Technik
„Wir stellen fest, dass essenzielle Dinge, um Leistungen überhaupt digital anbieten zu können, nicht von den übergeordneten Akteuren bedacht wurden“, sagt Bernhild Rilke vom Fachbereich „Zentrale Dienste“ bei der VG Betzdorf-Gebhardshain. Bedeutet: Für die jetzt anstehende Digitalisierung bedarf es zunächst einmal einer notwendigen, technischen Grundausstattung und Infrastruktur in den Ämtern.
Diese fehle allerdings in den meisten Behörden, wie verschiedene Kommunen aus dem Rhein-Lahn-Kreis, Kreis Altenkirchen und Westerwaldkreis unserer Zeitung auf Nachfrage mitteilen. Konkret mangele es bislang an Basiskomponenten wie digitalen Signatur- und Siegeldiensten, Online-Antragsplattformen, Prozesssoftware, digitalen Nutzerkonten oder elektronischen Bezahlsystemen, mit denen Bürger eine Verwaltungsleistung überhaupt erst online in Anspruch nehmen können.
Ein Problem, das die öffentliche Hand aber bereits erkannt hat. So wurden durch das Land in den vergangenen Monaten sämtlichen Kommunen die ersten Dienste wie Nutzerkonto, Antragsplattform und zentraler E-Rechnungseingang bereitgestellt. „Die anderen Komponenten befinden sich derzeit im Aufbau“, teilt eine Sprecherin des Ministeriums für Arbeit, Soziales, Transformation und Digitalisierung (MASTD) in Rheinland-Pfalz mit. „Unsere Verwaltung hat jetzt zum Beispiel ein E-Aktensystem bekommen“, beschreibt Klaus Hinkel, Pressesprecher der VG Kirchen, die technischen Neuerungen in seiner Kommune, unabhängig vom OZG-Prozess.
Bund und Länder haben das Onlinezugangsgesetz, kurz OZG, beschlossen – Es regelt, dass ab 1. Januar 2023 alle Verwaltungsleistungen bei Bund, Land und Kommune auch digital angeboten werden müssen. Alles, was beantragt werden kann, soll künftig auch elektronisch machbar sein.Onlinezugangsgesetz ab 1. Januar 2023: Was bei Behörden künftig digital geht
Arbeitsabläufe
Mit dem OZG gehen nicht nur technische Veränderungen einher, sondern auch Änderungen in den Arbeitsabläufen der Verwaltungsmitarbeiter. Problem: „Das OZG selbst sieht keine Regelung der Digitalisierung innerhalb der Behörden vor“, teilt das Digitalisierungsministerium mit. Bedeutet: Die derzeitigen Neuerungen zielen vorrangig darauf ab, dass Bürger und Unternehmen Anträge digital ans Amt schicken können. Eine digitale Bearbeitung der Anträge beziehungsweise eine Digitalisierung der Arbeitsabläufe soll erst in einem nächsten Schritt erfolgen. Anträge, die künftig online an die Verwaltungen geschickt werden, werden unter Umständen also weiterhin analog bearbeitet.
Um einen Medienbruch zu verhindern, müssen sich Kommunen eigene Lösungen ausdenken, organisieren und finanzieren. Doch das ist gar nicht so leicht, wie ein Beispiel aus der VG Montabaur verdeutlicht: „Für jede einzelne OZG-Leistung, die schließlich über unsere Verwaltung online angeboten werden muss, muss ein digitaler Arbeitsprozess aufgestellt werden. Dazu braucht es die Schnittstellen zwischen Basisdiensten und unserem System“, erklärt Christina Weiß, Pressesprecherin der VG Montabaur.
Bedeutet: Jeder Prozess muss mit den jeweiligen Fachteams im Rathaus entsprechend bearbeitet, Verwaltungsabläufe an die neue digitale Abwicklung der Vorgänge angepasst werden. Das braucht Zeit, bindet Kapazitäten und ist aufgrund des Zeitdrucks und der Komplexität des Gesamtprojektes schwierig. „Das muss alles quasi nebenher zur alltäglichen Arbeit passieren. Zudem werden zu den Onlineleistungen ja alle Verwaltungsleistungen weiter wie bisher angeboten“, sagt Weiß. Hinzu kommt ein enormer Schulungsaufwand für die Mitarbeiter. In vielen Kommunen wurden bereits Arbeitsgruppen gebildet oder Digitalbeauftragte beziehungsweise OZG-Koordinatoren ernannt, die den Digitalisierungsprozess in der Verwaltung betreuen.
Rechtliche Erfordernisse
Auch die Gesetzeslage spielt bei der anstehenden Digitalisierung eine große Rolle. „Wir sind kein Internethandel, da reicht ein Nutzerkonto und eine Bezahlmöglichkeit. Für die Verwaltung ist es in der Regel so, dass wir Dienstleistungen anbieten, für die Voraussetzungen erfüllt und nachgewiesen sein müssen“, sagt Markus Sehr, Büroleiter der Verbandsgemeindeverwaltung in Westerburg. Sprich: Rechtliche Formerfordernisse wie die Schriftform, aber auch das persönliche Erscheinen und die Pflicht, Nachweise im Original einzureichen, stellen ein wesentliches Hindernis bei der Digitalisierung von Verwaltungsvorgängen dar.
Der Bund prüft daher aktuell alle Entwürfe von Gesetzen, Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften. Ziel ist die Streichung unnötiger, bestehender Schriftformerfordernisse und Nachweispflichten sowie die Vermeidung neuer, nicht erforderlicher Schriftformerfordernisse. Somit soll einer Beschleunigung und Vereinfachung von digitalen Verfahren nichts mehr im Wege stehen. „Durch die Einführung einer individuellen Identifikationsnummer für Bürger soll der Datenaustausch zwischen den Behörden zusätzlich vereinfacht werden“, teilt das MASTD mit.
Kosten
Letzten Endes ist der Digitalisierungsschub auch eine Kostenfrage. Für die Entwicklung der digitalen Verwaltungsleistungen erhalten die Länder Mittel aus dem Konjunkturpaket des Bundes. Auch die erforderlichen Basisdienste stellt das Land den Kommunen kostenfrei bereit. Doch damit sei es noch lange nicht getan, sagt Christian Dietrich vom Fachbereich IT bei der Verbandsgemeindeverwaltung Aar-Einrich.
„Jede Software und ihre Lizenzen sowie die Schaffung von Schnittstellen zu anderen Fachverfahren treiben die Kosten in die Höhe. Dienstleistungen müssen teuer eingekauft oder Personal eingestellt und/oder geschult werden. Der Breitbandausbau in den Ortsgemeinden und in der Verwaltung muss ebenfalls vorangebracht werden“, betont Dietrich. „Und das alles muss in Zeiten sinkender Gewerbe- und Steuereinnahmen auch noch gegenfinanziert werden, da Fördermaßnahmen von Bund und Land nie gänzlich ausreichen, um alle Kosten abzudecken.“
Den Kommunen im Westerwald steht also noch ein langer Digitalisierungsprozess bevor. Nichtsdestotrotz sollen Bürger ab Januar die ersten Verwaltungsleistungen digital in Anspruch nehmen können.