Demenzerkrankung ihres Großvaters veränderte auch das Leben von Lena Schmidt
Nach persönlicher Erfahrung: Lena Schmidt entwickelt Buch zum Umgang mit Demenz
Lena Schmidt mit ihrem mittlerweile verstorbenen Großvater Michel. Als er die Diagnose Demenz erhielt, hat sie das angespornt, die gemeinsame Zeit mit ihm bestmöglich zu nutzen. Sie gründete ein Unternehmen mit dem Ziel, Produkte für Menschen mit Demenz zu entwickeln. Den Anfang macht ein Achtsamkeitstagebuch mit dem Titel „Heute ist ein schöner Tag“. Fotos: JUPP/Schall und Schnabel
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Köln/Willingen. Die Diagnose Demenz stellt das Leben von Betroffenen und Angehörigen auf den Kopf. Viele Angehörige wissen plötzlich nicht mehr, über was oder wie sie mit dem geliebten Menschen reden müssen, sollen oder können. Unter dem Dach von JUPP entwickelt die gebürtige Willingerin Lena Schmidt mit Co-Gründerin Corinna Northe Produkte, die Menschen mit Demenz helfen, sich besser im täglichen Leben zurechtzufinden.

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Den Anfang der Produktreihe macht ein Achtsamkeitstagebuch, das Angehörigen Anregungen zu Gesprächsthemen und gemeinsamen Aktivitäten geben soll. Titel des interaktiven Buchs: „Heute ist ein schöner Tag“.

Lena Schmidt wuchs in Willingen in der Nähe der Fuchskaute auf. Sie studierte International Business Administration an der University of Twente im holländischen Enschede und machte anschließend den Master in Strategic Management an der Erasmus University Rotterdam. Ein Auslandssemester verbrachte sie an der Lund Universität in Schweden. Anschließend war sie weltweit als Unternehmensberaterin tätig. Zudem arbeitet sie ehrenamtlich in einer Tagespflege. Sie hängte ihren Job als Unternehmensberaterin an den Nagel und gründete mit Corinna Northe das Unternehmen JUPP.

Job an den Nagel gehängt

Die Gründerinnen beschlossen unabhängig voneinander, Lösungen für die vielen Probleme zu entwickeln, die eine Demenzerkrankung mit sich bringt. Beide haben in ihrem familiären Umfeld demenzielle Erkrankungen erlebt. Bei Corinna Northe war es ihre Großmutter Hanna, bei Lena ihr Großvater Michel. „Die gemeinsame Zeit ist wertvoll, und wir sollten sie nutzen, solange wir können. Menschen mit Demenz haben mehr Geschichten zu erzählen als nur über das Wetter oder vom Mittagessen. In ihnen schlummern viele spannende Storys aus ihrer Jugend, die noch sehr lange präsent sind“, weiß Lena Schmidt.

Lena Schmidt (links) hängte ihren Job als Unternehmensberaterin an den Nagel und gründete mit Corinna Northe das Unternehmen JUPP. Foto: JUPP/Schall und Schnabel
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Für ihren Großvater Michel aus Stein-Neukirch war der Skihang am Salzburger Kopf mit vielen Erinnerungen verbunden. „Wir haben viele Stunden unseres Lebens dort verbracht und Wintersport betrieben. Mein Großvater war ein leidenschaftlicher Langläufer, und ich habe über die Jahre immer weiter meine Skifahrkünste optimiert“, erzählt die 31-Jährige. Es sei die Heimat, die den Menschen präge, und sie sei ein wichtiger Bestandteil, wenn man den Menschen gegenüber besser verstehen wolle. Besonders, wenn die Diagnose Demenz plötzlich ins Leben trete. Um gemeinsam mit den Liebsten in Erinnerungen einzutauchen, sei der Heimatort der perfekte Ausgangspunkt.

Immer häufiger trifft die Diagnose Demenz eine Familie. Aktuell gibt es 1,8 Millionen Menschen mit Demenz in Deutschland. Lena Schmidts Großvater Michel war einer davon, und seine Diagnose hat sie angespornt, die gemeinsame Zeit bestmöglich zu nutzen. Familien, deren Angehörige von Demenz betroffen sind, kennen das: Durch die demenzielle Veränderung bewegen sich die Wahrnehmungen immer weiter auseinander.

Lena Schmidts Großvater Michel hat im Sommer draußen Schnee gesehen. Statt ihn zu korrigieren, hat sie gelernt, auf seine Realität einzugehen und ihn von der gemeinsamen Leidenschaft Wintersport erzählen lassen. Das hat ihn spürbar aufblühen lassen und durch die Kraft der gemeinsamen Erinnerung einen kurzen Moment der Nähe und Verbundenheit zwischen Großvater und Enkelin erschaffen.

Die Liebe zu ihrem inzwischen verstorbenen Großvater hat den Blick der 31-Jährigen auf die Welt verändert. Sie kündigt ihren Job als Unternehmensberaterin und gründet ihre eigene Firma: die JUPP GmbH. Das Ziel: Familien ein gutes Leben mit Demenz zu ermöglichen. „Aus meiner Erfahrung ist Gesundheit nicht die Garantie für ein gutes Leben. Für mich geht es darum, Jahre zu erleben, auf die man gerne zurückblickt, und die gemeinsame Zeit bestmöglich zu nutzen.

Menschen mit Demenz sind umso mehr darauf angewiesen, dass wir ihnen auf Augenhöhe begegnen und positive Impulse einbringen“, beschreibt Lena Schmidt ihre Firmenphilosophie. Unter dem Dach von JUPP entwickelt die gebürtige Willingerin gemeinsam mit ihrer Co-Gründerin Corinna Northe Produkte, die Menschen mit Demenz helfen, sich besser im täglichen Leben zurechtzufinden.

Das Achtsamkeitstagebuch

Den Anfang der Produktreihe macht das Achtsamkeitstagebuch „Heute ist ein schöner Tag“. Die Praxis zeigt, dass es Angehörigen oft schwerfällt, im Gespräch mit Menschen mit Demenz die passenden Themen zu finden. Das leuchtend-gelbe Büchlein setzt genau hier an und fungiert als eine Art Brücke, um ins Gespräch zu kommen. „Menschen mit Demenz haben bis zum Ende zahlreiche kostbare Erinnerungen abgespeichert.

Eine Seite aus dem Achtsamkeitstagebuch „Heute ist ein schöner Tag“. Es fungiert als eine Brücke, um mit Demenzkranken ins Gespräch zu kommen. Fotos: JUPP/Schall und Schabel
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Mit gemeinsamen Unternehmungen, Geschichten aus der Vergangenheit und viel Humor können Familienangehörige an diese Erinnerungen anknüpfen und ein kleines Stück Unbeschwertheit zurückholen“, ist sich Lena Schmidt sicher. Es gebe so viel, was für Menschen mit Demenz noch möglich sei. Natürlich sei der Verlauf jeder Demenz individuell, doch es gebe immer etwas Schönes, worauf man den Fokus lenken könne.

Mittlerweile hat Lena mit ihrem Mann in Köln ein neues Zuhause gefunden, doch die Heimat ist der Westerwald. Regelmäßig besucht sie dort ihre Familie, vor allem die 93-jährige Oma Resi. Oft gehen sie dann gemeinsam auf den nahe gelegenen Friedhof in Stein-Neukirch und bringen Opa Michel frische Blumen ans Grab. wez/red

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