Hirtenleben im Westerwald
Junger Schäfer: Dafür muss man geboren sein
Mit den Hütehunden Balu und Strolch schreitet Nick Brickmann kräftig aus, um die Schafe vom Oberlahrer Ortsrand zu ihrer Nachtweide zu führen.
Katrin Maue-Klaeser

Nick Brickmann könnte einem Heimatfilm vergangener Jahrzehnte entsprungen sein: Mit klarem Blick und forschem Schritt leitet der 19-Jährige die Schafherde in Richtung ihrer Nachtweide nahe Oberlahr im Kreis Altenkirchen.

Den typischen Lodenhut seines Berufsstandes trägt Nick Brickmann mit der gleichen Selbstverständlichkeit wie den Hirtenstab. Dabei ist er einer der wenigen jungen Menschen, die hierzulande noch den Beruf des Schäfers lernen.

Brickmanns Ausbilder ist Wanderschäfer Erwin Schwarz aus Schönborn im Rhein-Lahn-Kreis – auch er einer der Letzten seiner Zunft. Der 55-Jährige führt seinen Betrieb in vierter Generation. Doch was bringt einen jungen Mann von gerade 19 Jahren dazu, sich einem Beruf zu verschreiben, dem sich mit dem Wolf aktuell ein neues Problem in den Weg stellt?

„Mit sechs Jahren habe ich dann ein eigenes Lämmchen geschenkt bekommen – also hat mein Vater mich eigentlich dazu gebracht, Schäfer werden zu wollen.“
Nick Brickmann

„Mein Vater hat schon Schafe gehalten, als Hobby“, sagt Brickmann, während sein Hund Balu und Schwarz´ Hütehund Strolch um ihn herumtollen. Ihm habe es schon als kleiner Junge Spaß gemacht, den Vater in Vettelschoß (Kreis Neuwied) zu den Schafen zu begleiten. „Mit sechs Jahren habe ich dann ein eigenes Lämmchen geschenkt bekommen – also hat mein Vater mich eigentlich dazu gebracht, Schäfer werden zu wollen“, grinst Nick Brickmann fröhlich.

Seine Eltern hätten diese Entscheidung auch nie wirklich infrage gestellt: „Wenn ich etwas will und mir in den Kopf gesetzt habe, dann mache ich es – egal, ob es schwierig ist oder was andere davon halten“, sagt Nick Brickmann. Dieses Durchsetzungsvermögen und das Vertrauen in eigene Entscheidungen sind sicher gute Voraussetzungen für seinen Beruf, in dem oft allein Entscheidungen getroffen werden müssen, die für das Wohlergehen vieler Hundert Tiere bedeutsam sind.

„Ihm liegt das im Blut.“
Erwin Schwarz über seinen Mitarbeiter, der bei ihm die Ausbildung zum Schäfer abgeschlossen hat.

So sei es „ein himmelweiter Unterschied“ vom Hobby-Schafhalter zum Berufsschäfer, weiß der junge Mann, der seine Ausbildung gerade erfolgreich abgeschlossen hat und mittlerweile für Schwarz ein hochgeschätzter Mitarbeiter ist. Brickmann sagt ernst: „Dafür muss man geboren sein.“ Oder, wie es sein Lehrherr und Chef ausdrückt: „Ihm liegt das im Blut.“ Den Blockunterricht hat Brickmann im bayerischen Triesdorf absolviert – die dortigen Landwirtschaftlichen Lehranstalten sind eine der beiden verbliebenen Berufsschulen für Schäfer, die andere „für die Nordlichter“ ist in Halle.

Offiziell hat Nick Brickmann gerade ausgelernt, nach drei Jahren Ausbildung, „aber man lernt nie aus“, ist er überzeugt. Der Blockunterricht bot neben Politik, Deutsch und Religion Fächer wie Tiergesundheit, Produktion und Vermarktung. Neben der Theorie wurde in der Schulschäferei auch praktisches Wissen vermittelt. Denn der Schäfer muss – nicht nur, aber gerade auf Wanderschaft mit der Herde vom Taunus über den Westerwald – auch Krankheiten und Verletzungen versorgen und Geburtshilfe leisten können.

Meiste Autofahrer warten gelassen ab, bis die Herde vorübergezogen ist

Und dann gibt es all die erwartbaren und überraschenden Begebenheiten, die den Wanderschäfer auf seinem Weg ereilen. Dabei hat es der Schäfer nicht immer nur mit Tieren zu tun – es können auch Menschen sein, die den Hirten vor Herausforderungen stellen. Und insbesondere dem Straßenverkehr kommt die Herde auf ihrem Weg von Weide zu Weide gelegentlich ins Gehege. Wobei die weitaus meisten Fahrer ganz gelassen abwarten, bis der Strom von Schafen um ihr Auto herum abgeebbt ist.

Auch an altgewohnten Strecken können sich immer mal Änderungen ergeben, die der Schäfer auf dem Schirm haben muss. So wurde an einem Spazierweg bei Oberlahr, über den die Herde geführt wird, ein Gartenzaun errichtet, der aber eine Öffnung aufweist. Dort lässt Schwarz Brickmann sich aufstellen, damit die Schafe nicht hinter den Zaun strömen, dann in dem Garten „gefangen“ sind und mühselig herausgetrieben werden müssen. An einem anderen Hof schließt Schwarz rasch das Tor, um die Tiere auf dem Weg zu halten.

„Er kennt die Tiere besser auseinander als ich.“
Lehrherr Erwin Schwarz über Nick Brickmann

Ob Begegnungen mit entnervten Autofahrern oder die Sorge um die Herde angesichts der Ausbreitung des Wolfs: Nick Brickmann schaut optimistisch in die Zukunft. Er folgt seiner Berufung mit beneidenswerter Sicherheit und einem enormen Gespür für die Tiere in seiner Obhut: „Er kennt die Tiere besser auseinander als ich“, staunt Lehrherr Schwarz, der große Stücke auf seinen jungen Mitarbeiter hält.

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