Aber sie weiß auch: Diese Gedanken bringen gar nichts. 25 Jahre ist es jetzt her, dass der Sohn der Gülser Familie Bienotsch in Westernohe so schwer verletzt wurde, dass er starb. Wie jedes Jahr waren die Eltern auch in diesem Juni an der Gedenkstätte. Beim Gespräch mit unserer Zeitung im Garten der Familie in Güls beschreiben die Eltern ihren Sohn.
Im Sommer sollte Dennis von der Grundschule auf die Clemens-Brentano-Realschule wechseln. Er war ein ruhiger Junge, aber trotzdem auch selbstbewusst, sagt sein Vater und lächelt. „Ein pflegeleichtes Kind.“ Ein guter Fußballer. Ein begeisterter Pfadfinder. Im Wohnzimmer hängen Bilder aus dem letzten gemeinsamen Familienurlaub, von Dennis und seiner vier Jahre älteren Schwester. Vor einem anderen Foto des blonden Jungen auf einem Schränkchen steht ein Teelicht. Das zünden die Eltern jeden Abend an.
Jahre-, jahrzehntelang ging das Ehepaar auch jeden Abend ans Grab des Kindes. Doch das ist vor einigen Jahren geräumt worden. Obwohl die Eltern es gern verlängert hätten, sah die Stadt da anscheinend keine Möglichkeit zu, sagt der Vater ein wenig verbittert.
Koblenz/Westernohe. Es sollte ein großer Spaß, ein lustiger Wettbewerb werden. Doch stattdessen wurde der Pfingstsonntag vor 25 Jahren zu einem schrecklichen Unglückstag: Beim Tauziehen mit rund 600 Kindern und Jugendlichen im Zeltlager in Westernohe (Westerwaldkreis) riss das Seil und peitschte in ...Vor 25 Jahren im Westerwaldkreis: Gerissenes Seil tötet zwei Jungs aus Koblenz
Pfingsten 1995 waren die Eltern und die große Schwester gerade auf dem Heimweg von einem Grillwochenende beim Schwager im Taunus, bei dem sie übernachtet hatten, als sie im Auto die Nachrichten von dem Unfall in Westernohe hörten. „Unsere Tochter und ich haben sofort angefangen zu weinen“, sagt Christiana Bienotsch. Ob Dennis betroffen ist, wussten sie zu diesem Zeitpunkt nicht.
„Wir sind direkt zu unseren Freunden gefahren, weil wir nicht wussten, wie wir an Informationen kommen sollten. Deren Sohn Guido war Dennis' Freund“, berichtet Ernst Bienotsch. Das Ehepaar Heinrich machte die Tür auf: „Unser Sohn ist tot, eurer im Krankenhaus“, war die schreckliche Nachricht, mit der die Bienotschs empfangen wurden. Am nächsten Tag starb auch Dennis.
Jahrelang funktionierten die Eltern nur irgendwie. Sie zogen in das Haus, in dem sie heute noch wohnen, in einer ruhigen Straße am Ortsrand. In der Wohnung, die sie bisher bewohnt hatten, waren die Erinnerungen zu stark.
Westerwaldkreis. Auch die Rettungskräfte haben 25 Jahre nach dem schlimmen Tauziehunglück von Westernohe die Ereignisse nicht vergessen. Nein, sie erinnern sich sogar noch an die Details – und werden das schreckliche Geschehen, bei dem die beiden Koblenzer Kinder ums Leben kamen und viele junge ...Notfallseelsorge gab es noch nicht: Helfer werden diesen Einsatz nie vergessen
Die beiden Kinder hatten sich ein Zimmer geteilt, in dem die ältere Schwester nun nicht mehr schlafen mochte. Die ganze Familie litt. „Anfangs waren wir in einer Gruppe für verwaiste Eltern. Doch es hat uns nur noch mehr runtergezogen, von all diesen Schicksalen zu hören“, sagt die Mutter.
Viele Jahre war Ernst Bienotsch in psychologischer Betreuung. Viele Jahre hatte Christiana Bienotsch das Gefühl, total neben sich zu stehen. Jahrelang nahm das Paar keinerlei Einladungen an, fast zehn Jahre fuhren sie nicht in Urlaub. Es kam ihnen alles nicht richtig vor. Ihr Junge tot, und ihr Leben sollte normal weiterlaufen?
Trauer, Verzweiflung und auch Wut haben lange Zeit ihre Gefühle bestimmt. „Heute haben wir unser Leben wieder gut im Griff“, sagen beide. Aber es vergeht kein Tag, an dem sie nicht an Dennis denken. Als Kind. „Wie er heute aussähe, das kann man sich ja gar nicht vorstellen“, sagt seine Mutter. Natürlich ist da immer auch die Frage: Was würde er heute tun? Wäre er in Güls geblieben? Hätte er auch Kinder? Wäre, hätte.
Selbst ausgebildeter Krankenpfleger und damals aktiver Rotkreuzler, wäre es mir beim Tauzieh-Unglück viel lieber gewesen, als Sanitäter zu helfen, aber nicht als Journalist das dramatische Geschehen zu dokumentieren.Kommentar zum Einsatz beim Unglück in Westernohe: Als Journalist in schwieriger Rolle
Anfangs hatte die Familie das Gefühl, dass die Pfadfinderschaft keine richtige Verantwortung für das Geschehen übernehmen wollte. Auf der Homepage des Verbandes gab es beispielsweise keinen Eintrag zu dem schrecklichen Unfall.
Doch das wurde geändert, nachdem Ernst Bienotsch die DPSG angeschrieben hatte. Und den beiden Leitern Rudolf Demerath und Günther Müller, die oft bei ihnen waren und die Erinnerungen mit ihnen teilten, sind die Eltern noch heute dankbar. Dennoch sind die Bienotschs sicher: „Das Tauziehen hätte nie stattfinden dürfen.“
Die Geburt des ersten Enkels brachte dem Ehepaar neue Lebensfreude, mittlerweile hat die Tochter drei aufgeweckte Jungs. „Wir lieben sie, es sind tolle Kinder, aber sie sind kein Ersatz für Dennis“, sagt der 68-Jährige. Seit Dennis' Tod machen sich die Eltern auch viel mehr Sorgen: um die Tochter, vor allem, als sie noch jünger war, jetzt um die Enkel. „Man muss aufpassen, dass man sie trotzdem gehen lässt“, sagt Christiana Bienotsch. „Aber es ist schwer.“