Fotokunst aus Hillscheid
Momentaufnahme: Porträt wird auf Nassplatte lebendig
15 Kilo wiegt die Kamera von Arthur Jakubowski, die original vom Ende des 19. Jahrhunderts stammt und von ihm liebevoll restauriert wurde.
Sascha Ditscher

Arthur Jakubowskis Porträts sind mehr als nur Abbildungen. Seine Nassplattenfotografien sind Fenster in eine Welt, in der das Wesen der Menschen eingefangen wird – nicht mit Pixeln, sondern mit Chemie, Licht und Leidenschaft.

Betritt man Arthur Jakubowskis Studio in seinem Haus in Hillscheid, wird man in die Vergangenheit katapultiert. Eine Biedermeier-Kommode, ein Jugendstil-Sofa, eine historisch anmutende Tapete, Schwarz-Weiß-Bilder in dicken goldenen Rahmen und antike Fotoapparate aus Holz mit mächtigen Objektiven tragen mit zu diesem Gefühl bei. Arthur Jakubowski ist ein Künstler, der die Geschichte in die Gegenwart holt – ein Fotograf, der Porträts mit einer Technik erstellt, die vor über 150 Jahren ihre Blütezeit erlebte: der Nassplattenfotografie.

Diese besondere Art der Fotografie, die 1851 erfunden wurde, hat er vor fünf Jahren für sich entdeckt. Sie ist seine große Leidenschaft geworden. Nun hat der Zahntechniker sein Hobby sogar als Gewerbe angemeldet. „Ich liebe die einzigartigen Porträts, die so entstehen.“ Vornehmlich Freunde und Bekannte lichtet er auf diese spezielle Weise ab. „Bisher hatte ich wenige vor der Linse, die ich nicht kenne. Es sind Leute mit einer gesunden Lebenseinstellung, die nicht jeden digitalen Quatsch mitmachen. Sie lesen, besuchen Kunstausstellungen und schätzen handgemachte Musik. Es sind neugierige Menschen, die Handwerk mögen.“ Seine Kunden verschenken die Porträts oft als Geburtstags- oder Weihnachtsgeschenk.

Die vorbereitenden Arbeiten vor dem eigentlichen Foto nehmen viel Zeit in Anspruch.
Sascha Ditscher

Für ein einziges Bild braucht Arthur Jakubowski rund eine Stunde. Dann hält der Kunde eine Glasplatte mit seinem Konterfei in Händen – die Jahrzehnte, ja sogar Jahrhunderte überdauern und von Generation zu Generation weitergegeben werden kann. „Wenn man sie nicht fallen lässt“, schränkt der Hillscheider lachend ein. „Ich möchte meinen Kunden ein physisches Bild mitgeben, nicht nur eine Datei, von der ich nicht weiß, ob man sie in zehn Jahren überhaupt noch öffnen kann.“ Und weiter sagte er: „Mich faszinieren die Unmittelbarkeit des analogen Prozesses, die Unvorhersehbarkeit und die einzigartigen Ergebnisse, die sich mit digitalen Mitteln nicht erzielen lassen. Während digitale Bilder im Sekundentakt entstehen und wieder verschwinden, nehme ich mir Zeit für jeden einzelnen Schritt im Nassplattenprozess. Damit zeige ich auch meine Wertschätzung für den Porträtierten.“

Mit der Nassplattenfotografie bannt der Hillscheider Bilder auf Glasplatten, die mit einer lichtempfindlichen Silber-Kollodiumschicht überzogen sind. Jeder Schritt, von der Vorbereitung der Glasplatten bis zur Entwicklung in der Dunkelkammer, ist ein handwerklicher Prozess, der das Endergebnis maßgeblich beeinflusst. „In einer Welt, in der alles schnell und perfekt sein muss, schätze ich die Unvorhersehbarkeit und die kleinen ,Fehler’, die den analogen Prozess so einzigartig machen. Jede Aufnahme ist eine neue Herausforderung, ein kleines Experiment. Ich kann den Prozess zwar steuern, aber nie vollständig kontrollieren. Das macht jedes Bild zu etwas Besonderem. Es ist diese Unwiederholbarkeit, die mich an dieser Technik so begeistert. Jedes Bild ist ein Unikat und ein Moment, der für immer auf Glas gebannt ist.“

Arthur Jakubowski aus Hillscheid ist fasziniert von Porträts mit Nassplattenfotografie.
Sascha Ditscher

Die Nassplattenfotografie löste einst die Porträtmalerei ab. „Es ist eine langsame Kunst“, sagt Jakubowski, während er eine schwere, große Kamera justiert, deren Messingteile im Licht glänzen. Die Kamera sieht aus wie ein Relikt aus einer anderen Zeit, und tatsächlich ist sie es. Sie stammt aus den 1890er-Jahren. Nach langem Suchen hat er sie in Zürich aufgetan, das passende Objektiv fand er in Polen. Mit Liebe, Geduld und Zeit hat er das Holz aufgearbeitet, die Messingbügel nachgeformt und den Faltenbalg aus Leder eingefettet. Die Platten lässt er beim Glaser zuschneiden, die Chemie kann er online bestellen. In der Region ist er der einzige Nassplattenfotograf. Die nächsten Kollegen sind in Köln und Frankfurt ansässig, weiß er.

Schon 30 Jahre lang fotografiert Jakubowski analog im Klein-, Mittel- und Großformat. Früher war er auf Bandfotografie spezialisiert. Seine digitale Phase war kurz. „Das hat mir nie Spaß gemacht“, sagt er. „Analog gibt es unendlich viele Möglichkeiten, ein physisches Bild zu machen. Diese mittlerweile 200 Jahre alte Geschichte der Fotografie will ich lebendig halten. Und ich bin der festen Überzeugung: Ein gutes Porträt kann man nur analog machen.“ Perspektivisch will er sein Studio erweitern und das Labor im angrenzenden Raum einrichten.

Im Fixierbad taucht wie von Zauberhand allmählich das Foto auf.
Sascha Ditscher

Der Porträtierte ist bei jedem Schritt des Entstehungsprozesses dabei. Dieser Erlebnischarakter ist Arthur Jakubowski wichtig. Redakteurin Camilla Härtewig macht an diesem Tag einen Selbstversuch. Zunächst wird die genaue Position für die Aufnahme bestimmt und mit einer Kopfstütze festgehalten, dann wird das weiß-blaue Dauerlicht optimiert, und Arthur Jakubowski stellt die Großformatkamera ein. „Ich konzentriere mich auf die Augen, nur ein paar Millimeter des Gesichts sind scharf“, erklärt er. Dann geht es in den Keller, wo das Kollodium auf die mit Alkohol gereinigte Glasplatte aufgetragen wird. Ein Eiweißgemisch am Rand hält die Flüssigkeit da, wo sie bleiben soll. Dann wird die Platte mehrere Minuten in ein Silberbad getaucht und in eine Holzkassette gelegt. Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Zeit – alles hat einen Einfluss auf das Ergebnis.

Nun muss es schnell gehen. Hinsetzen, die feuchte Platte wird in der Kamera platziert. Während der Aufnahme muss der Porträtierte bis zu zehn Sekunden still halten. Das ist auch der Grund, warum viele auf den Bildern ernst schauen. „So lange ein Lächeln zu halten, kann nicht jeder.“ Dann geht es mit der Glasplatte wieder ab ins Labor, wo das Entwickeln, Wässern und Fixieren erfolgt. Als die Platte im Fixierbad liegt, verschwindet das Bild erst und taucht dann allmählich und ganz akzentuiert wie von Zauberhand wieder auf. Das Gesicht erscheint in unglaublicher Detailtreue, die Augen wirken lebendig, fast so, als blicken sie durch die Zeit hindurch. Es ist, als wäre ein Stück Seele darin eingefangen. Die Unebenheiten der Glasplatte, die feinen Kratzer und der leicht metallische Schimmer verleihen dem Bild eine Tiefe, die moderne Fotografie nur schwer nachahmen kann.

In seinem Labor im Keller werden die Glasplatten zum Leben erweckt.
Sascha Ditscher

Der letzte Schritt nach dem Trocknen ist, die Rückseite der Glasplatte schwarz zu lackieren. So wird aus dem Negativ ein Positiv. Das Verfahren ist nicht nur aufwendig, sondern auch teuer. Jede Aufnahme kostet allein an Materialkosten etwa 20 Euro. „Die ersten 50 Versuche missglückten. Man braucht viel Erfahrung“, so Jakubowski. Doch aufgeben war nie eine Option. „Ich bin Gitarrist, da habe ich Geduld und Ehrgeiz gelernt“, sagt er.

Seine Kunden sind begeistert. So schreibt beispielsweise Janin Brabec auf seiner Homepage: „Was für eine einzigartige Erfahrung. Mir war nicht bewusst, wie spannend diese Art der Fotografie tatsächlich ist. Von Anfang bis Ende zu sehen, wie ein Bild entsteht, war ein so spannendes Erlebnis. Als das erste Bild final sichtbar wurde, war ich sehr berührt. Diese Bilder haben eine Tiefe, die sich nicht beschreiben lässt. Das muss man selbst erleben. Und sogar mein Hund Piet wurde mit mir verewigt. Gepaart mit Arthurs Leidenschaft für seine Art der Fotografie war es ein unglaublich schönes Erlebnis. Danke lieber Arthur. Deine Bilder bekommen einen Ehrenplatz.“

Und das ist das Ergebnis des Selbstversuchs unserer Redakteurin: Das Antlitz von Camilla Härtewig ist auf Glasplatte gebannt.
Arthur Jakubowski

Die Nassplattenfotografie ist mehr als nur ein Handwerk – sie ist eine Philosophie. In einer Zeit, in der Bilderfluten durch soziale Medien rauschen und sich kaum jemand an die Fotos von gestern erinnert, erinnert sie an die Kostbarkeit des Augenblicks. Jedes Bild erzählt eine Geschichte, die von Geduld, Hingabe und dem Wunsch, das Vergängliche festzuhalten, geprägt ist. Arthur Jakubowskis Porträts sind mehr als nur Abbildungen. Sie sind Fenster in eine Welt, in der das Wesen der Menschen eingefangen wird – nicht mit Pixeln, sondern mit Chemie, Licht und Leidenschaft.

Unter www.arthur-jakubowski.com können sich Interessierte über die Arbeit des Hillscheiders informieren und auch einen Termin für ein Porträt vereinbaren.

Verfahren wurde 1851 entwickelt

Die Nassplattenfotografie, oder Kollodium-Nassplattenverfahren, ist ein historisches fotografisches Verfahren aus dem 19. Jahrhundert, das von Frederick Scott Archer 1851 entwickelt wurde. Dabei wird eine Glasplatte mit einer lichtempfindlichen Kollodium-Schicht beschichtet, die noch feucht belichtet und entwickelt werden muss. Innerhalb von Minuten nach der Aufnahme muss dies geschehen – ein Prozess, der sowohl Zeitdruck als auch handwerkliches Geschick erfordert. Das Verfahren bietet eine außergewöhnlich hohe Detailgenauigkeit und wurde häufig für Porträts und Landschaftsaufnahmen verwendet. Aufgrund des aufwendigen Prozesses und der Notwendigkeit einer mobilen Dunkelkammer wurde es später durch trockenere und einfachere Verfahren abgelöst. cam

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