Rückblick: Maßgeblich für das Urteil waren in erster Linie Gutachten, in denen Aufnahmen der Überwachungskamera ausgewertet wurden. Da der Täter komplett maskiert war, konnten jedoch nur wenige Merkmale wie zum Beispiel die Hände und der Gang des Täters analysiert und mit dem Angeklagten verglichen werden. Der Mann selbst bestritt die Tat. Am Ende stand ein Schuldspruch für den 56-Jährigen, der nun fünf Jahre ins Gefängnis muss. Er hat bereits zahlreiche Vorstrafen und ist nur knapp einer Sicherungsverwahrung entgangen.
Herr Hecken, Ihr Mandant ist nach einem langen Indizienprozess zu einer Haftstrafe verurteilt worden. Warum sind Sie mit dem Schuldspruch nicht einverstanden?
Die Verteidigung ist mit dem Urteil nicht einverstanden, weil es inhaltlich unrichtig ist und weil mindestens drei Verfahrensfehler begangen wurden, die nun von mir mit der Revision vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe geltend gemacht werden.
Können Sie uns kurz erklären, wie der Verdacht überhaupt auf Ihren Mandanten gefallen ist?
Nach der Aktenlage stellte es sich so da, dass Mitarbeiter der Bäckerei glaubten, den maskierten Täter auf dem Überwachungsvideo der Bäckerei wiederzuerkennen. Dabei wurden wahlweise zwei Personen genannt, die dem maskierten Täter äußerlich ähnlich sein sollen. Erst auf Nachfrage der Verteidigung wurde deutlich, dass unmittelbar nach dem Geschehen tatsächlich nur ein Name genannt worden war. In den Fokus der Ermittlungen geriet mein Mandant erst, nachdem seine lang zurückliegende, nicht normgerechte Vergangenheit bekannt wurde. Andere ermittlungstaktische Ansätze sind dann nicht mehr ernsthaft weiterverfolgt worden.
Welche Verfahrensfehler werfen Sie dem Gericht konkret vor?
Im laufenden Verfahren sind zwei schriftliche Gutachten eingeholt worden, die sich widersprechen. Das erste Gutachten ging davon aus, dass die Videoqualität des Überwachungsvideos nicht ausreichend sei für eine Identifizierung des Täters. Das von der Staatsanwaltschaft eingeholte weitere Gutachten kam urplötzlich zu dem Ergebnis, dass das Videomaterial dennoch eine Identifizierung ermögliche.
Angesichts dieser widerstreitenden Gutachten hätte aus Sicht der Verteidigung ein Experte in Sachen Foto- und Videoforensik hinzugezogen werden müssen. Dies wurde vom Gericht rechtsfehlerhaft abgelehnt. Hinzukommt, dass das Gericht nach der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Hamburg das Verfahren hätte aussetzen müssen. Die Verteidigung hat insoweit vier Mal die Aussetzung des Verfahrens beantragt. Die viermalige Zurückweisung des Aussetzungsantrags durch das Gericht begründet einen Revisionsgrund.
Die Verteidigung bemängelt zudem, dass der Angeklagte von den Strafverfolgungsbehörden nicht hinreichend belehrt wurde und stattdessen in der Justizvollzugsanstalt überrumpelt wurde. In der Justizvollzugsanstalt verlaufen die Grenzen zwischen Zwang und Freiwilligkeit fließend. Daher hätte es von Rechtswegen einer gesonderten Belehrung über die Freiwilligkeit bedurft, wenn man einem Inhaftierten zur Identifizierung seiner Hände eine Pistolenattrappe in der Justizvollzugsanstalt in die Hand drückt.
In Strafprozessen gilt eigentlich „Im Zweifel für den Angeklagten“. Ist dieser Grundsatz aus Ihrer Sicht berücksichtigt worden?
Selbst wenn man die Richtigkeit des neu von der Staatsanwaltschaft eingeholten Gutachtens unterstellt – was die Verteidigung angesichts der Videoqualität bezweifelt –, ist laut Gutachter von einer Fehlerwahrscheinlichkeit von bis zu 5 Prozent auszugehen. Das bedeutet, dass von 100 Angeklagten fünf unschuldig sind. Der Grundsatz „Im Zweifel für den Angeklagten“ bedeutet, dass man diese Fehlerwahrscheinlichkeit, die nach Ansicht der Verteidigung sogar noch viel höher ist, auch ernst nimmt. Hier hätte zumindest nach dem Antrag der Verteidigung ein Experte in Sachen Foto- und Videoforensik herangezogen werden müssen.
Es stellt sich die Frage, ob die Vorstrafen des Angeklagten bei der Verurteilung eine Rolle spielten. Kommt das aus Ihrer Sicht bei Gericht vor und was halten Sie grundsätzlich davon?
Die Voreingenommenheit in der Justiz ist mir auch aus meiner Tätigkeit als Staatsanwalt bekannt und tatsächlich sehr weit verbreitet. Die Erfahrung zeigt, dass gerechte Ergebnisse erzielt werden können, wenn die in Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention verankerte Unschuldsvermutung bis zum Abschluss des Verfahrens ernst genommen wird. Die Rolle des Strafverteidigers ist hierbei als Gegengewicht von entscheidender Rolle.
Ein anderer Ansatz schafft voreingenommene und fehlerhafte Ergebnisse. Jedes noch so kleine Detail kann am Ende urplötzlich entscheidend sein. Gerade in Zeiten der Corona-Pandemie wird aber deutlich, dass Gerichte in Deutschland lieber ergebnisorientiert urteilen, als den mühsamen Weg der vollständigen Sachverhaltsaufklärung und den mühsamen Weg der argumentativen Auseinandersetzung mit allen Sachargumenten beschreiten zu wollen.
Hier hilft es auch wenig, wenn Politiker und hochrangige Richter des Bundesverfassungsgerichts den Rückbau des Rechtsstaates in Polen und anderswo auf der Welt kritisieren und gleichzeitig das Rechtsstaatsniveau in Deutschland aus den Augen verlieren. Ich halte es für wichtig, diesen Missständen hier in Deutschland entgegenzutreten.
Die Fragen stellte Marvin Conradi