Erwin Schwarz ist Wanderschäfer mit Leib und Seele. Seine Herde mit 700 Tieren führt er derzeit zusammen mit seinem Schäfergesellen Nick Brickmann durch den Westerwald, im Sommer beweiden seine Schafe seit Jahren den ehemaligen Truppenübungsplatz Daaden am Stegskopf. Doch für die Zukunft der Wanderschäferei, ja, der Weidetierhaltung insgesamt im Westerwald sieht der Schäfer schwarz.
Tagsüber sind die beiden Männer und ihre vier Hütehunde mit der Herde unterwegs. Von Weide zu Weide, über Feld- und Waldwege, Landstraßen und durch Ortschaften führen sie die Tiere auf Routen, die Erwin Schwarz noch von seinem Vater und Großvater kennt, mit denen er schon als kleiner Bub unterwegs war. Zur Nacht werden die Tiere eingezäunt, die Schäfer fahren nach Hause, auf Schwarz′ Hof in Schönborn im Rhein-Lahn-Kreis.
„Wenn er das einmal geschafft hat, tut er es wieder.“
Wanderschäfer Erwin Schwarz ist überzeugt, dass ein Wolf, der einmal einen Zaun überwunden hat, immer wieder in geschützte Weiden eindringt.
„Ein 90 Zentimeter hohes Elektronetz, das ist laut dem Kluwo wolfsabweisend“, beruft sich der Schäfer auf das Koordinationszentrum Luchs und Wolf. Doch „1896“, wie Schwarz im Gespräch die Kennung des Wolfsrüden GW1896m aus dem Leuscheider Wolfsrudel abkürzt, sei schon über Zäune gesprungen, um Weidetiere zu reißen: „Wenn er das einmal geschafft hat, tut er es wieder“, ist der Schäfer überzeugt. Er selbst hatte auch schon eine Begegnung mit einem Wolf – und zwar am helllichten Tag, „dabei reden die Experten immer davon, dass Wölfe nur nachts auftauchen“, schüttelt Schwarz den Kopf.
Es war der erste dokumentierte Wolfsangriff bei Tag in Rheinland-Pfalz, so Schwarz. Der Beutegreifer – wie die DNA zeigte, war es ein Tier aus dem sächsischen Hohwaldrudel – hatte sich im April der Herde genähert, ohne dass die im Wagen befindlichen Hütehunde angeschlagen hätten. Der Schäfer weiß bis heute nicht, ob sie den Wolf nicht gewittert oder als Gefahr identifiziert haben, oder warum sie sonst nicht bellten.

Der Schäfer selbst hat den Wolf erst bemerkt, als die Herde von ihm wegdrängte. Die Anwesenheit der Hunde und auch des Schäfers, der laut schrie, sobald er den Räuber entdeckte, habe das Wildtier nicht gekümmert. Es verletzte zwei größere Lämmer, ehe Schwarz es bemerkte, und ließ sich erst in die Flucht schlagen, als der Schäfer mit dem Auto auf ihn zuraste.
Der (rechtlich betrachtet) wolfsabweisende Zaun, den Schwarz nachts um seine Herde aufstellt, ist seiner Einschätzung nach zumindest für Problemwölfe – also solche, die bereits Zäune überwunden und Weidetiere gerissen haben – kein Hindernis. „Der Zaun sichert meine Tiere gegen die Wölfe ab, die sich davon abhalten lassen. Und er sorgt dafür, dass ich bei Rissen entschädigt werde“, sagt der erfahrene Wanderschäfer, der die Arbeit des Kluwo sehr schätzt.
„Wir versorgen unsere Tiere, päppeln jedes Lämmchen hoch – doch nicht dafür, dass sie dann qualvoll sterben.“
Schäfer Erwin Schwarz
Die Entschädigung ist aber nicht seine Priorität: „Wir versorgen unsere Tiere, päppeln jedes Lämmchen hoch – doch nicht dafür, dass sie dann qualvoll sterben“, macht er deutlich. Zwar lasse er Schafe schlachten, schließlich stehe in seinem Beruf die Lebensmittelerzeugung als zentrale Aufgabe neben der Landschaftspflege. Doch bei der Schlachtung gehe es wie bei der Aufzucht und Begleitung der Schafe ums Tierwohl, betont Schwarz. Er fahre seine Schafe zu einem erfahrenen Schlachter, dazu benutze er den Anhänger, in dem die Tiere auch sonst transportiert werden, der nach Schafen ihrer Herde riecht, sodass die Fahrt ihnen keinen Stress verursache.
Der Wanderschäfer wünscht sich von der Politik eine Lösung für Problemwölfe, die den Tierhaltern nicht nur eine finanzielle Entschädigung, sondern größtmögliche Sicherheit für ihre Herden gewährt. Das Kluwo biete Schulungen an, auch für Halter kleinerer Bestände: „Wir machen uns Arbeit“, bekräftigt Schwarz. Doch ist es seiner Einschätzung nach mit wolfsabweisenden Zäunen nicht getan. „Es braucht schnell die Abschussgenehmigung für Problemwölfe“, macht er die Dringlichkeit deutlich: „Ein Wolf, der einmal über den Zaun gegangen ist, überwindet den Herdenschutz immer wieder – außer den aus Blei.“

Dass die Naturschutzinitiative (NI) mit ihrer Klage gegen die Abschusserlaubnis für GW1896m Erfolg hatte, überrascht Schwarz zwar nicht – Verständnis hat er für die Umweltorganisation aber wenig. Die NI unterstelle Haltern mit Wolfsrissen, sie hätten keinen entsprechenden Wolfsschutz gehabt, dabei hätten die Zäune den Kluwo-Vorgaben entsprochen, hält Schwarz dagegen. „Das ist eine Verhöhnung der Tierhalter“, ärgert sich Schwarz: „Wir müssen schutzlos zusehen, wie der Wolf weiter reißt.“ Zudem funktioniere das „Entnahmesystem“ nicht, weil jederzeit jemand klagen könne – wie eben die NI.
„Da wird auch von der NI immer nur auf die einzelne Art geschaut, nicht auf das ganze Gefüge“, kritisiert er. Wenn die Weidetierhalter aufgäben, sei die Landschaftspflege durch Schafe und Ziegen passé – und damit der Erhalt ganzer Biotoptypen, hebt er hervor. Das würde insbesondere den Stegskopf betreffen: Das Gelände dort kann wegen möglicher Munitionsbelastung nicht mit normalen Maschinen bearbeitet werden – und eine sprengsichere Aufrüstung wäre enorm teuer.
Ohnehin sei aber selbst bei einer Entnahmeerlaubnis, also Abschussgenehmigung, für einen Wolf nur ein Radius von 1000 Metern um den Ort des Risses abgedeckt, moniert Schwarz. Bei den Strecken, die seine Herde gerade im Winter zurücklegt – das können auch mal fünf Kilometer am Tag sein – und nicht zuletzt mit Blick auf den Bewegungsradius eines Wolfs, sei diese Zahl unsinnig.
„Die Entnahme einzelner Problemwölfe ist ein erster Schritt, dazu muss aber ein aktives Management der Stückzahlen kommen.“
Erwin Schwarz appelliert an die Politik.
Darüber hinaus, auch daran lässt Schwarz keinen Zweifel, müsse sich die Politik seiner Ansicht nach mit der Frage eines umfassenden Wolfsmanagements befassen: „Die Entnahme einzelner Problemwölfe ist ein erster Schritt, dazu muss aber ein aktives Management der Stückzahlen kommen.“ Während momentan der Abschuss einzelner Tiere noch genügen könne, um die Herdensicherheit weitgehend zu gewährleisten, nehme die Größe der Wolfsrudel ständig zu, was auch die Wahrscheinlichkeit von Weidetierrissen wachsen lasse.
Zudem gibt es nach Schwarz′ Ansicht bereits jetzt viel mehr Wölfe, als geschätzt wird. Er selbst wisse von Jägern, die Wolfssichtungen in ihren Revieren nicht melden, deswegen funktioniere derzeit die Strategie nicht. „Wenn die Politik keine Entscheidung trifft, kann die Weidetierhaltung nicht weiter bestehen“, ist Schwarz′ Meinung. „Und wer soll dann das Gras noch fressen?“ Umgekehrt habe er von Kollegen in Bundesländern, in denen einzelne Wölfe geschossen wurden, gehört, dass die verbleibenden Räuber dann vorsichtiger geworden seien und sich Herden nicht mehr näherten.
Nur Wolfsmanagement kann Weidetierhaltung dauerhaft ermöglichen
Das 90 Zentimeter hohe Elektronetz, das laut Kluwo den Wolf von Herden fernhält, ist für Schwarz schon seit jeher der Standardschutz seiner Herde. Aber „1896“ hat gelernt, den Kluwo-Zaun zu überwinden, sagt der Schäfer. Viel höhere Zäune könnten er und sein Geselle aber nicht jeden Abend auf- und morgens wieder abbauen. Zudem, gibt der Nachwuchsschäfer zu bedenken, seien höhere Netze deutlich windanfälliger und auch Schnee könne sie leichter umdrücken. Dann wäre jeglicher Schutz dahin.
Auch mancher Jäger würde sich eine Stückzahlregulierung wünschen, gibt Erwin Schwarz wieder, was er im Gespräch gehört hat. Ein „Wolfsmanagement mit schneller, unkomplizierter Entnahme von Problemwölfen“ ist für den Wanderschäfer der einzig gangbare Weg, der den Weidetierhaltern die Fortsetzung ihrer Tätigkeit ermöglicht.