Besonders tragisch: Eigentlich wollten die beiden Zehnjährigen aus Güls, die bei dem Unglück ums Leben kamen, gar nicht an dem Wettbewerb teilnehmen, mit dem die Pfadfindergruppe ins Guinness-Buch der Rekorde kommen wollte.
Das wissen Ernst und Christiana Bienotsch, deren Sohn Dennis starb, aus den Erzählungen der anderen Kinder und der Betreuer. Dann aber entschlossen sich Dennis und sein Freund Guido doch noch, auf den Platz hochzugehen.
Denn alle Gülser waren dort, da wollten sie nicht fehlen. „Sie haben sich ganz vorn eingereiht“, berichtet Christiana Bienotsch im Gespräch mit der RZ. Das wurde den Jungen zum tödlichen Verhängnis.
Koblenz. Als Dennis an Pfingsten 1995 ins Pfadfinder-Zeltlager nach Westernohe fahren wollte, da war seine Mutter eigentlich gar nicht richtig einverstanden. Erst ein paar Tage vorher war er von einer Klassenfahrt nach Nevers zurückgekommen.Eltern berichten von ihrem Leben nach Unfall im Zeltlager: Nach Dennis’ Tod war nichts mehr wie vorher
Rund 600 Kinder und Betreuer sind an diesem Pfingstsonntagmorgen 1995 auf dem Gelände in Westernohe zu der Aktion versammelt. Sie stellen sich an den langen, steinigen Wegen auf, ziehen dann auf Kommando fest an dem etwa daumendicken Nylonseil.
Nur etwa 30 Sekunden hält das der Belastung stand, berichten Augenzeugen damals den Reportern unserer Zeitung. Dann reißt es, und die Enden schnellen in die Menge. Die Kinder, die ganz vorn stehen, trifft es am schlimmsten.
Guido Heinrich stirbt noch an der Unglücksstelle an seinen schweren Verletzungen an Gesicht und Brust. Sein Freund Dennis Bienotsch stürzt auf den Hinterkopf, andere Kinder fallen auf ihn. Einen Tag später stirbt auch er.
Selbst ausgebildeter Krankenpfleger und damals aktiver Rotkreuzler, wäre es mir beim Tauzieh-Unglück viel lieber gewesen, als Sanitäter zu helfen, aber nicht als Journalist das dramatische Geschehen zu dokumentieren.Kommentar zum Einsatz beim Unglück in Westernohe: Als Journalist in schwieriger Rolle
Weder die Rotkreuzler aus Rennerod, die bei dem riesigen Lager ständig vor Ort waren, noch Notarzt Dr. Christoph Lerchen und sein Team vom Rettungshubschrauber der Bundeswehr aus Koblenz, der nach kurzer Zeit am Einsatzort eintraf, konnten den beiden Schwerverletzten helfen.
Helfen konnten sie und jede Menge weiterer Einsatzkräfte aber der großen Zahl weiterer schwer und leicht Verletzten. „Wohl niemand, der dabei war, wird das Unglück je vergessen“, ist sich Giesbert Wiethoff, damals DRK-Kreisbereitschaftsführer im Westerwald sicher.
Und es zog auch juristische Auseinandersetzungen nach sich: Zwei der Betreuer standen vor dem Amtsgericht Westerburg. Die Eltern der getöteten Kinder traten als Nebenkläger auf. „Wir wollten einfach wissen, wie es dazu kommen konnte“, sagt Ernst Bienotsch.
Zufrieden sind die Eltern mit den Geldstrafen für zwei der Betreuer nicht. Denn sie haben den Eindruck, dass diese auf ihre Kinder nicht gut aufgepasst haben. Das Seil war viel zu dünn, das Gelände mit seinen steinigen, unebenen Wegen überhaupt nicht geeignet, argumentieren die Bienotschs.
Zumal es einige Jahre zuvor auch in der Schweiz schon einen Unfall bei einem Tauziehwettbewerb gegeben hatte, bei dem ebenfalls das Seil riss und ein Kind starb.
Westerwaldkreis. Auch die Rettungskräfte haben 25 Jahre nach dem schlimmen Tauziehunglück von Westernohe die Ereignisse nicht vergessen. Nein, sie erinnern sich sogar noch an die Details – und werden das schreckliche Geschehen, bei dem die beiden Koblenzer Kinder ums Leben kamen und viele junge ...Notfallseelsorge gab es noch nicht: Helfer werden diesen Einsatz nie vergessen
Das Unglück in Westernohe hat sich gerade zum 25. Mal gejährt. Am Jahrestag haben sich nun Vertreter der St.-Georgs-Pfadfinder auf dem Zeltplatz getroffen. Hier ist eine neue Gedenkstelle errichtet worden, die an das Unglück vom Juni 1995 erinnert.
Coronabedingt konnte keine größere Gedenkfeier stattfinden. Diese soll im kommenden Jahr nachgeholt werden. Franz Böhler, Bezirkskurat der Deutschen Pfadfinderschaft St. Georg (DPSG) Koblenz, sagt: „Keiner hat damals daran gedacht, dass ein solcher Unfall passieren könnte.“
Viele hätten ein Trauma erlitten, nicht nur die betroffenen Kinder und Jugendlichen selbst, sondern auch ihre Familien. Die meisten Betreuer seien völlig überfordert gewesen mit der Situation. Notfallpläne und -seelsorge, wie man sie heute kennt, waren damals noch völlig unbekannt, sagt Böhler.
Das habe sich aber seitdem grundlegend geändert: „Es gibt heute keine Ausbildung zur Erlebnis- und Abenteuerpädagogik mehr, bei der Westernohe kein Thema ist.“