Der nachtaktive Biber zeigen sich selten am Tag. Foto: dpa
Die Baumkronen spiegeln sich auf der Wasseroberfläche. Enten ziehen ihre Bahnen im Schatten der Blätter, verstecken sich im Schilf. Am Rand des Saynbachs, dort, wo einst ein Teppich aus Gras den Boden bedeckt hat, hat sich nun ein seichtes Gewässer aufgestaut. Ein kleiner Teich, der tief genug ist, um Wasservögeln, Libellen, Fröschen – oder sogar Nagetieren – ein Zuhause zu bieten. Das neue Biotop unweit der L 304 zwischen Freilingen und Wölferlingen stammt nicht aus Menschenhand. Es wurde von einem exzellenten, tierischen Landschaftsbauer Stück für Stück gebaut. Oder besser: Stöckchen für Stöckchen. Denn es ist ein Biber, der dort seinen Damm kreiert hat. Der erste im Westerwaldkreis.
Es ist nicht ungewöhnlich, dass sich im Kreis ein Biber ansiedelt, erklärt Stefanie Venske, Leiterin des Biberzentrums Rheinland-Pfalz. „Der Westerwald war so der letzte Fleck in Rheinland-Pfalz, wo es noch keinen Biber gab“, sagt sie. „Wo er herkommt, wissen wir allerdings nicht.“ Die kleinen Nagetiere haben sich mittlerweile in Rheinland-Pfalz vor allem in der Eifel und im Hunsrück angesiedelt. Doch im Westerwaldkreis und Umgebung gab es bislang – bis auf eine Ausnahme in Bad Ems – keine Nachweise. Das geht auf die Zeit zurück, als Biber noch gejagt wurden. Der Biber war in weiten Teilen Deutschlands fast hundert Jahre lang nahezu ausgerottet. Um 1840 soll es in Rheinland-Pfalz die letzten Biber gegeben haben, sagt Venske. Wann es das letzte Mal Biber im Westerwaldkreis gab, lässt sich nicht rekonstruieren. Erst seit 1976 unterliegt das Tier nicht mehr dem Jagdrecht.
Kaum wiederzuerkennen: Unweit des Saynbachs zwischen Freilingen und Wölferlingen ist ein Feuchtbiotop entstanden. Foto: Harry Neumann/NI Ein Schwarzstorch hat den Biberteich für sich entdeckt. Foto: Harry Neumann/NI Eine blauflügelige Prachtlibelle hat sich angesiedelt. Foto: Harry Neumann/NI Das Blässhuhn sucht sich zum Brüten stehende Gewässer. Foto: Harry Neumann/NI Dicke Baumstämme sind für die Nagezähne des Bibers kein Problem. Foto: Harry Neumann/NI Der nachtaktive Biber zeigen sich selten am Tag. Foto: dpa
Unterhalb der Fußgängerbrücke, die über den Saynbach führt, hat der Nager ganze Arbeit geleistet. Äste – und sogar dickere Baumstämme – hat er so aufgebaut, dass sich das Wasser auf der Wiese staut. Und ein Teil des angrenzenden Westerwaldsteiges ist überflutet. Man sieht den kleinen Landschaftsarchitekten nicht, denn der Biber ist nachtaktiv. Lediglich seine Nagespuren verraten ihn. „Es ist beeindruckend, dass sich die Natur so entwickelt, ohne dass der Mensch etwas tut, ganz kostenlos“, freut sich Harry Neumann von der Naturschutzinitiative (NI). Er steht zusammen mit seiner Frau Gabriele und Diplom-Biologe Immo Vollmer im hohen Gras am Rand des Biberteichs. Die Frösche quaken, Schwalben kreisen über das Gewässer auf der Suche nach Insekten, ein Kuckuck ruft, ein Blässhuhn putzt sich munter, Libellen gleiten stumm durch die Luft. „Ein wahres Juwel“, sagt Neumann. „Solche Lebensräume sind mittlerweile wirklich äußerst selten.“
Mehr Informationen zum Biber gibt es auf der Seite des Biberzentrums Rheinland-Pfalz unter www.biber-rlp.de
Die NI beobachtet das Gebiet schon eine Weile. Bereits im vergangenen Winter fanden sich erste Fraßspuren. Erst war man sich nicht so sicher, ob es sich tatsächlich um einen Biber handelt. Mittlerweile gibt es keinen Zweifel mehr. Wildkameras haben ihn bei seinen Streifzügen erwischt. Mit dem Einzug des Bibers ist ein völlig neuer Lebensraum entstanden, das Flachgewässer lockt jede Menge Arten an. Neumann spricht von Wildgänsen, Stockenten, Kanadagänsen, Tafelenten und sogar von seltenen Tüpfelsumpfhühnern, Rostgänsen, Zwergtauchen, Schwarzstörchen und viele mehr, die am Saynbach ein neues Zuhause gefunden haben. Aber auch verschiedene Libellenarten haben sich angesiedelt. „Das ist großes Glück“, macht Neumann deutlich. „Wir haben jetzt einen richtigen, kleinen Nationalpark im Westerwald.“
Der Biberteich befindet sich auf dem Gebiet der Gemeinde Freilingen und teilweise auf Privatgelände. Die Ortsgemeinde und die Verbandsgemeinde sind schon seit Monaten im Gespräch mit der SGD Nord, der oberen Naturschutzbehörde, teilt Thomas Kloft, Bürgermeister der Ortsgemeinde Freilingen auf Anfrage mit. Denn die Ansiedlung des Bibers bringe auch potenzielle Gefahren mit sich, die es gelte vorab zu kennen und mit entsprechenden Maßnahmen zu vermeiden. „Wir freuen uns, dass sich der Biber uns ausgesucht hat“, sagt Kloft. „Aber es handelt sich um eine Stelle, die wir nicht ganz unkritisch sehen.“ Durch die Bautätigkeit des Bibers ist neben dem Westerwaldsteig auch ein weiterer Wirtschaftsweg teilweise überflutet. Die Befürchtung besteht, dass sich das Wasser weiter anstauen und der Damm – möglicherweise bei Starkregen – brechen könnte. „Wir befinden uns noch am Anfang unserer Planung“, sagt Kloft. „Uns geht es um ein Konzept, das sowohl den Bürgern der Gemeinde als auch dem Biber gerecht wird.“ Die Naturschutzinitiative um Neumann sieht aktuell keinen Handlungsbedarf. Im Zweifel gäbe es aber Lösungsmöglichkeiten, mit denen sich der Wasserstand regulieren ließe ohne in die Ökologieeinzugreifen, macht er deutlich. Das aufgestaute Wasser hat laut Gabriele Neumann sogar Vorteile, die über die Anreicherung der Arten hinaus geht. „Bei Starkregen können Hochwasserspitzen vermieden werden“, sagt sie. „Denn durch den Biberteich wird die Fließgeschwindigkeit um das 160-Fache verlangsamt.“
Die SGD Nord hat der Verbandsgemeinde Selters jedenfalls eine Genehmigung zum Absenken des Wasserspiegels erteilt. In diesem Fall ist eine Größenordnung von etwa 20 Zentimetern vereinbart, teilt die Obere Naturschutzbehörde auf Anfrage mit. Vergleichbares werde bereits an anderen Stellen im Land erfolgreich durchgeführt. „Die Genehmigung wurde erteilt, um einerseits den Biberteich als Lebensraum zu erhalten und andererseits den Damm wegen möglicher auftretender Starkregenereignisse zu entlasten“, erklärt Pressesprecherin Sandra Hansen-Spurzem. Auch die Begehbarkeit des angrenzenden Westerwaldsteigs spiele dabei eine Rolle. Ausführende Stelle ist die Verbandsgemeinde, die mit der SGD Nord in Kontakt steht.
Die Maßnahme zur Absenken des Wasserspiegels wurde aktuell noch nicht umgesetzt. Zum Erhalt des Lebensraumes des Bibers und auch seltener Wasservogelarten, wie beispielsweise dem Tüpfelsumpfhuhn werden eine Reihe von Vorsichtsmaßnahmen ergriffen, so die Begründung. „Beim Einrichten des geplanten Überlaufes am Damm wird sehr schonend vorgegangen“, versichert Hansen-Spurzem. So soll zum Beispiel die Absenkung sukzessive, ungefähr in 5- bis 10-Zentimeterschritten vorgenommen werden, um so das Verhalten der Biber und Vögel beobachten und gegebenenfalls reagieren zu können. Denn ein langsames Herabsetzen des Wasserspiegels gewährleistet, dass die Arten darauf reagieren können. Das Gewässer in Freilingen soll jedenfalls laut SGD Nord als Lebensraum erhalten bleiben.
Der Biber ist nach dem Bundesnaturschutzgesetz streng geschützt. Es ist verboten, ihm nachzustellen, zu fangen oder seinen Lebensraum zu zerstören. Sie werden bis zu 35 Jahre alt und sind Familientiere. Ob es in Freilingen mehr als einen Biber gibt, ist derzeit noch unklar. Nach Schätzung des Biberzentrums gibt es in ganz Rheinland-Pfalz etwa 180 bis 230 dieser tierischen Landschaftsbauer.
Verena Hallermann