Im selben Atemzug fängt er an, mit leuchtenden Augen von der Gastfreundschaft zu schwärmen, die er auf fast 6000 Kilometern zwischen Köln und der georgischen Hauptstadt Tiflis erlebt hat.
Die Pläne für solch ein extremes Sporterlebnis hatte der gebürtige Hachenburger, den viele als professionellen Fußball-Freestyler kennen und der inzwischen in Köln wohnt, schon länger in der Schublade: Ende 2019 schloss Hollands in Münster sein Studium als Wirtschaftsingenieur ab. Vor dem Einstieg in die Berufswelt wollte er gerne noch ein halbes Jahr auf Reisen gehen – doch dann kam Corona. „Aus meiner Radtour nach Österreich und auf den Balkan wurde somit nichts“, erzählt er. Im Lockdown hatte er zunächst viel Zeit, fuhr mehrfach aus der rheinischen Domstadt mit dem Rad zu seiner Mutter nach Hachenburg. Im Westerwald nutzte der 34-Jährige damals gerne und oft die vielen Waldstrecken zum Joggen, trainierte sich so eine gute Grundfitness an.
Erst neuer Job, dann das Abenteuer
Doch auf die Verwirklichung seines großen Traums, eine lange Radtour durch mehrere Länder, musste er noch etwas warten. „Während des Lockdowns mit Kurzarbeit und Firmenschließungen war es für mich schwierig, einen Job zu finden. Als ich dann im September 2020 meine Stelle bei der Deutschen Bahn antreten konnte, musste die Reise erst einmal auf Eis gelegt werden, sie geriet ein bisschen in Vergessenheit“, berichtet der 34-Jährige. Bei einem Spaziergang im Januar 2022 habe ihn seine Freundin Sarah dann plötzlich gefragt, wann er seine Tour nachholen wolle. „Dadurch wurde das Feuer in mir neu entfacht. Ich wusste, ich muss es machen, um mir im Alter nicht vorwerfen zu müssen, dass ich mir diesen Traum nicht erfüllt habe.“
Ein flexibles Arbeitszeitmodell ermöglichte es dem Athleten, freie Zeit „anzusparen“. Die Kollegen reagierten positiv auf seinen Plan, sich für ein paar Monate im Sommer 2023 aus dem Job auszuklinken. „Mein Chef meinte: ,Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg.‘ Das hat mir Mut gemacht.“ Und so brach er am 9. August allein in Köln auf ins Abenteuer – auf seinem Trekkingrad mit Stahlrahmen und 30 Kilogramm Gepäck. Sogar einen Fußball mit Luftpumpe hatte er dabei. Erster Zwischenstopp war Hachenburg, wo seine früheren Nachbarn ein kleines Abschiedsfest für ihn vorbereitet hatten.
Fußball ist ein internationaler Türöffner
Seit 17 Jahren ist der gebürtige Hachenburger Julian Hollands als Fußball-Freestyler aktiv, seit 15 Jahren übt er diese sportliche Kunst professionell aus, ist mit ihr bereits bei Veranstaltungen von Weltkonzernen und bei Profifußballklubs, aber auch bei Turnieren oder Festen im Westerwald aufgetreten. Der Fußball gehört zu ihm, kein Wunder, dass das Sportgerät auch auf seiner außergewöhnlichen Radreise nicht fehlen durfte – wenn auch zunächst platt und gut verpackt. „Da ich aber um die Wirkung des Balles und seine Völker verbindende Sprache weiß, musste ich ihn natürlich mitnehmen“, sagt Hollands. In einem Dorf in der Türkei beispielsweise, wo einige Einheimische auf den Deutschen aufmerksam wurden, hat er den Ball dann hervorgeholt, aufgepumpt und mitten auf der Straße einige Tricks mit ihm gezeigt. „Der ganze Ort war begeistert. Aus Dankbarkeit haben mir die Menschen sogar ein Trikot von einem türkischen Klub geschenkt, das ich am ersten Arbeitstag nach meiner Reise im Büro anhatte.“ nh
Ursprünglich hatte sich Julian Hollands den Iran als Zielort seiner Reise ausgeguckt. Doch aufgrund der politischen Umstände dort folgte er dem Wunsch seiner Freundin, diesen Plan fallen zu lassen. „Es sollte stattdessen so weit südöstlich gehen, wie in der zur Verfügung stehenden Zeit möglich war. So fiel die Wahl schließlich auf Tiflis.“ Doch dass das wirklich klappen könnte, habe erst festgestanden, als er in der Türkei am Schwarzen Meer angekommen sei. „Erst dann war klar, dass meine Freundin den Flug nach Tiflis buchen konnte, um mich dort für einen gemeinsamen Abschlussurlaub zu treffen“, erinnert er sich.
Reise führte durch elf Länder
Denn auch wenn Hollands einen groben Plan in der Tasche hatte, war die exakt 5944 Kilometer lange Strecke, verteilt auf 58 Etappen durch elf Länder (inklusive Deutschland), doch tagtäglich voller Überraschungen. Zunächst führte ihn seine Route nach Österreich, von dort weiter nach Slowenien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina, wieder zurück nach Kroatien, anschließend nach Montenegro, Albanien, Nordmazedonien, Griechenland und in die Türkei, bevor er zum Finale nach Georgien fuhr.
Als leidenschaftlicher Camper verbrachte Hollands die meisten Nächte seiner Reise draußen im Zelt – mal an traumhaften Stränden mit sanftem Wellenrauschen und mit Blick aufs warme Mittelmeer, mal kilometerweit von Siedlungen entfernt irgendwo mitten in der Landschaft, mal in Höhlen im türkischen Kappadokien, mal neben einer Tankstelle an einer viel befahrenen Straße. Dabei hat er alle möglichen Wetterlagen erlebt, Sturmschäden am Zelt eingeschlossen. Dank gastfreundlicher Menschen war es ihm jedoch möglich, hin und wieder auch an ungewöhnlichen Orten mit einem festen Dach über dem Kopf zu schlafen, beispielsweise in Moscheen.
Das bringt Julian Hollands wieder zu einer seiner wichtigsten Reiseerinnerungen: der Herzlichkeit, mit der ihm wildfremde Menschen begegnet sind. Besonders berührend seien seine Erfahrungen in der Türkei gewesen, berichtet er. In vielen Dörfern und Städten sei er schnell mit Einheimischen in Kontakt gekommen, die ihn sofort zu einem Tee, zum Essen oder sogar zum Übernachten eingeladen hätten. Dafür habe er sogar frühzeitig Etappen abgebrochen. „Über diese Gastfreundschaft könnte ich ein Buch schreiben.“
Mit Handy, Videokamera und Drohne viel Material für eine eigene Dokumentation gesammelt
In seinem rund 30 Kilogramm schweren Reisegepäck hatte Julian Hollands nicht nur sein Campingmaterial und Wechselwäsche, sondern neben seinem Handy auch eine Videokamera und sogar eine Drohne. So konnte er zahlreiche spektakuläre Aufnahmen machen. Einige davon hat er während seiner Reise bereits über soziale Netzwerke mit seinem Umfeld geteilt. „Dazu hätte ich unzählige Geschichten zu erzählen.“ Deshalb möchte der 34-Jährige, der mittlerweile in Köln lebt, aus dem umfangreichen Bild- und Filmmaterial eine Dokumentation erstellen. Sein Wunsch wäre es, diesen selbst produzierten Film eines Tages in seiner Heimat Westerwald oder auch woanders öffentlich zu zeigen – gerne verbunden mit einer Spendensammlung für Bedürftige. Aber auch Träume für weitere Reisen hat er bereits im Kopf: „Eine Radtour zum Nordkap oder eine Fortsetzung der Reise ab Tiflis weiter in Richtung Osten wäre toll“, sagt er. nh
Es seien solche Momente gewesen, die ihn auch die emotionalen Tiefs seiner Tour hätten überstehen lassen, gesteht Hollands. Denn neben tollen Ausblicken und der wochenweisen Begleitung durch andere Radreisende hielt das Abenteuer auch viele Stunden Einsamkeit, körperliche Qualen, Rudel von Straßenhunden, katastrophale Fahrbahnen und platte Reifen abseits der Zivilisation bereit. „Wenn es mir ganz schlecht auf dem Bike ging, habe ich mit meiner Quietscheente Ducky geredet, die mir meine Freundin als Maskottchen geschenkt hat und die an meinem Lenker sitzt.“ Heute kann Julian Hollands über die Konversation mit dem Gummitier lachen.
Wichtig war ihm während seiner Reise, dass er telefonisch immer für seine Liebsten erreichbar war, „außerdem habe ich meiner Freundin jeden Abend die GPS-Daten meines Zeltplatzes geschickt“. Letztlich sei er mit jeder Herausforderung, die unterwegs auf ihn wartete, gewachsen. „Im Grunde habe ich einfach dem Leben und den Menschen vertraut. Wirklich brenzlige Situationen habe ich zum Glück keine erlebt“, blickt Julian Hollands dankbar zurück.
Den inneren Schweinehund besiegt
Kurz vor dem Ende hat er dann aber doch beinahe an einen Abbruch der Tour gedacht: „Eine so schlechte Straße wie auf der vorletzten Etappe in Georgien habe ich noch nie erlebt. Diese Schotterpiste war unmenschlich. Ich habe laut geschrien, dass ich keinen Bock mehr habe.“ Aber der gebürtige Hachenburger konnte seinen inneren Schweinehund besiegen und schließlich nach der letzten Etappe über 136 Kilometer (inklusive Nachtfahrt) in Tiflis sein Ziel erreichen. Seinen Triumph hat er dann zunächst ganz alleine in einem Café „gefeiert“.
Und was bleibt neben der erlebten Gastfreundschaft von seiner außergewöhnlichen Reise bei Julian Hollands hängen? „Obwohl ich mit Gaskocher und Klappstuhl noch recht komfortabel gecampt habe, habe ich gelernt, die banalen Dinge des Alltags zu schätzen. Nach Tagen der Katzenwäsche erkennt man zum Beispiel den Wert einer Dusche“, sagt der 34-Jährige lachend.
Doch dann wird er ernster und flüstert beinahe: „Ich durfte erfahren, dass Zeit ein absolut wichtiges Gut ist. Ich wurde von wildfremden Menschen reichlich beschenkt, und das Einzige, das ich ihnen zurückgeben konnte, war meine Zeit, dass ich mit ihnen Tee getrunken, ihnen zugehört habe. Das hat sie und mich sehr glücklich gemacht. Dieses Bewusstsein versuche ich, mir für meinen Alltag in Deutschland zu bewahren – auch oder gerade dann, wenn es mal stressig ist. Deshalb bin ich unendlich dankbar für die Zeit.“