte Deutschland davor, seine „Integrationskapazität“ aus dem Auge zu verlieren. Unerlässlich nannte er es, dass jeder, der einreist, per Foto und Fingerabdruck erfasst wird. „Geschieht das nicht, entstehen hausgemachte Probleme“, so seine Überzeugung. Als nicht nachvollziehbar bezeichnete er es, dass in Schweden 75 Prozent der eingereisten Ausländer in Arbeit seien, in Deutschland nur 30 Prozent.
Wie aus einem 0:1 ein 2:1 wird
Sechs Beschäftigte, darunter drei Auszubildende, hat Ayhan Karagöz angestellt, Geschäftsführer der gleichnamigen Elektrotechnikfirma in Bad Ems und Horbach. Er berichtete von seinen beruflichen Anfängen als Firmengründer mit einem Seat Ibiza ohne Rückbank. Auch wenn er bis heute davon ausgeht, dass sein Nachname für ihn erst einmal einen Wettbewerbsnachteil bedeutet, setzt er auf die Leistungsfähigkeit seines Betriebs. „Ich sage meinen Mitarbeitern immer, dass wir erst einmal mit 0:1 gegen eine Firma Müller oder Schmidt zurückliegen, wir aber durch unsere Arbeit 2:1 in Führung gehen.“
Auch Gülcan Rückert, Mitinhaberin des gleichnamigen Hotels und Restaurants in Nistertal und Kreisvorsitzende des Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga), musste in ihren gastronomischen Anfängen mit Schwierigkeiten zurechtkommen. „Man hat mir das nicht zugetraut“, blickt sie zurück. Eine Fehleinschätzung, wie sich herausstellen sollte. Auch wenn ihre klare Positionierung gegen rechtsextremes Gedankengut dafür gesorgt habe, dass „gewisse Gäste“ inzwischen nicht mehr kommen würden. „Wichtig ist, wie du aufwächst“, so ihre Überzeugung. Ihre türkischen Eltern hätten damals mit den Kindern Weihnachten und Ostern gefeiert, weil das in Deutschland so Brauch ist. „Migrationshintergrund – eigentlich kenne ich das gar nicht“, stellte sie klar. Auch die Noch-Gastronomin, die mit ihrem Mann zur Jahresmitte einen Umbau der Räumlichkeiten in ein Mehrgenerationenhaus mit integrierter Tagespflege plant, sorgt sich um den Fachkräftemangel. „Das A und O im Service ist die deutsche Sprache, und das macht die Suche nach Personal so schwierig“, berichtete sie. Dabei müsse sich jeder klar sein, dass ohne Gastronomie auch die Touristen ausbleiben.
Rückkehr nicht ausgeschlossen
Als „Solounternehmer“ ist inzwischen Sami Murati mit seiner Niederelberter Trockenbaufirma unterwegs. Auch der Kosovare ist in Sorge wegen zunehmender ausländerfeindlicher Tendenzen in der Gesellschaft. „Die Überlegung zurückzukehren, wenn die rechten Umtriebe hier stärker werden, ist schon vorhanden“, gab er unumwunden zu – brachte aber gleichzeitig auch ein Dilemma zur Sprache. „Wenn ich in den Kosovo zurückkomme, bin ich ein Ausländer in meinem Land.“
Geschäftsführer des IT-Dienstleisters B.it-Solutions in Heiligenroth ist Gökhan Cirag, der es trotz „schwieriger Schulzeit“ geschafft hat, ein Unternehmen mit derzeit zehn Mitarbeitern auf die Beine zu stellen, und weiterhin auf Expansion setzt. Was ihm, wie vielen seiner Unternehmerkollegen, Probleme bereitet, sind bürokratische Hemmnisse und Verwaltungsvorschriften. „Hier dürfen wir die Sinnhaftigkeit nicht aus dem Auge verlieren“, so Cirag.
SPD will die Reihe fortsetzen
Die Reihe mit dem Blick in die heimische Wirtschaft mit Schwerpunkt Migrationshintergrund will der SPD-Ortsverein Ahrbach-Stelzenbach in diesem, eventuell auch im nächsten Jahr fortsetzen. Das berichtete Vorstandsmitglied Uli Schmidt am Ende des ersten Austauschs. In einer zweiten Runde sollen Beschäftigte mit ausländischen Wurzeln oder Geflüchtete in einer Ausbildung zu Wort kommen. Auch sollen danach einige beispielhafte Betriebe besucht werden. Unternehmen und Beschäftigte, die sich einbringen wollen, können sich gerne melden unter uli@kleinkunst-mons-tabor.de. kra