Die Staatsanwaltschaft wirft einem Mitarbeiter und einer Mitarbeiterin des früheren AWO-Kreisverbandes Westerwald vor, zwischen Dezember 2011 und August 2014 in 101 Fällen gemeinschaftlich und gewerbsmäßig gegenüber dem Kuratorium Deutsche Altershilfe (KDA) Wilhelmine-Lübke-Stiftung Seminare im Bereich der Seniorenarbeit vorsätzlich falsch abgerechnet und bei jeder Abrechnung den Tatbestand des Betruges in einem besonders schweren Fall erfüllt zu haben. Der Stiftung soll dadurch ein Schaden von rund 260.000 Euro entstanden sein.
Die Lübke-Stiftung hatte damals AWO-Seminare zur Schulung von „Alltagshelfern“ abhängig von der Teilnehmerzahl bezuschusst. Dabei sollen die beiden Mitarbeiter der AWO-Kreisgeschäftsstelle in Wirges die Seminarunterlagen über Jahre manipuliert und dabei die Namen sowie die Anzahl von Seminarteilnehmern falsch angegeben haben.
Auf diese Weise tauchten in den Teilnehmerlisten Namen von Personen auf, die in Wirklichkeit nie an den Seminaren teilgenommen haben. Dadurch erlangte der Kreisverband zu Unrecht Zuwendungen der privaten Stiftung. Dieses „KDA-System“ soll nach Informationen unserer Zeitung in Altenkirchen aufgebaut und danach in den Westerwald mitgebracht worden sein.
Versuchter Prozessbetrug?
Neben diesen Betrugsvorwürfen besteht gegen einen der beiden Mitarbeiter zudem der Verdacht des versuchten Prozessbetruges zum Nachteil des Kreisverbandes, weil er in einem vom Insolvenzverwalter gegen ihn angestrengten Zivilprozess die Verantwortlichkeiten für die Betrugstaten bewusst falsch dargestellt haben soll, führte Oberstaatsanwalt Kruse weiter aus.
Der Mitarbeiter war darüber hinaus bei der „AWO Bildung und Arbeit Westerwald gGmbH“ in Quirnbach, deren alleiniger Gesellschafter der AWO-Kreisverband Westerwald war, beschäftigt. In dieser Funktion und als Mitarbeiter des Kreisverbandes soll er bei zwei heimischen Handwerksbetrieben zwischen Mai 2013 und Februar 2015 Bauleistungen in Auftrag gegeben haben, die die gemeinnützige Gesellschaft infolge ihrer Insolvenz nicht bezahlen konnte.
Weil die drohende Zahlungsunfähigkeit des Kreisverbandes nach Bekanntwerden der Betrugsserie absehbar war, wirft die Staatsanwaltschaft dem Mitarbeiter Betrug zum Nachteil der Bauhandwerker in drei Fällen vor. Der Schaden liegt bei rund 25.000 Euro.
Zusätzlich soll der beschuldigte Mitarbeiter die Kapitaldienstfähigkeit der gemeinnützigen Tochtergesellschaft in Verhandlungen über eine Bürgschaft der Investitions- und Strukturbank Rheinland-Pfalz (ISB) vorsätzlich falsch dargestellt haben; denn der Angeklagte verschwieg damals die Betrugsserie zum Nachteil der Lübke-Stiftung. Auch dies bewertet die Staatsanwaltschaft als Betrug. Der Schaden der ISB liegt bei rund 28.500 Euro.
Dem ehemaligen Vorstandsmitglied des AWO-Kreisverbandes Westerwald, das nach Angaben der Staatsanwaltschaft nicht an den Betrugstaten beteiligt war, legen die Koblenzer Ermittler gleichwohl zur Last, nach Aufdeckung des Abrechnungsbetruges Ende 2014 die Verantwortlichkeiten erkannt und trotzdem bewusst unrichtige Angaben über die Verantwortlichen gegenüber der Stiftung und dem Insolvenzverwalter gemacht zu haben.
„Dieses Verhalten bewertet die Staatsanwaltschaft als einen erneuten Betrug zum Nachteil der Stiftung, als Verheimlichen von Vermögenswerten, nämlich von Regressansprüchen, und als Verschleierung der wirtschaftlichen Verhältnisse des AWO-Kreisverbandes Westerwald“, betonte Kruse. Dies verwirkliche den Tatbestand des Bankrotts, so der Behördenleiter. Das ehemalige AWO-Vorstandsmitglied und einer der angeklagten Mitarbeiter des Kreisverbandes sollen darüber hinaus in zehn Fällen den Arbeitnehmeranteil zur Sozialversicherung nicht abgeführt haben. Der Schaden wird mit weiteren 3800 Euro beziffert.
Betrügerische Machenschaften auch bei der Arbeiterwohlfahrt im Kreis Altenkirchen
Die Arbeiterwohlfahrt im Kreis Altenkirchen wandte das betrügerische „KDA-System“ offenbar zeitgleich an: Die Anklage legt hier zwei früheren Mitarbeiterinnen und drei ehemaligen Vorstandsmitgliedern des AWO-Kreisverbandes zur Last, „als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Betrugstaten verbunden hat, das Kuratorium Deutsche Altershilfe Wilhelmine-Lübke-Stiftung in 70 Fällen zwischen Dezember 2011 und Februar 2015 durch vorsätzliche falsche Abrechnung von Seminarteilnehmern um insgesamt 363.000 Euro betrogen zu haben“, teilte Oberstaatsanwalt Kruse mit. Die Verantwortlichen des Altenkirchener Kreisverbandes sollen wie ihr Westerwälder Pendant die Teilnehmerzahlen der Seminare zu hoch abgerechnet haben.
Ein weiterer Mitarbeiter des AWO-Kreisverbandes Altenkirchen soll an den Machenschaften bis zu seinem Ausscheiden aus dem Kreisverband Anfang 2013 beteiligt gewesen sein. Den drei Mitarbeitern des AWO-Kreisverbandes legt die Anklage gewerbsmäßiges Vorgehen zur Last, weil sie nicht fremdnützig zugunsten des Verbandes, sondern auch im eigenen wirtschaftlichen Interesse handelten.
Darüber hinaus sollen zwei der Vorstandsmitglieder und eine Mitarbeiterin dafür verantwortlich sein, dass kurz nach dem Insolvenzantrag des Kreisverbandes im November 2015 1525 Euro von einem Bankkonto des Kreisverbandes abgehoben und nicht in die Insolvenzmasse weitergeleitet wurden.
Durch die Betrügereien beider Verbände ist ein Schaden von rund 680.000 Euro entstanden. Wann der Prozess eröffnet wird, ist zurzeit noch unklar.
Der frühere SPD-Landtagsabgeordnete Thorsten Wehner muss sich vor Gericht verantworten
Der frühere AWO-Kreisvorsitzende und SPD-Landtagsabgeordnete Torsten Wehner gehört zu den Beschuldigten in einem Betrugsskandal um kriminelle Abrechnungsmachenschaften, gegen die nun die Staatsanwaltschaft Koblenz Anklage vor der Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Koblenz erhoben hat. Dies hat Wehner selbst der Zeitung „Die Rheinpfalz“ bestätigt, wie das Blatt berichtet.
Er war wenige Wochen vor der Landtagswahl 2016 als Vorsitzender des AWO-Kreisverbands Altenkirchen ins Visier der Ermittler geraten, seine Immunität wurde in der Folge aufgehoben. Er wurde in seinem Wahlkreis noch einmal wiedergewählt, legte sein Mandat jedoch im November 2016 nieder. Zuvor war bekannt geworden, dass im Handbuch des Landtags als Berufsbezeichnung „Diplom-Mathematiker“ stand, Wehner sein Studium jedoch nie abgeschlossen hat.