Zu allem Überfluss ist da auch noch seine verflixt gut gelaunte Chefin Sabine, die ihn mit Argusaugen überwacht, weil er kürzlich unerlaubt Wunschzettel mit Rotstift korrigiert und allzu verwegene Geschenkewünsche auf seine eigene pädagogische Weise abgeschmettert hat. Eines Tages fällt ihm ein Brief zu, der anders ist.
Der zehnjährige Ben braucht nämlich Hilfe, und die erbittet er sicherheitshalber von der obersten Instanz – dem lieben Gott. Ohne es wirklich zu wollen, schlüpft Walter in die Rolle des Allmächtigen. Der Beginn einer ganz besonderen Beziehung …
Was für ein unfassbares Glück, dass Andreas Izquierdo nach langem schriftstellerischem „Warten“ schließlich doch die Bekanntschaft seiner beiden Figuren Walter und Ben gemacht hat. Andernfalls wäre der Roman „Kein guter Mann“ und damit die bezaubernde Geschichte rund um den brummeligen Postboten und seinen kleinen Schützling nie entstanden – und die Westerwälder Bücherfreunde wären nun um ein wunderbares literarisches Erlebnis ärmer.
So aber wurde der Lesungsabend mit dem vielfach preisgekrönten Bestsellerautor zu einem Genuss, der auch ein paar Abschiedstränchen mit im Gepäck hatte. Denn der Schauplatz der Begegnung mit Andreas Izquierdo, die urgemütliche Galerie des Buchhändlerpaares Annette und Thomas Pagel, wird wegen des Verkaufs des Hauses zum Ende des Jahres geschlossen. Mitarbeiterin Keshia Binder-Theis, die den Traditionsbuchladen einmal übernehmen wird, konnte ihre Rührung über diese Umstände bei der Begrüßung nicht verbergen, wünschte den Besuchern aber mit Freude einen schönen Abend.
Und den hatten sie in doppelter Hinsicht. Zum einen gelang es Andreas Izquierdo meisterhaft, den schroff-schrulligen Postboten Walter zum „Helden der Herzen“ zu machen, denn bald war jedem klar, dass dieser im Stillen alles andere als „kein guter Mann“ ist. Einfach köstlich, wie sich Walter mit unterdrückter Wut in den skurrilen Tagesablauf der weihnachtlich überdekorierten „Abteilung für unzustellbare Briefe“ im bergischen Engelskirchen einfügt (samt blond-blauäugigem Christkind) und zur Erleichterung des mitleidenden Publikums endlich Bens tadellos formulierten Hilferuf erhält.
Die vorsichtige Kontaktaufnahme zu Ben, die Metamorphose von „Walter“ zu „Gott“, der anschließende Briefwechsel (zunächst handschriftlich, dann per Mail), all das schilderte Andreas Izquierdo in seinem einzigartigen, von Menschenkenntnis und feiner Beobachtungsgabe geprägten Stil. Zum anderen las der Autor einfach begnadet vor – man könnte es bei so viel literarischem Himmelsbezug auch „göttlich“ nennen. Es gab mit Sicherheit nicht wenige Besucher, die sich Andreas Izquierdo am liebsten als „lebendiges Hörbuch“ mit nach Hause genommen hätten, ganz abgesehen davon, dass er bestimmt auch ein toller Kumpel wäre.
Große Erzählkunst ging an diesem Abend also einher mit dem Adieu, das nach der Fragestunde mit dem Publikum immer näher rückte. Das letzte Wort gehörte deshalb dem sehr ergriffenen Thomas Pagel, der den Besuchern auch im Namen seiner Frau für die Treue dankte und ein Lob aussprach. Es sei längst nicht mehr selbstverständlich, dass im Rahmen einer Veranstaltung für ein paar Stunden einfach nur zugehört würde, ohne „Event“ und „Gedöns“. „Ich blicke auf all diese Jahre sehr gerne zurück“, schloss der Bücherprofi. Dieses Finale in der Galerie der „Hähnelschen Buchhandlung“ war nicht nur eine Verneigung vor der nostalgischen Kunst des Briefeschreibens, sondern auch vor allen Menschen, die der Literatur einen Platz in ihrem Leben einräumen.