Marienstatter Zukunftsgespräche geben gerade in der aktuellen Krise Anregungen für nachhaltiges Handeln in der Region
Marienstatter Zukunftsgespräche: Mit Pflanzen können Wäller Politik machen
Mit ihren Kleidern aus gebrauchten Stoffen, die von regionalen Models präsentiert werden, setzt Sinah Schlemmer aus Welschneudorf nicht nur auf Wiederverwertung, sondern hilft auch dem (Wester-)Wald. Foto: Alea Horst
Alea Horst

„Die politische Pflanze im Westerwald“ – unter diesem Motto stand die 18. Auflage der Marienstatter Zukunftsgespräche, die aber erneut nicht in der Abtei, sondern online durchgeführt wurden. Dieses auf den ersten Blick doch ziemlich sperrige Thema soll ausgerechnet für die bekannte Tagung zur regionalen Entwicklung taugen?

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Olaf Riesner-Seifert

Das fragten sich wahrscheinlich die meisten der Teilnehmenden, wurden dann aber von fast allen Referenten ganz schnell auf dem Boden der lokalen Tatsachen abgeholt und bekamen die unterschiedlichsten Ideen, wie sich gerade mit Pflanzen nachhaltiges Handeln in der Region bewerkstelligen lässt. Und das oft genug mit einem gar nicht mal so großen Aufwand.

„Neben botanischer Schönheit, Nahrungsvielfalt und Ökosystemdienstleistungen haben Pflanzen auch eine große politische und gesellschaftliche Bedeutung, die uns oft gar nicht bewusst ist“, hatte Moderator Ulli Gondorf schon zu Beginn der Zukunftsgespräche gesagt. Doch bevor es ganz konkret und ganz regional wurde, ohne dass der oft globale Zusammenhang vernachlässigt wurde, stand nach dem Videogrußwort von Klimaschutzministerin Katrin Eder erst mal die weltweite Einordnung der politischen Pflanzen wie Kaffee, Schokolade und Zucker.

Die nahm sehr anschaulich Prof. Bernd Overwien von der Uni Kassel vor. Schon näher an den Westerwald ging's mit dem Mainzer Vielfaltsgarten, den Dr. Ute Becker von der Uni Mainz vorstellte und dabei auch an das Thema der letztjährigen Marienstatter Zukunftsgespräche, den Boden, anknüpfte. Der von der Johannes-Gutenberg-Universität und der Landeszentrale für Umweltaufklärung betriebene Vielfaltsgarten ist praktisch die Grüne Schule im Botanischen Garten Mainz. „Dort führt aktives Handeln zu neuem Wissen“, machte Becker deutlich und demonstrierte mit Bildern, wie sich bestimmte Pflanzen auf unterschiedlichen Böden und bei wechselnden Umweltbedingungen entwickeln.

„So viel wie nötig und so wenig wie möglich.“

Iris Franzen, Natur- und Landschaftsführerin sowie Kräuterexpertin aus Bad Marienberg

„Aus Alt mach Schick“ ist das Credo von Sinah Schlemmer mit ihrem Unternehmen Amaran Creative in Welschneudorf. Der Modeexpertin geht es gegen den Strich, dass viele Stoffe, die aus Baumfasern (unter anderem heimischen Buchen) hergestellt werden – zum Beispiel Viskose, Modal, Rayon oder Lyosell – und auch aus Baumwolle nach ihrer Verwendung als Kleidungsstücke entsorgt werden. Sie macht deshalb zum Beispiel aus gebrauchten Krawatten modische Kleider. Doch das ging ihr noch nicht weit genug, als ihr immer stärker bewusst wurde, dass insbesondere der Fichtenwald in ihrer Heimat dem Borkenkäfer und damit auch dem Klimawandel zum Opfer fiel. So handelte sie dann auch lokal noch politischer: Durch den Verkauf ihrer Upcycling-Kollektion trug sie mit dazu bei, dass drei Hektar Wald in ihrer wieder aufgeforstet wurden. Damit wollte sie nicht nur auf das Waldsterben aufmerksam machen, sondern auch ein Statement gegen Ressourcenverschwendung setzen.

Ganz praktisch, sofern das online überhaupt möglich ist, wurde es beim Vortrag von Jaqueline Monjeamb-Schulte von der Netzwerkinitiative Sevengardens ins Windeck. Sie zeigte, dass Farben nicht künstlich hergestellt oder von weither importiert werden müssen, sondern meist ganz einfach aus heimischen Pflanzen wie Rotkohl oder farbigen Blütenblättern gewonnen werden können. Um diese Pflanzenfarben ganz natürlich ohne Chemie herzustellen, reicht der Druck mit den Fingern, mit einem Stein oder Hammer auf einem Blatt Papier.

Mit ihren Kleidern aus gebrauchten Stoffen, die von regionalen Models präsentiert werden, setzt Sinah Schlemmer aus Welschneudorf nicht nur auf Wiederverwertung, sondern hilft auch dem (Wester-)Wald. Foto: Alea Horst
Alea Horst

Den Wildkräutern mehr Platz im Garten, in der Küche und auch der Gesundheit zu geben, ist das Ziel von Iris Franzen, Natur- und Landschaftsführerin sowie Kräuterexpertin aus Bad Marienberg. Sie machte deutlich, dass ein bunter Vorgarten nicht nur weitaus schöner wie ein Schottergarten ist und auch vielen Tieren Lebensraum bietet, sondern die dort wachsenden Pflanzen oft auch direkt in der Küche oder für die Körper- und Gesundheitspflege wiederverwendet werden können. „Essbare Wildkräuter stehen uns fast rund ums Jahr kostenlos zur Verfügung und überzeugen als heimisches Superfood“, betonte die Expertin. Aber auch bei der Ernte oder dem Sammeln von Wildpflanzen müsse auf Nachhaltigkeit geachtet werden: „So viel wie nötig und so wenig wie möglich.“

Gerade in der aktuellen Krise mit knapper und immer teurer werdenden Nahrungsmitteln bekommt die lokale Produktion wieder eine viel stärkere Bedeutung. Ein gutes Beispiel dafür ist der Feldgarten Ingelbach, den Olaf Riesner-Seifert, detailliert und mit vielen Fotos vorstellte. Dort wird ein wechselndes Stück Land, das Landwirte zur Verfügung stellen, von einer Gruppe von Menschen für den Anbau von Gemüse und mehr genutzt. „Das ist aus verschiedenen Gründen eine politische Entscheidung“, so Riesner-Seifert, mit der man wie Raiffeisen den gesellschaftlichen Wandel leben könne.

„Wie politisch ist Holz?“

Nach einem Ausflug unter dem Motto „Naturschutz ohne Grenzen“ ins Buchholzer Moor mit Robert Klein vom Arbeitskreis für Natur- und Umweltschutz Asbacher Land dedauerte Feldbotaniker Dr. Patrick Kuss aus Freiburg, dass immer mehr Menschen keine Tier- und Pflanzenarten mehr erkennen können. Dieses Wissen sei aber oft auch Voraussetzung für viele politische Entscheidungen. Kuss zeigte Wege auf, wie man zum professionellen Artenkenner werden kann.

Ins politische Feld der Verwendung eines anderen Pflanzenproduktes, nämlich Holz, leitete Stefan Glässner, Klimaschutzmanager der Kreisverwaltung Altenkirchen, über. Unter der Überschrift „Gelungene Holzwege“ führte er vor, wie aus heimischem Holz nicht nur Nahwärme erzeugt wird, sondern man damit auch auf dem Weg zur Klimaneutralität weiterkommt.

„Wie politisch ist Holz?“, fragte zum Abschluss Forstmann Hannsjörg Pohlmeyer vom Holzbau-Cluster Rheinland-Pfalz und schlug damit noch einmal den Bogen zur weltweiten Pflanzen-Politik, da Westerwälder Holz ja bis nach China exportiert wird und andere Hölzer aus der ganzen Welt importiert werden. Da stelle sich zum Beispiel die Frage, ob man Westerwälder Baumstämme, wirklich in alle Welt verkaufen muss, wenn sie auch in der Region selbst zu verarbeiten seien. Auch dabei könnten politische Entscheider auf Regionalität und damit Nachhaltigkeit setzen.

Von Markus Müller

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