Eigenverantwortliches Lernen
Erster Abi-Jahrgang staunt über moderne BBS Westerburg
Die ehemaligen Absolventinnen und Absolventen wurden vom ehemaligen Rektor Joachim Dell (rechts) mit dem modernen pädagogischen Konzept vertraut gemacht.
Mariam Nasiripour

Vor 50 Jahren haben zwei Dutzend junge Menschen das damalige Wirtschaftsgymnasium in Westerburg absolviert. Zehn von ihnen hörten an ihrer alten Lernstätte vom komplett neuen pädagogischen Konzept, das um die Jahrtausendwende eingeführt wurde.

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„Das ist meine Schule“, sagt Irene Schuster. Sie sitzt mit neun weiteren ehemaligen Absolventen der Berufsbildenden Schule (BBS) in Westerburg im Präsentationsraum der Bildungsstätte und hört den Ausführungen des ehemaligen Rektors Joachim Dell zu. „Das war meine beste Schulzeit“, erinnert sich Andreas Groß. Sie alle haben am vergangenen Wochenende zu einem besonderen Klassentreffen zusammengefunden. Denn die heutigen Steuerberater, Juristen oder Lehrer sind der erste Abiturjahrgang des damaligen Wirtschaftsgymnasiums. Das war 1975, vor genau 50 Jahren.

Die Schule wurde in den 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts gebaut. Dann machte das Gymnasium eine Ausschreibung und interessierte Jugendliche konnten sich für die Aufnahme an der Schule bewerben. Aus 150 Bewerbungen wurden schließlich 25 Jugendliche ausgewählt. Zehn dieser Absolventinnen und Absolventen begrüßte der ehemalige Rektor Dell in Vertretung für den aktuellen Schulleiter, Michael Niess, und berichtete ihnen über die Entwicklung „ihrer“ Schule.

„Die Schülerinnen und Schüler lernen, ein Problem selber zu lösen und nicht auf die Hilfe des Lehrers oder der Lehrerin zu warten.“
Der frühere Schulleiter Joachim Dell erläutert dem ersten Abi-Jahrgang der BBS Westerburg das heutige pädagogische Konzept.

Dell war von 2001 bis 2018 Schulleiter an der BBS und maßgeblich am neuen pädagogischen Konzept der Schule beteiligt. „2001 war die Schule eine Bruchbude“, schildert Dell und zeigt Aufnahmen aus der Zeit. Als im Treppenhaus der Schule wegen des Brandschutzes Wände eingezogen werden sollten, habe er zusammen mit dem Architekten ein komplett neues, offenes Konzept erstellt. Aus sieben Klassenräumen, die sich um ein Treppenhaus gruppierten, wurden sieben Lerngruppen mit einem gemeinsamen Lernbereich.

Seit 2002 lernen die Schülerinnen und Schüler mit iPads und seit 2004 werden die schriftlichen Abiturprüfungen nur noch am Laptop abgelegt. Im Gegensatz zu anderen Schulen gebe es an der BBS keine festen Klassenverbände und kein Frontalunterricht durch die Lehrkraft. Es gebe Lerngruppen, offene Klassenräume und viel eigenverantwortliches sowie selbstorganisiertes Lernen. Die Lehrkräfte seien Mentoren und Betreuer, die die Jugendlichen zu besseren Leistungen motivieren. „Die Schülerinnen und Schüler lernen, ein Problem selber zu lösen und nicht auf die Hilfe des Lehrers oder der Lehrerin zu warten“, erklärt der Pädagoge.

Bei ihrem Treffen erhielt die Abschlussklasse von 1975 einen Einblick in das moderne Raum- und Lernkonzept der BBS. Sie gehören zum ersten Abiturjahrgang des damaligen Wirtschaftsgymnasiums Westerburg.
Mariam Nasiripour

Dell führt weiter aus, dass die Schule die Jugendlichen als verantwortungsbewusste und eigenständige Persönlichkeiten befähigen möchte. Deshalb geschehe auch vieles auf Vertrauensbasis. Außerdem fänden die Jugendlichen in der BBS Gehör und könnten ihre Ansichten und Meinungen kundtun. „Wir können die Kinder nicht Demokratie lehren, wenn wir ihnen in der Schule Autokratie vorleben“, erklärt Joachim Dell.

Bei den zehn Absolventinnen und Absolventen ruft all das Erstaunen hervor. Einige von ihnen können nicht glauben, dass die Schülerinnen und Schüler in einer solchen Umgebung wirklich diszipliniert lernen. „Das klingt utopisch“, sagt eine der Ehemaligen.

Ein offener Lernbereich und der Abschied von den herkömmlichen Klassenverbänden gehören zum Konzept an der BBS.
Mariam Nasiripour

Jürgen Pfeiffer ist einer der 25 Absolventen des Wirtschaftsgymnasiums. Nach seinem Abitur habe er Betriebswirtschaft in Essen studiert und war anschließend Softwarelizenzmanager sowie Projektleiter bei der Arag. Er ist jetzt im Ruhestand und wieder nach Westerburg zurückgekehrt. Zurückgekehrt ist auch Irene Schuster. Sie hatte ebenfalls nach dem Abitur Betriebswirtschaft studiert. Nach dem Studium habe sie für Schott und das ZDF gearbeitet. Sie hat es von Mainz ebenfalls wieder nach Westerburg gezogen. „Ich bin froh und dankbar, dass wir diese Möglichkeit hatten“, sagt sie über die Schule. Die habe sich sehr verändert, sei nun moderner. Auch für Grundschullehrerin Katharina Mittler war ihre Schulzeit in Westerburg eine schöne Zeit. „Wir waren privilegiert“, betont sie. Sie ist der Ansicht, dass sich die Schule positiv entwickelt habe.

Andreas Groß erinnert sich ebenfalls gerne an seine Schulzeit in Westerburg zurück. Er absolvierte nach seinem Abitur zwei Jahre Zivildienst in England und machte anschließend mit einer Mitschülerin eine zweijährige Weltreise. Zurück in Deutschland studierte er Jura in Mainz und arbeitet als Strafverteidiger in Wiesbaden.

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