Marion Beuth macht aus ihrer Sehbehinderung eine Gabe für Patientinnen
Mit ihrem Tastsinn erfühlt sie auch Krebs sehr früh: Marion Beuth macht aus ihrer Sehbehinderung eine Gabe für Patientinnen
An diesem Torso hat Marion Beuth das optimale Anbringen der Orientierungs- und Dokumentationsstreifen geübt. Dieses „Koordinatensystem“ ermöglicht ihr, Lage und Größe von Auffälligkeiten genau zu bestimmen. Foto: privat

Westerwaldkreis. Fast so groß wie eine Walnuss ist eine Geschwulst in der Brust, wenn eine Frau sie bei der Selbstuntersuchung ertasten kann. Der geschulte Gynäkologe fühlt auch Veränderungen, die etwa die Größe einer Erdnuss haben. Doch es gibt – mittlerweile auch im Westerwaldkreis im Einsatz – eigens qualifizierte Medizinisch-Taktile Untersucherinnen (MTU), die Raumforderungen schon in der Größe einer winzigen Zuchtperle im Brustgewebe aufspüren können. Diese Methode nutzt den überlegenen Tastsinn sehbehinderter Frauen. „So kann ich aus meinem Handicap eine Gabe machen“, sagt Marion Beuth, die einzige MTU, die in Rheinland-Pfalz tätig ist: Mit Frauenärzten in Höhr-Grenzhausen und in Mayen arbeitet sie zusammen.

Lesezeit 2 Minuten

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, sich zur MTU ausbilden zu lassen?

Ich habe eine Fernsehdokumentation gesehen, die sofort mein Interesse geweckt hat. In einer Phase, als mein Handicap mir die Arbeit im Büro zunehmend erschwert hat, traf ich die Entscheidung, diesen neuen Weg einzuschlagen.

Hatten Sie eine medizinische Vorbildung?

Nein, ich war im kaufmännischen Bereich tätig. Was mich gereizt hat, war, mein Handicap zum Nutzen anderer einzusetzen.

Sind Sie vollständig blind?

Nein, ich habe 5 Prozent Sehkraft. Ich bin als Frühchen zur Welt gekommen, und eine Überdosis an Sauerstoff hat meine Sehnerven geschädigt. Bei der Untersuchung gehe ich aber genauso vor wie meine blinden Kolleginnen.

Wie verlief die Fortbildung?

Sie dauerte neun Monate. Am Anfang stand eine sechsmonatige theoretische Qualifizierung in Nürnberg. In Erlangen bekamen wir für eine Woche Gelegenheit, Patientinnen im Brustkrebszentrum mit deren Einverständnis kennenzulernen. Der Einblick in die Schicksale war aber teils auch sehr belastend. Es folgte eine theoretische Abschlussprüfung. Im Anschluss folgten drei Monate Praktikum in heimischen gynäkologischen Praxen, um die erworbenen Kenntnisse anzuwenden und zu vertiefen. Dieser praktische Teil war enorm wichtig für unsere Schulung.

Wie läuft ein Termin bei Ihnen ab?

Vor der eigentlichen Untersuchung stelle ich mich vor und fülle mit der Patientin zusammen einen Anamnesebogen aus, der zum Beispiel Alter, Gewohnheiten, Hormonstatus und Risikofaktoren sowie die Körbchengröße abfragt. Ich erkläre, wie ich untersuche. Dann erst beginne ich mit der Untersuchung.

Wie gehen Sie dabei vor?

Ich erfühle zunächst die Brust als Ganzes, zum Beispiel die Symmetrie und Wärmeunterschiede der Haut – weil dies schon Hinweise auf Besonderheiten geben können. Ich ertaste die Lymphknoten am Hals und in den Achseln sowie die Leitungssysteme an den Schlüsselbeinen. Erst dann geht es an die Untersuchung des Brustgewebes. Dazu markiere ich den Brustkorb mit fünf selbstklebenden Orientierungs- und Dokumentationsstreifen. Diese ermöglichen mir die genaue Lokalisierung von Auffälligkeiten gegenüber dem Arzt.

Wie geht es weiter, wenn Sie Ihre Untersuchung abgeschlossen haben?

Auf die Untersuchung folgt immer ein Patientengespräch mit dem Arzt, in dessen Praxis ich tätig bin – unabhängig davon, ob ich eine Auffälligkeit dokumentiere oder nichts festzustellen ist. Ich stelle auch nie eine Diagnose: Das tut nur der Arzt, der gegebenenfalls auf der Grundlage meiner Beobachtungen weitere Untersuchungen vornimmt.

Und wenn Sie eine Auffälligkeit feststellen?

Dann ist der Arzt gefragt, der ohnehin nach der Untersuchung mit der Patientin spricht. Übrigens können sich von mir auch Frauen untersuchen lassen, die nicht Patientinnen des Arztes sind, bei dem ich mit meinem Angebot angesiedelt bin. Dennoch findet das Anschlussgespräch immer mit dem Frauenarzt statt, in dessen Praxis meine Untersuchung stattfindet, das ist verpflichtender Bestandteil der Taktilen Untersuchung sowohl für mich als auch für den Arzt.

Das Gespräch führte Katrin Maue-Klaeser

Top-News aus der Region