Tagsüber führt sie souverän Verhandlungen mit Kunden und Geschäftspartnern aus ganz Europa und hat Verantwortung für rund 350 Mitarbeiter. Wenn sie schließlich am frühen Abend nach Hause kommt, gehört ihre ganze Aufmerksamkeit ihrem Mann und ihren beiden Töchtern (zwölf und zweieinhalb Jahre alt), dann kontrolliert sie Hausaufgaben, spielt oder unternimmt Ausflüge mit den Kindern. Nachts, wenn alle im Haus schlafen, steht sie bisweilen noch in der Küche und backt Muffins für die Familie. Ohne gute Organisation und Planung geht bei Kerstin Dorn aus Hachenburg, die seit wenigen Monaten neue Geschäftsführerin des Kunststoffverarbeiters Werit in Altenkirchen ist, gar nichts. Doch die 43-Jährige liebt die täglichen Herausforderungen.
Eine Frau an der Spitze eines Industrieunternehmens in der Größenordnung von Werit ist – trotz aller Emanzipation – immer noch eine Seltenheit. Um in solche Positionen zu kommen, müssten Frauen nach wie vor besser sein als ihre männlichen Kollegen, sich stärker behaupten, sagt Dorn, die in München Betriebswirtschaft studiert hat und unter anderem bereits für Birkenstock, Villeroy & Boch sowie Klöckner Pentaplast in führenden Positionen im In- und Ausland tätig war. Wenn man sich jedoch einmal als Frau bewährt habe, habe man bei den Männern zumeist einen Stein im Brett.
„Ohne meine starke Mama geht nichts.“
Kerstin Dorn darüber, wie sie Familie und Beruf gemanagt bekommt.
Im Juli 2023 trat Dorn bei Werit zunächst die Stelle der Kaufmännischen Leiterin an, im Herbst 2024 kam dann der Karrieresprung in die Geschäftsführung. Seither ist sie für alle drei deutschen Standorte des Unternehmens (neben Altenkirchen noch Buchholz und Ottendorf/Landkreis Bautzen) zuständig. Es macht ihr Spaß, in einer produzierenden Firma zu arbeiten und mitzuerleben, wie aus Ideen und Rohstoffen in vielen Prozessen fertige Waren entstehen.

Bevor sie diesen Job angenommen hat, hat sie sich intensiv mit ihrer Familie besprochen, denn nur wenn die mitzieht, kann ein solches Vorhaben gelingen. Eine wichtige Rolle nimmt nach Auskunft von Kerstin Dorn ihre Mutter ein, die sich nachmittags, wenn Kita und Ganztagsschule aus sind, um die Kinder kümmert. „Ohne meine starke Mama geht nichts“, sagt die Werit-Geschäftsführerin dankbar.
„Uns wurde auch beigebracht, dass wir uns am Wochenende über Fußballergebnisse informieren sollten, um montags mitreden zu können.“
Kerstin Dorn über ihre Erfahrungen bei einem Seminar für weibliche Führungskräfte.
Als ihre Karriere vor einigen Jahren Fahrt aufnahm, besuchte sie ein Seminar für weibliche Führungskräfte, bei dem sie vermittelt bekam, wie sie zu sitzen und zu reden habe, um in Meetings von männlichen Kollegen wahrgenommen und respektiert zu werden. „Uns wurde auch beigebracht, dass wir uns am Wochenende über Fußballergebnisse informieren sollten, um montags mitreden zu können“, erzählt Dorn lachend. Anfangs habe sie sich die Tipps sehr zu Herzen genommen und versucht zu beachten, um in Männerdomänen zu gelangen. Heute, nach etlichen Jahren Berufserfahrung, liege es ihr fern, Männer nachahmen zu wollen, um erfolgreich zu sein. Jetzt könne sie wieder ganz Frau sein. Und das genießt sie – trotz der Doppelbelastung als berufstätige Zweifachmama.
Zu Hause wie im Beruf sei es wichtig, delegieren zu können und nicht alles an sich reißen zu wollen. „Allein kann man das nicht schaffen“, sagt Dorn und verweist zugleich auf einen engen und allzeit hilfsbereiten Freundeskreis. Um das Privatleben zu managen, setzt sie sich in der Regel sonntags mit ihrem Mann, der ebenfalls Führungsverantwortung in einem großen Unternehmen hat, zusammen, um die nächste Woche zu besprechen. Ihr Mann hat drei Tage Homeoffice, sie selbst ist zumeist einen Tag pro Woche an einem anderen Werit-Standort als Altenkirchen tätig. Mobiles Arbeiten zu Hause nutzt sie nur in seltenen Fällen, zum Beispiel wenn die Kinder krank sind. Digitale Besprechungen sind inzwischen für weite Teile des Unternehmens möglich.
„Es ist wichtig, seine eigenen Bedürfnisse nicht zu vergessen, sondern klar zu formulieren.“
Kerstin Dorn
Die Eigentümerfamilien von Werit ließen ihr dankenswerterweise bei ihrer Aufgabe freie Hand, sagt sie. Wichtig ist Kerstin Dorn ebenso eine offene und wertschätzende Kommunikation zu den Mitarbeitern und nach außen. Als „Wäller Mädchen“ erfahre sie viel Offenheit und Vertrauen. Gleich zu Beginn ihrer neuen Tätigkeit habe sie sich die Zeit genommen, auch die Produktionsabteilung besser kennenzulernen. „Darüber hinaus steht meine Tür immer allen offen“, betont sie. Unternehmerisch stehen die Zeichen bei Werit aktuell ganz auf Nachhaltigkeit. „Da geben wir in sämtlichen Bereichen richtig Gas“, so Dorn. Bei allen betrieblichen Veränderungen müsse man die Mitarbeiter mitnehmen.

Einen Ausgleich zum stressigen Beruf findet die Geschäftsführerin beim Joggen, das mache den Kopf frei, erklärt sie. Obwohl es nicht immer einfach sei, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen, ziehe sie aus beiden Bereichen Kraft. Erfolgserlebnisse im Job seien ebenso Anlass zur Freude wie schöne, private Ereignisse. Dennoch sei es wichtig, seine eigenen Bedürfnisse nicht zu vergessen, sondern klar zu formulieren. Dorn kennt aber auch das schlechte Gewissen vieler berufstätiger Mütter, wenn diese beispielsweise ihre Kinder morgens weinend in der Kita oder krank bei der Oma abgeben.
„Ich versuche, meinen Töchtern zu vermitteln, dass die Welt keine Gefahr, sondern eine Option ist.“
Kerstin Dorn über ihren Erziehungsstil.
Sie hätten zwar als Familie nicht so viel Zeit miteinander wie andere, aber die verbleibende Zeit sei von hoher Qualität geprägt. Diese Stunden am Tag erlebten sie ganz bewusst. Sie sei stolz auf ihre Töchter, wie verständnisvoll sie mit der intensiven Berufstätigkeit ihrer Mama umgingen. Dorn ist sich sicher, dass sie ihnen damit auch Vorbild ist, irgendwann ihren eigenen Weg mutig und selbstbewusst zu gehen. „Vor allem meine Große stellt mir schon viele Fragen zu meinem Job.“
Die Managerin ist davon überzeugt, dass die Gesellschaft – vor allem angesichts des Fachkräftemangels – auf berufstätige Frauen angewiesen ist. „Wenn wir als Gesamtwirtschaft wieder stärker werden wollen, geht das nur mit Frauen.“ Deshalb hofft sie auch auf viele Bewerbungen weiblicher Personen. „Je mehr Diversifikation mit unterschiedlichen Herangehensweisen wir im Unternehmen in allen Abteilungen haben, desto vorteilhafter ist das für uns.“