Fürst Friedrich-Wilhelm hatte Anfang Dezember 1815 seinem Hofforstmeister den Auftrag gegeben, für einen Weihnachtsbaum zu sorgen, der im Schloss aufgestellt werden soll, und nach einem großen Baum für die Schlosskirche zu sehen. Außerdem hatte der Fürst geheimnisvoll noch einen zweiten Weihnachtsbaum angefordert, dessen Verwendung noch Rätsel aufgab. Der Forstmeister ging natürlich nicht selbst, da ein nasskalter Wind aus dem Lahntal in die Stadt zog. Der durchgefrorene Knecht sinnierte derweil über sein Schicksal, warum ausgerechnet er diesen unbequemen Auftrag erledigen musste, während die Herrschaft sich am warmen Kamin dem Glühwein widmete. Vielleicht lag der Fürst aber auch in seinem neuen Badezimmer aus schwarzem Lahnmarmor und genoss den Duft von Zimt und Nelken, der aus der nahe gelegenen Schlossküche zu ihm drang. Der Küchenmeister mit seinen Zuckerbäckern richtete schon für das Advents- und Weihnachtsgebäck, welches auch an die Armen in der Stadt verteilt wurde. Derweil erfreute sich der Fürst an seinem nach Fichtennadeln duftenden warmen Badewasser, welches seiner Podagra geplagten Gelenken Linderung verschaffte. Dafür, dass das Wasser auch schön heiß wurde, mussten die Badeknechte den Badeofen von außen aus dem Schlosshof her anfeuern, während sie selbst mit klammen Fingern die Holzscheite in den Ofen einschoben.
Drei Monate zuvor hatte die Tochter des Fürsten Friedrich Wilhelm und seiner Gattin, Prinzessin Louise-Isabell von Sayn-Hachenburg, einer kleinen Grafschaft im Westerwald, geheiratet. Erzherzog Karl von Österreich, ein Prinz aus dem Hause Habsburg und Bruder Kaiser Franz II hatte die Prinzessin Henriette von Nassau-Weilburg am 17. September „heimgeführt“, wie man damals das Einheiraten umschrieb. Erzherzog Carl war zwar 26 Jahre älter und dazu noch Katholik, aber es war trotzdem eine Liebesheirat. Er war im Übrigen einer der wenigen, die in den Napoleonischen Kriegen, die gerade zu Ende gingen, Napoleon bei Aspern/Wien im Jahre 1809 schlagen konnte und somit eine Berühmtheit war. Das Paar wollte Weihnachten in Österreich verbringen, dort wo der Bräutigam in Baden bei Wien für seine Braut ein eigenes Schlösschen bauen lies und es in Erinnerung an ihre Heimatstadt „Weilburg“ nannte. Auch lies er für sie an der reformierten evangelischen Stadtkirche einen besonderen Eingang brechen, der fortan das „Henriettentor“ genannt wurde. Zu dieser Zeit war es nämlich aus unerfindlichen Gründen im streng katholischen Wien verboten, von der Straßenseite her die Kirche zu betreten. Im katholischen Österreich kannte man zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch keinen Weihnachtsbaum. Die deutsche Prinzessin aus dem Nassauer Land wollte aber das Weihnachtsfest, weit weg von zu Hause im fremden Land, nicht ohne Weihnachtsbaum feiern. Zur weihnachtlichen Stimmung gehörte nun einmal dieser in der Heimat schon über 200 Jahre alte Brauch, zum Weihnachtsfest einen auch im Winter grünen Baum – den Tannenbaum – zu schmücken und mit Talglichtern zu versehen. Im heimeligen Schein der Kerzen, bei knisterndem Kaminfeuer im Kreise der Familie, gingen die Weihnachtslieder so richtig zu Herzen.
Um diese Sehnsucht zu stillen, musste der Forstknecht Johann Friedrich im Weilburger Forst Weihnachtsbäume schlagen. Der Tannenbaum ging anschließend zusammen mit umfangreichem Gepäck, Knechten, Zofen und Fuhrleuten auf den beschwerlichen Weg in die neue österreichische Heimat der Prinzessin Henriette.
So kam der Weihnachtsbaum nach Österreich und schmückt seit diesen Tagen des Jahres 1815 auch die Wohnungen in unserem Nachbarland. Prinzessin Henriette, die ja jetzt eine österreichische Erzherzogin war, feierte mit den Jahren mit ihren zuletzt sieben Kindern und dem Erzherzog Carl das Weihnachtsfest in „ihrem“ Schloss Weilburg bei Wien. Der geschmückte und im Kerzenschein strahlende Weihnachtsbaum erinnerte sie mit ein wenig Wehmut an ihre ferne Heimat im Westerwald.
Österreich und Kaiser Franz II. dankten es ihr in besonderer Weise. Als die Erzherzogin im Jahr 1829 im Alter von nur 32 Jahren verstarb, setze der Kaiser es durch, dass sie in der Kapuzinergruft der Habsburger, trotz ihres evangelischen Glaubens, beigesetzt werden durfte. Dort ruht nun die nassauische Prinzessin, als einzige Protestantin bis heute in der Gruft, während draußen wieder zu Weihnachten die Weihnachtsbäume leuchten. Bernd Schrupp