- Landrat Achim Schwickert blickt zurück und nach vorn
In 50 Jahren eine Einheit geworden: 1974 schloss sich der Westerwaldkreis zusammen
Die Verwaltungsmannschaft zum Start des Westerwaldkreises bestand aus rund 300 Bediensteten. Heute arbeiten im Mutterhaus in Montabaur 789 Menschen, im Abfallwirtschaftsbetrieb kommen noch einmal 178 dazu. „Das mit dem Aufbau der Bürokratie hat schon einmal gut funktioniert“, hielt Landrat Achim Schwickert in seiner Rede zum Kreisjubiläum scherzhaft fest. Fotos: Markus Eschenauer
markus Eschenauer

Genau 50 Jahre ist her, als Unterwesterwaldkreis und Oberwesterwaldkreis zusammengelegt worden sind. Leicht war das nicht. Doch mit viel Herzblut, großem Engagement sowie einer gehörigen Portion Weit-, aber auch Einsicht ist in dem halben Jahrhundert eine feste Einheit entstanden: der Westerwaldkreis.

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Die Verwaltungsmannschaft zum Start des Westerwaldkreises bestand aus rund 300 Bediensteten. Heute arbeiten im Mutterhaus in Montabaur 789 Menschen, im Abfallwirtschaftsbetrieb kommen noch einmal 178 dazu. „Das mit dem Aufbau der Bürokratie hat schon einmal gut funktioniert“, hielt Landrat Achim Schwickert in seiner Rede zum Kreisjubiläum scherzhaft fest. Fotos: Markus Eschenauer
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Der besondere Geburtstag wurde am Freitag mit einer Sondersitzung des Kreistags gefeiert. Neben amtierenden Mitgliedern folgten auch zahlreiche frühere Kreispolitiker der Einladung, um sich gemeinsam an den bedeutenden historischen Akt der Zusammenlegung zu erinnern.

Landrat Achim Schwickert sprach zum Abschluss seiner informativen und umfangreichen, dennoch kurzweiligen, teils humorvollen, aber auch mahnenden Rede Worte des Dankes: „An alle Anwesenden heute und auch an die heute nicht mehr anwesende Menschen, die in den letzten 50 Jahren mit dazu beigetragen haben, dass es den Westerwaldkreis gibt und dass er sich so gut entwickeln konnte.“ Zuvor beantwortete der Landrat – auch mit Blick in Protokolle und Geschichtsbücher – vier Fragen, die sich bei einem solchen Jubiläum stellen.

1Wie ist die damalige Zusammenlegung abgelaufen?

„Die Geburt des Westerwaldkreises war bei Weitem nicht so einfach wie bei anderen Landkreisen“, erinnert Schwickert. Während man sich im Unterwesterwald eine Zusammenlegung mit Montabaur als Kreisstadt gut vorstellen konnte, hegten die Menschen im Oberkreis Zweifel, ob ihre Interessen angemessen berücksichtigt würden.

Ein ungewöhnliches Bild: Landrat Achim Schwickert greift bei seiner Rede auf ein Manuskript zurück. Eigentlich ist der Kreischef dafür bekannt, frei zu sprechen, aber dieses Mal solle etwas davon bleiben, habe man ihm gesagt.
Markus Eschenauer

Die Sorge vor einem Zentralitätsverlust in Westerburg ging um. Entsprechend fielen in der Folge auch die Abstimmungsergebnisse in den beiden Kreistagen aus. Das spielte am Ende aber keine wirkliche Rolle.

„Die eigentliche und endgültige Entscheidung hatte sowieso der Landtag Rheinland-Pfalz“, erklärte Schwickert. Mit dem 16. März 1974 waren dann die bisherigen Kreise aufgelöst und der Westerwaldkreis gebildet. Am 18. April 1074 kamen die 49 neu gewählten Kreistagsmitglieder zur konstituierenden Sitzung zusammen – in Anwesenheit von 20 Zuhörern.

Seit der Fusion im Jahr 1974 werden die Geschicke des gemeinsamen Westerwaldkreises von Montabaur aus geleitet.
Markus Eschenauer

Zum 1. August 1974 galt dann auch die Namensänderung von „Landkreis Westerwald“ in „Westerwaldkreis“. Erster gemeinsamer Landrat war Norbert Heinen, der zuvor bereits die Geschicke im Unterwesterwald gelenkt hatte. „Damit waren alle notwendigen Entscheidungen zum Start des Westerwaldkreises getroffen, und man konnte an die Arbeit gehen“, so Schwickert.

2Wie hat sich der Westerwaldkreis in den folgenden Jahren entwickelt?

Die Hauptaufgabe sei es gewesen, aus dem „Kernkreis Westerwald“ einen starken Landkreis mit gemeinsamer Identität zu entwickeln. Es galt, wie Landrat Schwickert, berichtete, „den neu geschaffenen Landkreis zusammenzuführen, ihn zusammenzuhalten und eine starke kommunale Gemeinschaft auszubilden, damit es insbesondere auch an den Rändern nicht zu Ausfransungen kam“.

„Vorbei die Zeit vom Land der armen Leute.“

Ebenso musste der Sorge eines Zentralitätsverlustes von Westerburg entgegengewirkt werden, was in gemeinsamer Anstrengung der örtlichen politischen Vertreter mit dem Land Rheinland-Pfalz auf Grundlage eines Sonderprogramms auch gelang. Aber nicht nur in Westerburg, sondern im gesamten Kreis wurde massiv investiert. Die Gründung der Kreismusikschule ist nur ein Beispiel.

Um einem befürchteten Zentralitätsverlust Westerburgs entgegenzuwirken, wurde einiges in die Region im Oberwesterwald investiert. Beispiele sind die Erweiterung der Bezirke des Amtsgerichts, die Verlegung des Kulturamts von Montabaur nach Westerburg, der Bau der Umgehungsstraße oder der Ausbau des Schulzentrums.
Markus Eschenauer

Von 1985 bis 2009 setzte dann Peter Paul Weinert die Arbeit Norbert Heinens mit großem Engagement und Erfolg fort. Im Jahr 1999 wurde der Westerwaldkreis 25 Jahre jung. Die Entwicklung bis dahin war ausgesprochen positiv. „Vorbei die Zeit vom Land der armen Leute“, konstatierte Schwickert.

Nach 17 Jahren Planungs- und Bauzeit brachte 2002 die Fertigstellung eines Megaprojektes zusätzlichen Schwung in die Region. „Die ICE-Strecke mit dem Bahnhof in Montabaur ist eine Erfolgsgeschichte für den ganzen Westerwald“, betonte Schwickert.

3Wie steht der Westerwaldkreis heute da?

Gleich geblieben seit 1974 ist das Kreisgebiet mit 989 Quadratkilometern (Unterkreis 432 Quadratkilometer, Oberkreis 569 Quadratkilometer). Die Einwohnerzahl ist hingegen von 166.500 auf 208.653 (Stand: 30. Juni 2023) gestiegen. „Einwohnermäßig sind wir der Drittgrößte der 24 Landkreise in Rheinland-Pfalz und von der Finanzkraft her gesehen der Zweitstärkste.“

Ganz toll musikalisch begleitet wurde die Feier dem 50-jährigen Bestehen des Westerwaldkreises von jungen Musikern der Kreismusikschule. Am Flügel spielten Amy Schäfer und Melissa Bischoff ein Duett.
Markus Eschenauer

Die Situation verdient Anerkennung: Es gibt keine Liquiditätskredite, die investive Verschuldung liegt bei 4,1 Millionen Euro, was einer Pro-Kopf-Verschuldung von 19,50 Euro entspricht. Zum Vergleich: 1974 lag diese bei umgerechnet 129 Euro je Einwohner, 1999 bei 307 Euro. Auch wenn die Kreisumlage auf 42 Prozent angehoben wurde, liegt sie immer noch 2,7 Prozentpunkte unter dem Landesschnitt.

Und noch eine aussagekräftige Zahl: Während die Zahl der Betriebe mit rund 5600 gegenüber 1999 nahezu gleich geblieben ist, ist im Jahr 2023 mit 72.372 gegenüber 55.616 im Jahr 1999 (das sind rund 30 Prozent) ein deutlicher Anstieg der Arbeitsplätze zu beobachten.

4Wo könnte oder sollte die Reise in den kommenden Jahren hingehen?

Wenn man die allgemeine Lage in Welt, Europa, Deutschland und Rheinland-Pfalz auf den Westerwald herunterbreche, könnte man Gefahr laufen, „in ein großes Wehklagen einzustimmen“, sagte Schwickert, ergänzte aber direkt: „Das will ich nicht. Das werde ich auch nicht. Es würde ja auch nicht helfen.“ Allerdings sehe er die große Gefahr für diejenigen, die gleichzeitig und mit großem Tempo politisch von oben nach unten weitergegebene Entscheidungen umsetzen sollen. Schwickert appellierte in diesem Zusammenhang an Grundsätze wie „Weniger ist manchmal mehr“, „Eines nach dem anderen“, „Eigenverantwortung macht findig“, „Wenn etwas gut funktioniert, überlege dir gut, ob du es ändert musst“ oder auch „Denke zu Ende, bevor du handelst“. Da sei etwas dran.

Schauspieleinlage zweier Kreistagsmitglieder: Der Westerburger Stephan Krempel (links) sowie Rudolf Schwaderlapp aus Ransbach-Baumbach nahmen humoristisch als Petermann und Till das Thema „Ober- gegen Unterkreis“ aufs Korn – Frotzeleien inbegriffen.
Markus Eschenauer

Im weiteren Verlauf seines Vortrags ging der amtierende Landrat, der dritte von drei, auf Eckpunkte ein, an denen die Politik der vergangenen 50 Jahre mit hoher Kontinuität sowie Durchhaltevermögen ausgerichtet war und auch in Zukunft sein soll. Schwickert nannte die Schaffung, Erhaltung und den Ausbau der Westerwälder Identität sowie einer guten, fairen und stabilen kommunalen Gemeinschaft zwischen Kreis, Verbandsgemeinden, Städten und Ortsgemeinden. Das Motto laute: „Wir sind eine Gemeinschaft. Uns geht es schlecht, wenn es einem von uns schlecht geht.“

Beim Thema Wirtschaft betonte Schwickert, „den Westerwaldkreis als Produktionsstandort infrage zu stellen, hieße, unseren Markenkern aufzugeben“. Da in diesem Bereich viel Energie benötigt wird, müssten nicht nur erneuerbare Energien ausgebaut werden, sondern auch Anschlüsse an die großen Stromtrassen sowie die Gas- und Wasserstoffleitungen erfolgen. Dafür müsse man damit einverstanden sein, dass diese durch den Westerwaldkreis verlegt werden.

Landrat Achim Schwickert nutzte das Kreisjubiläum, um gleich mehrere Kreistagsmitglieder auszuzeichnen, die sich seit vielen Jahren schon in dem Gremium einbringen und engagieren. Urkunden für 30 Jahre ging an Johannes Kempf (CDU) und Hendrik Hering (SPD). Für 25 Jahre wurden Klaus Müller (FWG), Stephan Krempel (CDU), Harald Ulrich (SPD), Peter Müller (FWG) sowie Kai Müller (CDU) ausgezeichnet. In ihren Dankesreden lobten die Geehrten unter anderem die hohe Bedeutung der ehrenamtlichen Kommunalpolitik, die konstruktive Arbeit im Kreistag sowie den, bis auf wenige Ausnahmen, friedlichen Umgang.
Markus Eschenauer

Ähnlich äußerte sich der Landrat auch hinsichtlich einer möglichen Alternativtrasse fürs Mittelrheintal. „Besser dafür und einen Bahnhof oder zumindest eine Zugangsmöglichkeit für die Wirtschaft heraushandeln, als erfolglos dagegen gewesen zu sein. Feste Bestandteile in den Forderungen der Westerwälder Politik müssten der Ausbau der B 255 über den Hahner Stock zur A 45 sowie die Umgehung Rennerod bleiben.

Schnelles Internet, Digitalisierung, Schulen, Kindertagesstätten oder öffentlicher Personennahverkehr: Die Liste der Investitionen ist umfangreich. Die Klammer um diese großen Themenbereiche sind die gesunden Finanzen im Westerwaldkreis. „Ziel muss es sein, diese Stabilität möglichst beizubehalten. Nur so haben wir vorübergehende Handlungsspielräume für schwierige Zeiten. Die Beibehaltung dieses Grundsatzes hat auch heilende Wirkung. Sie schützt vor der Planung oder gar dem Bau von Luftschlössern“, sagte Schwickert.

Für den Erfolg sei es jedoch maßgeblich, dass sich die Westerwälder in ihrer Heimat wohlfühlen. „Wenn wir uns in unserer Heimat wohlfühlen und gern hier leben, sind wir selbst die besten Botschafter, wenn es darum geht, anderen Menschen und insbesondere Fachkräften unsere Heimat schmackhaft zu machen.“

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