Steigende Krankenstände sind kein allein deutsches Phänomen – doch die Bundesrepublik führt die Statistik in Europa mit rund 20 Krankheitstagen pro Jahr an. Vor diesem Hintergrund hatte sich Oliver Bäte, CEO des Allianz-Versicherungskonzerns, rund 50 Jahre nach dessen Abschaffung für eine Wiedereinführung des Karenztags ausgesprochen. Sein Vorschlag: Am ersten Krankheitstag soll dem Arbeitnehmer kein Lohn gezahlt werden. In der Bundespolitik ist seither eine Debatte um die Wiedereinführung des unbezahlten Karenztags im Krankheitsfall entbrannt. Wir haben die heimischen Direktkandidaten für den Bundestag gefragt: Wie stehen Sie zu einer Einschränkung der Lohnfortzahlung?
Harald Orthey (CDU): Ich halte eine Einschränkung der Lohnfortzahlung durch einen unbezahlten Karenztag für den falschen Ansatz. Natürlich sind hohe Fehlzeiten eine Herausforderung für Unternehmen und die Wirtschaft, aber die Lösung kann nicht darin bestehen, kranke Arbeitnehmer finanziell zu bestrafen. Wer krank ist, sollte sich auskurieren können, ohne sich Sorgen um Lohneinbußen machen zu müssen. Ein Karenztag würde dazu führen, dass Menschen trotz Krankheit zur Arbeit gehen, was gesundheitliche Risiken birgt – sowohl für die Betroffenen selbst als auch für ihre Kolleginnen und Kollegen. Gerade bei ansteckenden Krankheiten kann dies zu noch höheren Ausfällen und langfristig zu höheren Kosten für das Gesundheitssystem und die Wirtschaft führen.
Tanja Machalet (SPD): Die Abschaffung des Karenztages war eine wichtige sozialpolitische Errungenschaft. Die darf im Interesse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht zurückgenommen werden. Wer krank wird, soll nicht noch durch eine finanzielle Einbuße „bestraft“ werden. Die Wiedereinführung des Karenztages wird im Übrigen dazu führen, dass mehr Menschen krank zur Arbeit gehen und ihre Kolleginnen und Kollegen anstecken. Das ist auch nicht im Interesse der Unternehmen.
Pierre Fuchs (FDP): Ich lehne eine pauschale Einschränkung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ab, da sie zu Ungerechtigkeiten führen und das Vertrauen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern untergraben könnte. Stattdessen unterstütze ich Anreizmodelle, wie sie von der FDP vorgeschlagen werden, bei denen Arbeitgeber für Krankheitsfreiheit einen Bonus gewähren können. Dies motiviert zu mehr Eigenverantwortung und fördert eine gesunde Arbeitskultur, ohne Arbeitnehmer zu bestrafen, die krankheitsbedingt ausfallen. Ein solcher Bonus sollte steuer- und abgabenfrei sein, um einen echten Anreiz zu schaffen.
Yannik Maaß (Bündnis 90/Die Grünen): Davon halte ich nichts – wer krank ist, ist krank. Im Krankheitsfall sich noch zum Beispiel als Arbeiter*in Gedanken machen zu müssen, ob das Geld am Ende des Monats noch reicht, kann nicht das Ziel der Politik sein.
Heiko Murrmann (Freie Wähler): Wer in das Sozialsystem eingezahlt hat, dem stehen auch Leistungen aus dem Sozialsystem zu. Dies ab dem ersten Tag. Sollte sich Missbrauch der Leistung herausstellen, halte ich eine Rückforderung oder Ausschluss von weiteren Leistungen sinnvoller.
Alina Sandrine Ehard (Die Linke): Die Diskussion um den Karenztag ist natürlich eine, die in der Gesellschaft stark polarisiert. Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Krankheitsfall nicht zusätzlich belastet werden dürfen. Die Lohnfortzahlung sollte ein grundlegendes Recht sein. Eine Einschränkung der Lohnfortzahlung würde die soziale Absicherung der Menschen schwächen, was in Zeiten von unsicheren Arbeitsverhältnissen und steigenden Lebenshaltungskosten besonders problematisch ist.