Vor wenigen Wochen ist die Saison 2024 der Reihe Treffpunkt Alter Markt mit insgesamt knapp 20.000 Besuchern zu Ende gegangen. Welche Erkenntnisse nehmen Sie aus diesem Konzertsommer mit?
Ich bin beeindruckt, dass wir uns immer wieder noch steigern können. Und ich glaube, so viele Besucher wie in dieser Saison hatten wir insgesamt noch nie. Die Stimmung war einfach klasse. Ich bin von vielen Leuten angesprochen worden, dass es ihnen gefallen hat. Und ich selbst finde es immer sehr schade, wenn die Reihe vorbei ist. Wenn es nach mir ginge, könnte es noch weitergehen. Diese Konzertreihe ist aus verschiedenen Gründen sehr wichtig für Hachenburg.
Was waren vor 25 Jahren Ihre Vorsätze, als Sie als Kulturreferentin in Hachenburg angefangen haben?
Ohne das damals schon konkret zu formulieren, ist das, was mich an Kulturarbeit fasziniert, dass man damit zum einen Bildungsarbeit betreibt und zum anderen, dass man zur Demokratie und zu mehr Toleranz beiträgt. Das fand ich immer schon wichtig und richtig. Damals machte man Kulturarbeit vor allem deshalb, um Veranstaltungen in die Region zu holen – Kulturarbeit als weicher Standortfaktor. Aber ich habe mich nie als Eventmanagerin verstanden, denn das ist Kulturarbeit nicht.
Was ist Kulturarbeit denn stattdessen?
Kultur hat die Aufgabe, Fragen aufzuwerfen, Dinge infrage zu stellen und vielleicht sogar Lösungen anzubieten, den Spiegel vorzuhalten und damit die Menschen in die Lage zu versetzen, (sich) selbst zu hinterfragen und sich eine eigene Meinung zu bilden – abseits von dem, was im Mainstream berichtet wird – und das halt oft auf eine unterhaltsame Art. Gerade deshalb veranstalte ich auch so viel Kabarett. Mein persönliches Anliegen ist es, mit meiner Arbeit einen Beitrag zu Toleranz, Bildung und Demokratie zu leisten.
Was ist aus dem Vorsatz aus der Anfangszeit geworden?
Mehr Realismus, weil ich gemerkt habe, dass man weniger bewirken kann, als ich gehofft hatte. Das wurde mir vor allem in der Coronazeit deutlich: Spaltung der Gesellschaft, Hass und Hetze, wie ich es nie zuvor für möglich gehalten habe. Zugleich habe ich in den 25 Jahren aber auch immer wieder gemerkt, wie wichtig Kulturarbeit ist, wichtiger als je zuvor. Wir alle haben sie nötig. Kulturarbeit muss genauso Aufklärungsarbeit leisten wie Schulen. Schon Kinder sollten lernen, Dinge kritisch zu hinterfragen, nicht alles hinzunehmen, sich eine eigene Meinung zu bilden. Dazu bieten wir beispielsweise das Figurentheaterfestival an. Mein Anspruch an Kulturarbeit ist immer noch der gleiche wie vor 25 Jahren, aber jetzt formuliere ich ihn klar und deutlich.
Erinnern Sie sich noch an Ihren ersten Eindruck von Hachenburg?
An meinen ersten Besuch habe ich eine witzige Erinnerung: Auf meine Frage an einen Passanten, wo es denn zur Verbandsgemeinde gehe, bekam ich zur Antwort, dass ich mich an der Ampel links halten müsse. Als ich nachfragte, welche Ampel gemeint sei, hieß es: „Es gibt nur eine Ampel.“ Das war für mich so unvorstellbar. Hachenburg ist halt klein, und ich hatte keine Vorstellung von der Stadt. Dennoch hat man der Stelle eines Kulturreferenten, die damals in der ZEIT ausgeschrieben war, einen ganz hohen Stellenwert beigemessen. Das fand ich beachtlich.
Über den Auftritt welches Künstlers haben Sie sich besonders gefreut?
Herausragend fand ich René Sydow. Er war erst kürzlich hier zu Gast. Und was mich daran am meisten gefreut hat, war, dass er bei unserem Künstlerranking durch das Publikum, der Wahl des Sonnenkönigs, so unfassbar gut abgeschnitten hat. Da war ich richtig stolz auf unser Publikum. Sein Programm war nicht einfach nur Spaß, sondern richtig klasse Kabarett.
Haben Sie schon mal bei einem Künstler geweint?
Lachtränen gab es natürlich oft bei mir, aber der Musiker Wenzel – er war im vergangenen Jahr in Hachenburg – hat eine Poetik gezeigt, die mir ans Herz ging. Er ist jemand, der wirklich berührt. Bei ihm musste ich mir zwischendurch die Augen wischen. Für diesen besonderen Künstler habe ich außerordentlich viel und tiefes Lob bekommen.
Gibt es einen Künstler, den Sie gerne mal nach Hachenburg einladen würden?
Ja, die bayerische Kabarettistin Monika Gruber hätte ich gerne eingeladen, aber es hat nicht geklappt, und nun hat sie sich leider von der Bühne zurückgezogen. Sie ist eine so kluge und mutige Frau. Sie spricht mit Sinn und Tiefe, lässt sich nicht den Mund verbieten. So etwas braucht Kabarett. Es geht nicht um Hetze, sondern darum, hinzugucken, Augen zu öffnen, hinzuhören, zu hinterfragen – egal welche politische Einstellung man hat.
Was war in den vergangenen 25 Jahren Ihr schlimmstes oder traurigstes Erlebnis?
Mein schlimmstes Erlebnis war in der Coronazeit, weil ich damals gesunde Menschen von meinen Veranstaltungen ausgrenzen musste. Das hat mich an Zeiten erinnert, die sehr dunkel waren in Deutschland, wo es auch um Ausgrenzung von Menschen ging. Das fand ich ganz, ganz schlimm. Auch zu erleben, wie die geschürte Angst die Menschen verändert hat, war schlimm.
Welche Ziele möchten Sie mit Ihrer Arbeit noch erreichen?
Ich möchte die Menschen dazu bewegen, genauer hinzuschauen und hinzuhören. Dabei schließe ich mich ein, denn auch ich möchte lernen. Man muss sich immer wieder hinterfragen. Ich möchte, dass wir alle toleranter werden den Meinungen anderer gegenüber und diese Meinungen auch stehen lassen können. Vielleicht lernen wir auch zu verstehen, warum Menschen andere Meinungen haben, statt sie zu verurteilen. Ich möchte in keine Richtung Hass und Hetze.
Welche Ziele sehen Sie schon verwirklicht?
Kulturarbeit trägt dazu bei, dass sich neue Bürger schneller in der Stadt wohl- und sich integriert fühlen. Die Identifizierung der Bürger mit ihrer Stadt wird gestärkt. Firmen siedeln sich hier lieber an, denn auch für ihre Mitarbeiter wird etwas geboten. Menschen ziehen nach Hachenburg und bleiben gern hier. Damit wirken wir ein wenig dem demografischen Wandel entgegen. Gastronomie und Tourismus werden gestärkt. Das alles sehe ich verwirklicht. Das merkt man auch daran, dass sich die Menschen auf den Sommer und den Treffpunkt Alter Markt freuen. Das ist so eine wichtige Reihe.
Anfangs haben viele Leute gesagt, ich solle bei den Treffpunkten mal andere Musik machen. Nein, es ist genau das, was wir brauchen. Und es ist das, was uns abhebt von anderen. Es geht ja auch darum, sich mit anderen Musikrichtungen auseinanderzusetzen. Wenn du immer wieder andere Musikrichtungen hörst, dann nimmst du sie irgendwann mehr an und wirst offener dafür. Und das fördert Toleranz. Selbst wenn es nicht die eigene Musik ist, erkennt man vielleicht, dass andere dabei jubeln, tanzen und Spaß haben. Zum Glück bin ich bei diesem Konzept geblieben. Man muss sich ja im Sommer donnerstags nur den vollen Marktplatz anschauen.
Wie schätzen Sie Hachenburgs Rolle in der regionalen Kulturszene ein?
Wir zeichnen uns dadurch aus, dass wir Projekte machen. Das ist sehr außergewöhnlich für eine kleine Stadt. Beispielhaft sind hier die früheren Burggartenfeste, das Fest „Hachenburg spielt verrückt“ oder jetzt die Exciting Places zu nennen. Wir sind sicherlich im Hinblick auf Qualität der Künstler und mit neuen Projekten vielfach Vorreiter.
Und wo besteht noch Ausbaupotenzial?
Oh, da gibt es einige Felder. Ich würde beispielsweise gerne die Treffpunkt-Reihe noch ausbauen – von Juni bis in den September rein. Ich kann mir gut vorstellen, dass auch zwölf Veranstaltungen gut ankommen würden. Außerdem würde ich gerne im Bereich Kinder/Jugendliche mehr machen.
Gibt es dazu konkrete Pläne?
Ideen gibt es, aber wir schaffen leider nicht mehr Veranstaltungen. Wir sind alle am Limit, haben alle Überstunden, weil wir eben alles professionell machen wollen. Wir haben beispielsweise keine fertig eingerichtete Stadthalle, sondern müssen immer wieder alles neu herrichten. Dabei sind der Bauhof und meine Mitarbeiter stark eingebunden. Aber es wäre sinnvoll, bei den Kindern anzusetzen, um sie weg von den digitalen Medien und zurück ins reale Leben zu holen. Sie müssen reale Erfahrungen machen, mit anderen Menschen zu Veranstaltungen gehen.
Ist diese Aussage als Appell an die Kommunalpolitik zu verstehen, mehr Geld und Personal für Kultur zur Verfügung zu stellen?
Nur theoretisch, denn praktisch ist mir bewusst, dass es schon außergewöhnlich ist, was die Stadt Hachenburg bereits leistet. Es müsste daher mehr auf Bundesebene kommen. Dort werden Gelder zur Kulturförderung vielfach zum Fenster rausgeschmissen – nur weil sich bestimmte Themen gut anhören und verkaufen lassen. Tatsächliche Kulturarbeit muss bundesweit einen höheren Stellenwert erhalten und mehr unterstützt werden.
Das Interview führte Nadja Hoffmann-Heidrich
Von Niedersachsen in den Westerwald
Beate Macht (57) wuchs in der Nähe von Hannover auf. In Lüneburg studierte sie Angewandte Kulturwissenschaften. Nach einem Praktikum im Kunstamt Berlin stand für sie fest: „Genau diese Arbeit will ich machen, aber lieber in einer Kleinstadt, wo man dichter am Geschehen dran ist und das Heft in der Hand behält“, erinnert sich Macht. Ihre erste Festanstellung erhielt sie als Kulturreferentin in Herrstein bei Idar-Oberstein. Nach „zwei tollen Jahren“ kehrte sie zunächst in ihre Heimat zurück, leitete für vier Jahre das Pressereferat des DRK-Landesverbands Niedersachsen und begann später parallel noch ein Lehramtsstudium (Deutsch und Kunst). Kaum hatte sie mit dem Studium begonnen, wurde sie auf die Stelle in Hachenburg aufmerksam, die sie bis heute innehat. Der Rückhalt der politischen Gremien, die Unterstützung ihres Teams (allen voran von Angela Kappeller, die bereits seit 26 Jahren bei der Kulturzeit arbeitet), die Anerkennung der Sponsoren und insbesondere des Publikums sowie die Zusammenarbeit mit den Künstlern sorgen dafür, dass ihr die Arbeit auch nach 25 Jahren noch Spaß macht. nh