Die politische Einstellung des langjährigen Gewerkschaftssekretärs, überzeugten Antifaschisten und Kommunisten brachte ihm zu verschiedenen Zeiten mehrere Gefängnisstrafen und sogar eine Inhaftierung im Konzentrationslager (KZ) Esterwegen ein.
Seine Unterstützer und Anhänger hingegen nannten ihn wegen seines Einsatzes für die Arbeiterklasse und sein Bemühen um die Rückkehr von Kriegsgefangenen, etwa durch Briefe ans britische Königshaus, respektvoll „Der Löwe vom Westerwald“. Der Stadtrat von Bad Marienberg hat nun einem Antrag des Enkels Dirk Seekatz zugestimmt, für Hermann Kempf vor dessen ehemaligem Wohnsitz in der Langgasse 12 einen Stolperstein verlegen zu lassen.
Kempfs Publikation ist im Holocaust-Museum in Washington gelistet
Bis zuletzt sei sein Großvater, der zehn Geschwister hatte, ein zutiefst politischer Mensch gewesen. Er selbst habe ihm als Jugendlicher noch geholfen, Flugblätter zu drucken, mit denen Hermann Kempf seine Meinung zu verschiedenen Themen in Bad Marienberg und Umgebung kundgetan habe. Seekatz hat 2021 damit begonnen, die Biografie seines Opas intensiv aufzuarbeiten. Teile daraus hat er unserer Zeitung jetzt im Gespräch vorgestellt.
Bei seinen Recherchen ist der Enkel unter anderem auf die Internetseite des United States Holocaust Memorial Museums in Washington gestoßen, das in seinem Bestand eine Broschüre mit dem Titel „Erinnerungen. Kampf gegen den Faschismus – Widerstand unter schwersten Bedingungen – Politische Arbeit bis heute“ gelistet hat. Dieses Heftchen hat Hermann Kempf auf eigene Kosten verfasst, gedruckt und vertrieben.
Mein Großvater war zwar Kommunist, aber in erster Linie Mensch.
Dirk Seekatz, Enkel von Hermann Kempf
Es beschreibt seine Flucht, seine Gefangenschaft und die Inhaftierung im KZ Esterwegen sowie seine Zeit als erster Gewerkschaftssekretär im Westerwald. „Wer hätte je gedacht, dass eine so kleine, einfache Broschüre, aber mit (ge-)wichtigem Inhalt, es in eines der anerkanntesten Museen der Welt zum Gedenken an den Holocaust schaffen wird“, betont Dirk Seekatz gerührt. Er habe sehr großen Respekt vor der Lebensleistung seines Großvaters, fügt er hinzu.
Otto Kleinschmidt erinnert an das Lebenswerk des Ehrenbürgers vom Oberwesterwald
Insgesamt hat Hermann Kempf drei Broschüren über sein Leben selbst verfasst. Zahlreiche weitere Publikationen anderer Autoren und Herausgeber betonen sein unermüdliches Wirken. Besonders wertschätzend hat sich der spätere Gewerkschaftssekretär Otto Kleinschmidt, der 1929 in Marienberg geborene Verfasser der Chronik „Gewerkschaften im Oberwesterwald“, an verschiedenen Stellen geäußert. In einem Brief schrieb Kleinschmidt 1973: „Hermann Kempf haben viele Westerwälder Dank zu sagen! Keiner sollte es vergessen.“ Kleinschmidt erinnert außerdem daran, dass Kempf 1946 vom damaligen Landrat Franz Schneider zum Ehrenbürger des Oberwesterwaldes ernannt wurde.
Kempf war ein Mensch, der immer seine Meinung offen vertreten hat, auch wenn das schwerwiegende Folgen für ihn hatte – sowohl im Kaiserreich als auch in der Weimarer Republik, in der Nazi-Diktatur und in der Bundesrepublik. Die eigenen Erfahrungen mit harter, körperlicher Arbeit haben ihn stets dazu motiviert, sich für die Arbeiterklasse einzusetzen und dieser zu mehr Gerechtigkeit zu verhelfen. Hermann Kempf verließ mit 14 Jahren die Schule und arbeitete zunächst im Steinbruch.
In seiner wenigen Freizeit las er nach Auskunft seines Enkels Dirk Seekatz und seiner Tochter Heidi Seekatz viele Bücher von Thomas Mann und Heinrich Heine. 1917 musste er zur Jugendwehr, einer vormilitärischen Gruppe. Dabei lernte er das kaiserliche Heer kennen, nahm jedoch auch hier kein Blatt vor den Mund. Der blinde Gehorsam, der dort von ihm verlangt wurde, und die harten Bestrafungen durch Vorgesetzte hätten seine lebenslange Grundüberzeugung gegen den Militarismus begründet, erzählen Kempfs Nachfahren. „Er war durch und durch Pazifist“, betont sein Enkel.
Sein Erscheinungsbild half ihm bei der Durchsetzung seiner Anliegen
Nach seiner Militärzeit 1918 trat Kempf zunächst in die USPD ein und schloss sich der freien Arbeiterbewegung an. Beruflich war er wieder im Steinbruch tätig. In diese Zeit fallen auch seine ersten gewerkschaftlichen Aktivitäten. Dadurch eckte er immer wieder bei der Obrigkeit und den Arbeitgebern an. Bei der Durchsetzung seiner Anliegen dürfte ihm seine körperliche Erscheinung – er war 1,90 Meter groß und breit gebaut – geholfen haben. Damals war er zudem noch für seine Mutter und fünf jüngere Geschwister verantwortlich, nachdem der Vater früh gestorben war.
Ab 1928 war er sieben Jahre lang arbeitslos und bezog Wohlfahrtsunterstützung. Dafür, so berichtet sein Enkel, leistete er rund 1500 ehrenamtliche Stunden beim Bau des sogenannten Volkshauses – dem heutigen Gesundheitsamt in Bad Marienberg. 1930 trat er der KPD bei. Bald darauf begann sein Kampf gegen den Faschismus. Wegen der Teilnahme an einer friedlichen Demonstration der Arbeiterbewegung 1932 in Westerburg und aufgrund falscher Verdächtigungen wurde er gleich mehrfach inhaftiert. Im September 1933 erfolgte unter großen Qualen seine Deportation in das KZ Esterwegen. Die katastrophalen hygienischen Verhältnisse dort und die schlimmen Misshandlungen überlebte der Westerwälder nur mit viel Glück.
Sein Name ist in der Gedenkstätte des KZ Esterwegen festgehalten
Dank einer Weihnachtsamnestie kam Hermann Kempf am 27. Dezember 1933 schließlich frei. Später suchte er den Kontakt zu Angehörigen von Mithäftlingen und schrieb sogar nach dem Krieg einem seiner KZ-Peiniger einen emotionalen Brief, in dem er dem früheren Wachmann die Scheußlichkeit seines Verhaltens vor Augen führte. Eine Antwort darauf hat er jedoch nie erhalten. Dafür wird in der Gedenkstätte Esterwegen neben vielen anderen Gefangenen auch an Hermann Kempf erinnert.
1935 heiratete er seine Frau Erna, aus der Ehe gingen drei Töchter hervor. 1939 wurde er zur Wehrmacht eingezogen, Ende 1940 endete sein Militärdienst. Es folgten unruhige Jahre, in denen er mal im Bergbau beschäftigt und dann wieder arbeitslos war, weil er wegen seiner politischen Ansichten entlassen worden war. Wegen des Verdachts, am Hitler-Attentat 1944 beteiligt gewesen zu sein, war er kurzzeitig inhaftiert.
Einsatz für Kriegsrückkehrer und Witwen
Hermann Kempfs Tochter Heidi Seekatz wurde 1943 geboren. Kempf sei ein strenger, aber guter Vater gewesen, berichtet sie. Sie kann sich noch gut daran erinnern, dass früher viele Arbeiter, Kriegerwitwen und allgemein Menschen in Not zu ihnen nach Hause kamen. „Die Leute haben meinen Vater in unserer Küche aufgesucht, weil sie wussten, dass er sich für ihre Sorgen einsetzt. Mal ging es darum, dass er dabei helfen sollte, Kriegsgefangene nach Hause zu holen, mal darum, Witwen bei der Durchsetzung ihrer Rentenansprüche zu unterstützen oder Kriegsrückkehrer bei der Wiedereinstellung zu fördern.“ Ihr Vater habe sich nach dem Krieg für viele Personen verbürgt und somit zur Wiederherstellung von deren Reputation beigetragen. Er selbst habe in der Nachkriegszeit immer den Entlassschein aus dem Konzentrationslager Esterwegen bei sich geführt – quasi als Nachweis darüber, auf welcher Seite er im Hitler-Deutschland stand. nh
Nach Kriegsende bemühte sich Kempf um den Wiederaufbau seiner Heimat. Wie Otto Kleinschmidt berichtet, wurde Kempf deswegen 1946 zum Ehrenbürger des damaligen Oberwesterwaldes ernannt. „Einfache“ Mitläufer aus der Nazi-Zeit habe er nicht denunzieren, sondern für eine Versöhnung gewinnen wollen, so sein Enkel Dirk Seekatz. „Mein Großvater war zwar Kommunist, aber in erster Linie Mensch. Deshalb wäre er auch in der DDR mit seinen Positionen angeeckt“, betont er. Kempfs Einsatz habe stets den Arbeitern und Schwachen gegolten.
Für den Enkel ist es Ehre und Vermächtnis, das Gedenken lebendig zu halten
Er war ab 1945 als Gewerkschaftssekretär und als Ortsvereinsvorsitzender der Vereinigung der Verfolgten der Nationalsozialisten im oberen Westerwald aktiv. Wegen seines Widerstands gegen Militarismus und Wiederaufrüstung sowie insbesondere seiner Teilnahme an einer entsprechenden Demonstration in Düsseldorf wurde er nach eigener Aussage 1953 vom DGB fristlos entlassen. Danach war er bis zur Rente als städtischer Arbeiter in seiner Heimat Bad Marienberg beschäftigt.
Politisch aktiv war er aber weiterhin: Da er sich trotz des bestehenden Parteiverbots weiterhin für die KPD engagierte und bei der Bundestagswahl 1961 als Direktkandidat für die Partei antrat, saß er 1961/62 einige Monate in Untersuchungshaft in Koblenz-Karthause. „Wir wurden einige Zeit vom Verfassungsschutz beobachtet, als Kind und Jugendliche habe ich einige Hausdurchsuchungen miterlebt“, erinnert sich Heidi Seekatz.
Für ihren Sohn Dirk, Hermann Kempfs Enkel, ist es Ehre und Vermächtnis zugleich, die Erinnerung an den Kampf des Großvaters gegen ein Wiedererstarken von nationalsozialistischem Gedankengut lebendig zu halten. Kempfs Mahnungen, so der Nachfahre, bewahrheiteten sich heute mehr denn je. Umso freut er sich, so Seekatz, dass der Stadtrat von Bad Marienberg der Verlegung eines Stolpersteins zugestimmt hat.
Hier gibt's weitere Infos
Unter www.budje-hermann.de dokumentiert Dirk Seekatz die Geschichte seines Großvaters. Über weitere Dokumente und Informationen zu Hermann Kempfs Leben und Wirken würde er sich freuen. Ausführliche Hinweise liefert auch die Internetseite von Otto Kleinschmidt zur Geschichte der Gewerkschaften im Oberwesterwald unter: gewchronik.mmk-online.eu