Sozialarbeiterinnen an Oberwesterwälder Grundschulen nehmen Arbeit wieder auf - Sorge um langfristige Folgen der Schließungen
Kinderschutz zwischen Distanz und Herzlichkeit: Sozialarbeiterinnen an Oberwesterwälder Grundschulen nehmen Arbeit wieder auf
Sandra Fischer

Westerwaldkreis. „Schule ist aktuell nicht mehr der Ort, der er mal war“ – Kerstin Gräter und Manuela Schmidt, die als Sozialarbeiterin und Sozialpädagogin an den Grundschulen Hachenburg, Alpenrod, Müschenbach und Kroppach in den Kinderbüros Ansprechpartnerinnen für die Sorgen und Nöte der Kinder und auch deren Eltern sind, finden klare Worte einen Monat nach der limitierten Wiederöffnung der Schulen.

Lesezeit 4 Minuten

Die Orte, die sonst mit viel Leben und Kinderlachen gefüllt sind, muten wie Gefahrenzonen an. Absperrbänder weisen Einbahnsysteme aus, Abstandsmarkierungen sind aufgeklebt, die Kinder und Lehrkräfte sind mit einem rigorosen Händewasch- und Maskenregime konfrontiert. Die Mitarbeiterinnen des Kinderschutzbundes sind überrascht, wie gut sich die Kinder an die Regeln halten. „Die haben gemerkt, irgendetwas ist hier los, sonst würde ja nicht so ein Aufwand betrieben. Hier passiert etwas Ernstes“, berichtet Kerstin Gräter.

Nach monatelangen Schulschließungen und Homeschooling haben Gräter und Schmidt endlich wieder Zugang und Kontakt zu „ihren“ Schützlingen. Erste Eindrücke? Die Kinder seien ernster als sonst, mehr in sich zurückgezogen, bilanzieren sie. Zudem gebe es weniger Konflikte zwischen Schulkameraden. Das könne aber auch daran liegen, dass zurzeit nur sehr wenige Schüler vor Ort seien. „Das ist ja kein normaler Alltag“, stellt Schmidt fest. Man merke, mit wie wenig die Schüler im Moment zufrieden sind. „Die sind einfach nur froh, dass sie ihre Freunde und auch die Lehrer endlich wiedersehen dürfen. Enttäuschung gibt es nur, wenn dann die Klasse geteilt wurde und die beste Freundin in der Parallelgruppe gelandet ist.“

Bei all den Grundschülern, die die beiden betreuen, sind natürlich auch ein paar Sorgenkinder dabei, Kinder, die im häuslichen Umfeld emotional vernachlässigt werden oder Gewalt erleben. Diese über Monate hinweg ohne Ansprechpartner, ohne die staatliche Wächterfunktion zu wissen, hat ihnen viel Bauchweh bereitet. Denn unter den erschwerten Bedingungen in Coronazeiten, wo Familien teilweise auf engstem Raum „eingesperrt“, Existenzsorgen und vermehrtem Stress ausgesetzt sind, kommt es häufiger zu Gewalt im häuslichen Umfeld. Und ohne Schule, Kinderbüro oder Freizeit mit Freunden haben die Kinder keine Rückzugsmöglichkeiten aus der Gefahrenzone. Da die Kinder nicht kontaktierbar sind, bleibt das unangenehme Gefühl bei den Kinderbüromitarbeiterinnen.

Dadurch, dass nur eine begrenzte Anzahl Kinder wieder die Schulbank drückt, haben Gräter und Schmidt noch nicht alle ihre Schützlinge wiedergesehen. Bis jetzt zeigten sich aber keine großen Auffälligkeiten. „Die Probleme, mit denen die Kinder zu uns kommen, sind ähnlich wie vor Corona. Aber sie sind auch traurig und verunsichert, haben Angst um die Großeltern und vermissen den Kontakt mit ihnen. Manche Kinder werden zu Hause emotional vernachlässigt und haben vielleicht seit drei Monaten kein liebevolles Wort mehr gehört“, so Kerstin Gräter und ihre Kollegin Manuela Schmidt ergänzt: „Nicht alle Kinder haben es gut daheim, die brauchen einfach ein paar schöne Momente.“ Sie erinnert sich an einen Fall, wo ein Kind mit ausgebreiteten Armen freudig auf sie zulief und offenbar eine Umarmung brauchte. „Das geht ja zurzeit nicht, der enttäuschte Blick des Kindes war wirklich herzzerreißend.“

Auch beim Spielen müssen die Sozialarbeiterinnen kreativ sein, denn Materialien dürfen im Moment nicht ausgetauscht werden. „Da muss man sich was einfallen lassen, wenn man merkt, das Kind braucht das jetzt“, so Schmidt. Auch wenn sie natürlich froh sind, dass die Schulen wieder Tür und Tor geöffnet haben, sind sich Gräter und Schmidt einig, dass die Vorgaben noch nicht ausgereift sind. Jeder versuche aus dieser logistischen und personellen Herausforderung das Beste zu machen, allerdings sei es durch die Coronaregeln schwierig, eine vertrauenswürdige Beziehung mit den Kindern zu führen.

„Die Kollateralschäden werden wir erst später sehen, das dauert, bis sich die Folgen von belastenden Erlebnissen zeigen“, weiß Manuela Schmidt. „Diese Generation wird sich anders entwickeln. Für manche ist Corona eine Chance, und sie gehen gestärkt aus der Krise, wiederum andere haben den Anschluss verloren“, führt sie weiter aus. Auch wenn uns Corona alle betreffe, so herrsche bei den Schülern dennoch bei Weitem keine Chancengleichheit. Das fange mit der technischen Ausstattung zu Hause an und höre bei Sprachschwierigkeiten und bei den Eltern auf – manche lehrbegabt und mit viel Zeit und Lust, sich um das Homeschooling der Sprösslinge zu kümmern, manche überfordert und am Ende ihrer Kräfte. Auch da kam das Kinderbüro ins Spiel und beriet Eltern, die sich der Situation nicht gewachsen fühlen.

„Kinder brauchen Richtlinien, feste Strukturen, die ihnen Sicherheit geben“, betont Gräter. „Bisher war ein Teil dieser Routine ein strukturierter Schulalltag. Corona hat alles auf den Kopf gestellt. Jetzt ist unklar, wie es in den nächsten Wochen und Monaten zu Hause und in der Schule weitergehen wird.“ Corona wird also so schnell nicht vergessen sein und die Auswirkungen noch lange spürbar. Die Kinder setzen sich derweil manchmal durchaus kreativ mit dem Virus auseinander: „Was mag Corona denn? Dann können wir es damit locken und dann verbrennen“, meinen die einen, während die anderen schon eifrig Pläne schmieden. „Wenn Corona erst vorbei ist, dann ...“

Vier Mitarbeiterinnen des Kinderschutzbundes (KSB) Hachenburg sind in Kinderbüros in acht Grundschulen der Verbandsgemeinde Hachenburg regelmäßig tätig. Infos und Kontakt sind möglich über die Internetseiten der jeweiligen Schulen oder des KSB sowie unter Telefon 02662/5678.

Von unserer Mitarbeiterin Sandra Fischer

Top-News aus der Region