„Wir waren schon mit dem Rettungshubschrauber in der Luft, als uns die ersten Informationen zu dem Einsatz erreichten“, weiß Dr. Christoph Lerchen noch ganz genau. Der Einsatz im Westerwald war einer der letzten und gleichzeitig einer der schlimmsten in seiner Zeit bei der Bundeswehr in Koblenz.
„Als wir hörten, dass es Verletzte bei einem Seilziehen gegeben habe, haben wir das anfangs recht locker aufgenommen. Wird wohl nicht so schlimm sein. Als wir dann über Funk mitgeteilt bekamen, dass Kinder wiederbelebt werden, wurde uns der Ernst der Lage sofort klar. Und wir bekamen auch mit, dass die DRK-Leitstelle in Montabaur jede Menge Einsatzkräfte aus der ganzen Region nach Westernohe beorderte.“
Dass es der heutige Ärztliche Direktor des Dernbacher Herz-Jesu-Krankenhaus und Chefarzt der Abteilung für Anästhesie, Intensiv- und Palliativmedizin war, der damals die ärztliche Gesamtleitung des Einsatzes übernahm, fiel jetzt dem erfahrenen Rotkreuzler Giesbert Wiethoff aus Westerburg auf, als er seinen dicken Aktenordner mit den Unterlagen zu dem Westernoher Fall durchblätterte.
Koblenz/Westernohe. Es sollte ein großer Spaß, ein lustiger Wettbewerb werden. Doch stattdessen wurde der Pfingstsonntag vor 25 Jahren zu einem schrecklichen Unglückstag: Beim Tauziehen mit rund 600 Kindern und Jugendlichen im Zeltlager in Westernohe (Westerwaldkreis) riss das Seil und peitschte in ...Vor 25 Jahren im Westerwaldkreis: Gerissenes Seil tötet zwei Jungs aus Koblenz
Wiethoff war damals der Kreisbereitschaftsführer des DRK Westerwald. Auch er erinnerte sich noch an viele Einzelheiten des Rettungseinsatzes. So daran, dass nicht nur der örtliche DRK-Einsatzleiter Wolfgang Reuter, der mit seinen Kameraden vom DRK-Ortsverein Rennerod regelmäßig das riesige Zeltlager am Bundeszentrum der Pfadfinder betreute, die Nerven behielt, sondern auch die Gruppenleiter der Pfadfinder es schafften, eine Panik unter ihren Schützlingen zu verhindern.
Da schnell gleich mehrere Rettungshubschrauber nach Westernohe beordert wurden, konnte sich Dr. Lerchen darauf konzentrieren, die vielen Verletzten zu sichten und ihre Versorgung sowie den Transport in Kliniken der Umgebung zu organisieren. „Unsere belastendste Aufgabe aber bestand darin, zu klären, wer überhaupt der schon am Unglücksort gestorbene junge Pfadfinder war, und dies den Eltern mitzuteilen“, so der erfahrene Anästhesist.
„Mir tut heute noch die Kollegin aus dem Westerwald – zufällig eine Mitstudentin von mir – leid, die das übernahm, als wir anhand eines auffälligen Muttermals eines anderen Verletzten die Identitäten geklärt hatten. Mit Blick darauf kann man froh sein, dass es mittlerweile viele gut ausgebildete Notfallseelsorger in der Region gibt.
Die hätten sich dann auch um die verletzten und unverletzten, aber geschockten Teilnehmer nach dem Tauziehen kümmern können. Oder um die vielen Eltern, die sich aufgrund einer Radiomeldung in Scharen nach Westernohe aufmachten.“
Selbst ausgebildeter Krankenpfleger und damals aktiver Rotkreuzler, wäre es mir beim Tauzieh-Unglück viel lieber gewesen, als Sanitäter zu helfen, aber nicht als Journalist das dramatische Geschehen zu dokumentieren.Kommentar zum Einsatz beim Unglück in Westernohe: Als Journalist in schwieriger Rolle
In diesem Fall zollt Giesbert Wiethoff heute noch nicht nur den Ärzten und Sanitätern Respekt, sondern auch der Feuerwehr. „Die Kameraden schafften es in vorbildlicher Weise, das unübersichtliche Gelände abzuriegeln und alle Betroffenen zu der in der Ortslage Westernohe eingerichtete Sammelstelle zu lenken. Dort hatten unser damaliger Leitender Notarzt Dr. Bernd Hohlstamm und sein Team das Geschehen im Griff.“
Aus der Sicht von Christoph Lerchen und Giesbert Wiethoff ist der Westernohe-Einsatz vor 25 Jahren vorbildlich gelaufen. Man hatte schließlich so viele Einsatzkräfte vor Ort, dass man auch noch viel mehr Verletzte hätte versorgen können. Aber zu Beginn des Einsatzes wusste ja auch niemand, wie viele Verletzte es bei rund 600 Teilnehmern am Tauziehen überhaupt gegeben hatte. Von all dem bleibt bei den beiden Rettern eine Tatsache für immer im Gedächtnis: die Erinnerung an die beiden ums Leben gekommenen zehnjährigen Jungen.
Koblenz. Als Dennis an Pfingsten 1995 ins Pfadfinder-Zeltlager nach Westernohe fahren wollte, da war seine Mutter eigentlich gar nicht richtig einverstanden. Erst ein paar Tage vorher war er von einer Klassenfahrt nach Nevers zurückgekommen.Eltern berichten von ihrem Leben nach Unfall im Zeltlager: Nach Dennis’ Tod war nichts mehr wie vorher