Eltern berichten im Gespräch mit der RZ, wiesie ihr Leben erst Jahre nach dem Unfall im Pfadfinderlager wieder in den Griff bekamen
Eltern berichten von ihrem Leben nach Unfall im Zeltlager: Nach Dennis’ Tod war nichts mehr wie vorher
Die Berichte über das Westernoher Unglück rütteln immer wieder die Bevölkerung auf.
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Koblenz. Als Dennis an Pfingsten 1995 ins Pfadfinder-Zeltlager nach Westernohe fahren wollte, da war seine Mutter eigentlich gar nicht richtig einverstanden. Erst ein paar Tage vorher war er von einer Klassenfahrt nach Nevers zurückgekommen. „Ach, bleib doch mal zu Hause“, hat die Mutter zu dem Zehnjährigen gesagt. Doch er wollte unbedingt mit. Alle seine Freunde waren ja auch da. Wie oft die Mutter darüber nachgedacht hat, ob sie ihrem Sohn die Fahrt hätte verbieten können, ja sollen, das hat sie nicht gezählt.

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Die Berichte über das Westernoher Unglück rütteln immer wieder die Bevölkerung auf.
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Aber sie weiß auch: Diese Gedanken bringen gar nichts. 25 Jahre ist es jetzt her, dass der Sohn der Gülser Familie Bienotsch in Westernohe so schwer verletzt wurde, dass er starb. Wie jedes Jahr waren die Eltern auch in diesem Juni an der Gedenkstätte. Beim Gespräch mit unserer Zeitung im Garten der Familie in Güls beschreiben die Eltern ihren Sohn.

Im Sommer sollte Dennis von der Grundschule auf die Clemens-Brentano-Realschule wechseln. Er war ein ruhiger Junge, aber trotzdem auch selbstbewusst, sagt sein Vater und lächelt. „Ein pflegeleichtes Kind.“ Ein guter Fußballer. Ein begeisterter Pfadfinder. Im Wohnzimmer hängen Bilder aus dem letzten gemeinsamen Familienurlaub, von Dennis und seiner vier Jahre älteren Schwester. Vor einem anderen Foto des blonden Jungen auf einem Schränkchen steht ein Teelicht. Das zünden die Eltern jeden Abend an.

Jahre-, jahrzehntelang ging das Ehepaar auch jeden Abend ans Grab des Kindes. Doch das ist vor einigen Jahren geräumt worden. Obwohl die Eltern es gern verlängert hätten, sah die Stadt da anscheinend keine Möglichkeit zu, sagt der Vater ein wenig verbittert.

Pfingsten 1995 waren die Eltern und die große Schwester gerade auf dem Heimweg von einem Grillwochenende beim Schwager im Taunus, bei dem sie übernachtet hatten, als sie im Auto die Nachrichten von dem Unfall in Westernohe hörten. „Unsere Tochter und ich haben sofort angefangen zu weinen“, sagt Christiana Bienotsch. Ob Dennis betroffen ist, wussten sie zu diesem Zeitpunkt nicht.

„Wir sind direkt zu unseren Freunden gefahren, weil wir nicht wussten, wie wir an Informationen kommen sollten. Deren Sohn Guido war Dennis' Freund“, berichtet Ernst Bienotsch. Das Ehepaar Heinrich machte die Tür auf: „Unser Sohn ist tot, eurer im Krankenhaus“, war die schreckliche Nachricht, mit der die Bienotschs empfangen wurden. Am nächsten Tag starb auch Dennis.

Jahrelang funktionierten die Eltern nur irgendwie. Sie zogen in das Haus, in dem sie heute noch wohnen, in einer ruhigen Straße am Ortsrand. In der Wohnung, die sie bisher bewohnt hatten, waren die Erinnerungen zu stark.

Die beiden Kinder hatten sich ein Zimmer geteilt, in dem die ältere Schwester nun nicht mehr schlafen mochte. Die ganze Familie litt. „Anfangs waren wir in einer Gruppe für verwaiste Eltern. Doch es hat uns nur noch mehr runtergezogen, von all diesen Schicksalen zu hören“, sagt die Mutter.

Viele Jahre war Ernst Bienotsch in psychologischer Betreuung. Viele Jahre hatte Christiana Bienotsch das Gefühl, total neben sich zu stehen. Jahrelang nahm das Paar keinerlei Einladungen an, fast zehn Jahre fuhren sie nicht in Urlaub. Es kam ihnen alles nicht richtig vor. Ihr Junge tot, und ihr Leben sollte normal weiterlaufen?

Trauer, Verzweiflung und auch Wut haben lange Zeit ihre Gefühle bestimmt. „Heute haben wir unser Leben wieder gut im Griff“, sagen beide. Aber es vergeht kein Tag, an dem sie nicht an Dennis denken. Als Kind. „Wie er heute aussähe, das kann man sich ja gar nicht vorstellen“, sagt seine Mutter. Natürlich ist da immer auch die Frage: Was würde er heute tun? Wäre er in Güls geblieben? Hätte er auch Kinder? Wäre, hätte.

Anfangs hatte die Familie das Gefühl, dass die Pfadfinderschaft keine richtige Verantwortung für das Geschehen übernehmen wollte. Auf der Homepage des Verbandes gab es beispielsweise keinen Eintrag zu dem schrecklichen Unfall.

Doch das wurde geändert, nachdem Ernst Bienotsch die DPSG angeschrieben hatte. Und den beiden Leitern Rudolf Demerath und Günther Müller, die oft bei ihnen waren und die Erinnerungen mit ihnen teilten, sind die Eltern noch heute dankbar. Dennoch sind die Bienotschs sicher: „Das Tauziehen hätte nie stattfinden dürfen.“

Die Geburt des ersten Enkels brachte dem Ehepaar neue Lebensfreude, mittlerweile hat die Tochter drei aufgeweckte Jungs. „Wir lieben sie, es sind tolle Kinder, aber sie sind kein Ersatz für Dennis“, sagt der 68-Jährige. Seit Dennis' Tod machen sich die Eltern auch viel mehr Sorgen: um die Tochter, vor allem, als sie noch jünger war, jetzt um die Enkel. „Man muss aufpassen, dass man sie trotzdem gehen lässt“, sagt Christiana Bienotsch. „Aber es ist schwer.“

Von unserer Redakteurin Doris Schneider

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