Besonderer Klangraum
Tiefgründiges Klavierkonzert begeistert in Marienstatt
Philipp Vandré erwies sich als würdiger Interpret von Hans Ottes "Buch der Klänge".
Röder-Moldenhauer

Im Klang der Klänge das Geheimnis des Lebens suchen – auf diese ungewöhnliche Reise konnten sich an Pfingsten Besucher eines Klavierkonzerts in Marienstatt begeben. 

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Es war ein besonderer Klangraum, den Philipp Vandré am Pfingstmontag in der Annakapelle des Gymnasiums Marienstatt entfaltete. Frater Gregor Brandt hatte den Nachmittag als „außergewöhnliches Konzert“ angekündigt und die Zuhörer eingeladen, sich auf die Suche nach dem „Klang der Klänge“ zu begeben.

Im Mittelpunkt stand Hans Ottes „Buch der Klänge“ — ein Werk, das zu den bemerkenswertesten Schöpfungen der zeitgenössischen Klaviermusik zählt. Entstanden zwischen 1979 und 1982, begleitet von intensiver klanglicher Recherche, ist es zugleich eine Rückkehr zu den eigenen Wurzeln und ein meditativ-offenes Klangbuch. „Komponieren ist mein Leben“, sagte Otte einst. Der 1926 geborene Komponist, Pianist und Klangforscher — von 1959 bis 1984 Leiter der Musikabteilung von Radio Bremen — verband in seinem Werk westliche Avantgarde, östliche Spiritualität und die leise Kunst der Reduktion.

Klare Strukturen und Unmittelbarkeit

Philipp Vandré erwies sich als idealer Interpret dieser Musik seines „verehrten Lehrers“. Mit großer Präsenz und zugleich stiller Hingabe ließ er die zwölf Sätze fließen, atmen, sich entfalten. Dabei wirkte er selbst beinahe eins mit dem Instrument; vieles spielte er auswendig, was der Aufführung eine besondere Unmittelbarkeit verlieh.

Schon die ersten Töne offenbarten Ottes poetisches Konzept: Klang ist — nicht Ereignis, sondern Sein im Raum. Keine vordergründige Virtuosität, kein klassisches Entwickeln im Sinne von Steigerung oder dramatischem Höhepunkt. Stattdessen einfache, klare Strukturen: Akkordfolgen, Arpeggien, sanft oszillierende Klangflächen, einzelne melodische Linien. Minimalistisch im weiteren Sinn, dabei weit entfernt von streng rhythmisch-repetitiven Mustern à la Steve Reich. Otte war kein reiner Innovator, sondern ein kluger Synthetiker. Seine Musik kennt die Tradition, spricht manchmal leise mit Chopin, dann wieder mit Bach.

Das Publikum in der Marienstatter Annakapelle begab sich gemeinsam mit Pianist Philipp Vandré auf die Suche nach dem Klang der Klänge, nach dem Geheimnis des Lebens.
Röder-Moldenhauer

Vandré verstand es meisterhaft, diese verborgenen Dialoge hörbar zu machen. Er ließ die Klänge schweben, Töne im Raum stehen, gab Raum für Pausen und das Nachklingen. Immer wieder entstanden klangliche Überraschungen: abruptes Verlangsamen, die fast sphärischen Basstöne, fragiles Spiel mit modaler Harmonik und plötzlicher Chromatik. Zeit schien sich aufzulösen, der Fluss der Musik wurde selbst zum Atem. Vandrés Hände zeichneten Wellenbewegungen nach, die sich unmittelbar auf das Klangbild übertrugen.

Bereits zu Beginn schuf Vandré zudem Klangräume mit vier eigenen Kompositionen, die als „Türöffner“ wirkten. Titel wie „Bevor die Sonne weiß wird“ oder „Bis zum Aussterben der Steine“ ließen anklingen, worum es auch im folgenden Hauptwerk ging: die Suche nach dem Klang hinter den Klängen.

Resonanz ist in den Zuhörern spürbar

Otte hat sein Buch der Klänge jenen gewidmet, „die nahe an den Klängen sein möchten, um so auf der Suche nach dem Klang der Klänge, dem Geheimnis allen Lebens, ihre eigene Resonanz freilegen zu können“. Dieser Satz beschrieb das Erlebnis des Konzertes treffend. Am Ende war die Resonanz spürbar, nicht nur im Raum, sondern in den Zuhörern selbst. red

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