Im Zeltlager im Westerwald starben Dennis und Guido aus Güls - Warum so viele Kinder aus unserer Region verletzt wurden
Vor 25 Jahren im Westerwaldkreis: Gerissenes Seil tötet zwei Jungs aus Koblenz
Die Gedenkstelle am Zeltlager in Westernohe ist neu gestaltet worden. Jedes Jahr zum Jahrestag des Unglücks treffen sich viele Pfadfinder, aber auch Betroffene und Angehörige hier auf dem Platz. In diesem Jahr gab es Corona-bedingt nur kleine Gedenkfeiern. Foto: Röder-Moldenhauer
Röder-Moldenhauer

Koblenz/Westernohe. Es sollte ein großer Spaß, ein lustiger Wettbewerb werden. Doch stattdessen wurde der Pfingstsonntag vor 25 Jahren zu einem schrecklichen Unglückstag: Beim Tauziehen mit rund 600 Kindern und Jugendlichen im Zeltlager in Westernohe (Westerwaldkreis) riss das Seil und peitschte in die Menge. Zwei Jungen aus Koblenz starben. Mehr als 100 Menschen wurden teilweise schwer verletzt.

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Die Gedenkstelle am Zeltlager in Westernohe ist neu gestaltet worden. Jedes Jahr zum Jahrestag des Unglücks treffen sich viele Pfadfinder, aber auch Betroffene und Angehörige hier auf dem Platz. In diesem Jahr gab es Corona-bedingt nur kleine Gedenkfeiern. Foto: Röder-Moldenhauer
Röder-Moldenhauer

Besonders tragisch: Eigentlich wollten die beiden Zehnjährigen aus Güls, die bei dem Unglück ums Leben kamen, gar nicht an dem Wettbewerb teilnehmen, mit dem die Pfadfindergruppe ins Guinness-Buch der Rekorde kommen wollte.

Das wissen Ernst und Christiana Bienotsch, deren Sohn Dennis starb, aus den Erzählungen der anderen Kinder und der Betreuer. Dann aber entschlossen sich Dennis und sein Freund Guido doch noch, auf den Platz hochzugehen.

Denn alle Gülser waren dort, da wollten sie nicht fehlen. „Sie haben sich ganz vorn eingereiht“, berichtet Christiana Bienotsch im Gespräch mit der RZ. Das wurde den Jungen zum tödlichen Verhängnis.

Rund 600 Kinder und Betreuer sind an diesem Pfingstsonntagmorgen 1995 auf dem Gelände in Westernohe zu der Aktion versammelt. Sie stellen sich an den langen, steinigen Wegen auf, ziehen dann auf Kommando fest an dem etwa daumendicken Nylonseil.

Nur etwa 30 Sekunden hält das der Belastung stand, berichten Augenzeugen damals den Reportern unserer Zeitung. Dann reißt es, und die Enden schnellen in die Menge. Die Kinder, die ganz vorn stehen, trifft es am schlimmsten.

Guido Heinrich stirbt noch an der Unglücksstelle an seinen schweren Verletzungen an Gesicht und Brust. Sein Freund Dennis Bienotsch stürzt auf den Hinterkopf, andere Kinder fallen auf ihn. Einen Tag später stirbt auch er.

Weder die Rotkreuzler aus Rennerod, die bei dem riesigen Lager ständig vor Ort waren, noch Notarzt Dr. Christoph Lerchen und sein Team vom Rettungshubschrauber der Bundeswehr aus Koblenz, der nach kurzer Zeit am Einsatzort eintraf, konnten den beiden Schwerverletzten helfen.

Helfen konnten sie und jede Menge weiterer Einsatzkräfte aber der großen Zahl weiterer schwer und leicht Verletzten. „Wohl niemand, der dabei war, wird das Unglück je vergessen“, ist sich Giesbert Wiethoff, damals DRK-Kreisbereitschaftsführer im Westerwald sicher.

Und es zog auch juristische Auseinandersetzungen nach sich: Zwei der Betreuer standen vor dem Amtsgericht Westerburg. Die Eltern der getöteten Kinder traten als Nebenkläger auf. „Wir wollten einfach wissen, wie es dazu kommen konnte“, sagt Ernst Bienotsch.

Zufrieden sind die Eltern mit den Geldstrafen für zwei der Betreuer nicht. Denn sie haben den Eindruck, dass diese auf ihre Kinder nicht gut aufgepasst haben. Das Seil war viel zu dünn, das Gelände mit seinen steinigen, unebenen Wegen überhaupt nicht geeignet, argumentieren die Bienotschs.

Zumal es einige Jahre zuvor auch in der Schweiz schon einen Unfall bei einem Tauziehwettbewerb gegeben hatte, bei dem ebenfalls das Seil riss und ein Kind starb.

Das Unglück in Westernohe hat sich gerade zum 25. Mal gejährt. Am Jahrestag haben sich nun Vertreter der St.-Georgs-Pfadfinder auf dem Zeltplatz getroffen. Hier ist eine neue Gedenkstelle errichtet worden, die an das Unglück vom Juni 1995 erinnert.

Coronabedingt konnte keine größere Gedenkfeier stattfinden. Diese soll im kommenden Jahr nachgeholt werden. Franz Böhler, Bezirkskurat der Deutschen Pfadfinderschaft St. Georg (DPSG) Koblenz, sagt: „Keiner hat damals daran gedacht, dass ein solcher Unfall passieren könnte.“

Viele hätten ein Trauma erlitten, nicht nur die betroffenen Kinder und Jugendlichen selbst, sondern auch ihre Familien. Die meisten Betreuer seien völlig überfordert gewesen mit der Situation. Notfallpläne und -seelsorge, wie man sie heute kennt, waren damals noch völlig unbekannt, sagt Böhler.

Das habe sich aber seitdem grundlegend geändert: „Es gibt heute keine Ausbildung zur Erlebnis- und Abenteuerpädagogik mehr, bei der Westernohe kein Thema ist.“

Von unseren Redakteuren Doris Schneider und Markus Müller

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