Zunächst aber dürfte der ein oder andere noch Louise Juliane Gräfin von Sayn-Wittgen- stein-Sayn (1603-1670) zu den herausragenden weiblichen Persönlichkeiten Hachenburgs zählen, die die Geschicke der Stadt und der Grafschaft Sayn während des Dreißigjährigen Krieges maßgeblich bestimmt und der Karl Ramsegger-Mühle mit seinem 1950 erschienenen Roman „Die Gräfin von Sayn“ ein literarisches Denkmal gesetzt hat.
Weniger bekannt ist hingegen jene Frau an der Seite des Grafen Gerhard II. von Sayn (1417-1493), die in Lothringen geboren wurde und an der Seite ihres Gatten ihre letzte Ruhestätte in der Zisterzienserabtei Marienstatt erhalten hat: Elisabeth von Sierck.
Familie aus Lothringen hatte im Mittelalter Einfluss im Grenzgebiet
Die Grabinschrift des prächtigen spätgotischen Grabmals in der Klosterkirche Marienstatt bietet recht zuverlässige Angaben zum Ableben Elisabeths: „Im Jahre des Herrn 1489, am Freitag, den 20. Juli um die 8. Stunde nach Mittag verstarb die adelige Dame Elisabeth von Sierck, Gräfin von Sayn […] Möge ihre Seele in Frieden ruhen, Amen.“
Außer dem prächtigen Grabmal in der Basilika zeugt ein im Gewölbekeller der Perlengasse 2 in der Dauerausstellung zur Stadtgeschichte (Hachenburg Anno Domini 1314) präsentiertes steinernes Kapitell des 15. Jahrhunderts von der engen Verbindung der lothringischen Gräfin und ihres Ehemanns zur Westerwälder Löwenstadt.
Die prächtige Bildhauerarbeit, die zwei Engelfiguren mit Attributen von Architekten wiedergibt, zeigt außer dem Wappen Graf Gerhards, dem zweischwänzigen saynischen Löwen, das Wappen der Familie seiner Gattin, der Grafen von Sierck: Deutlich erkennbar in dem Wappenschild sind zwei Schlüssel sowie ein quer über das Schild verlaufendes Band mit drei Muscheln.
Woher stammt das Hachenburger Kapitell? Mit ziemlicher Sicherheit gehörte es zur mittelalterlichen Ausstattung der am Markt gelegenen Katharinenkirche, die nach ihrer Brandzerstörung 1454 mit Unterstützung des damals gräflichen Paares wiederaufgebaut wurde. Im Zuge der Modernisierung des Sakralbaus 1775 wurde das spätgotische Kapitell wieder entfernt und gelangte als Exponat des ehemaligen Heimatmuseums der Stadt nach einer längere Odyssee schließlich 2014 in die Dauerausstellung zur Stadtgeschichte.
Anhand der mittelalterlichen Überlieferung lässt sich das Leben der Elisabeth von Sierck und ihrer Familie zumindest ansatzweise rekonstruieren. Einen Biograf beziehungsweise eine Biografin hat die Gräfin bislang aber noch nicht gefunden. Wer war die aus Lothringen stammende Gattin des Sayner Grafen? Welche Bedeutung hatte ihre Familie vor dem Hintergrund der im Mittelalter üblichen standesgemäßen, dynastischen Eheschließungen?
Bis heute künden in der Grenzregion Deutschland-Frankreich-Luxemburg mehrere stattliche Burgen von der herausragenden Stellung jener Adelsfamilie, die sich nach der unweit der deutsch-französischen Grenze gelegenen Burg Sierck an der Mosel benannte. Arnold VI. von Sierck (1366-1455), Elisabeths Großvater, verfügte während der Blütezeit des Geschlechts über die Burgen Meinsberg, Freudenberg (bei Saarburg), Montclair, Berg (Nennig a. d. Saar), Felsberg (bei Saarlouis), Schlossberg (Forbach), Frauenberg (bei Saargemünd) und die Siersburg (bei Dillingen a. d. Saar).
In der Hierarchie des Adels stieg die 1090 erstmals urkundlich in Erscheinung tretende Familie von Sierck, die ursprünglich zum niederen Adel und zu den Vasallen der Herzöge von Lothringen zählte, durch ein Privileg Kaiser Friedrichs III. 1442 in den Grafenstand auf. Zahlreiche Mitglieder hatten sich in Kriegen und Fehden des Spätmittelalters bewährt, standen in Diensten des Hochadels oder bekleideten einflussreiche kirchliche Ämter.
Als 18-Jährige schon Witwe: Zweite Ehe führte in den Westerwald
Zu den prominentesten geistlichen Würdenträgern aus dem Hause Sierck zählte Elisabeths Onkel Jakob III. (gestorben 1456), der 1439 vom Domkapitel zu Trier zum Erzbischof gewählt wurde und fortan als bedeutender geistlicher Territorialherr Einfluss auf das politische Geschehen im westdeutschen Raum nahm.
1442 nahm er an der Krönung Kaiser Friedrichs III. in Aachen teil. 1454 gewährte ihm der Papst das Privileg zur Gründung der Universität in seiner Bischofsstadt Trier. Die Blütezeit des 15. Jahrhunderts leitete jedoch gleichzeitig das Ende der bedeutenden Familie ein, da von Jakobs Brüdern lediglich Arnold VII. (gestorben 1443) Nachkommen hatte. Aus seiner Ehe mit Eva von Daun gingen jedoch keine Söhne, sondern vier Töchter hervor, die das lothringische Erbe antreten sollten.
Als Elisabeth von Sierck 1453 mit dem 36-jährigen Graf Gerhard II. von Sayn eine Ehe vereinbarte, war die 18-jährige Gräfin bereits Witwe. Im Vorjahr hatte sie Graf Hanemann von Zweibrücken-Bitsch, dessen Familie mit dem herzoglichen Haus Lothringen verschwägert war, geheiratet. Ihr erster Gatte verstarb jedoch rasch, sodass Elisabeth bereits ein Jahr später zu ihrer zweiten Ehe schritt.
Wir wissen nicht, welche Vorstellungen die junge Braut von der kleinen Westerwälder Residenzstadt hatte. Sicher konnte sich die wohl eher bescheidene Hofhaltung der Grafen von Sayn kaum mit jener in Nordfrankreich zu diesem Zeitpunkt ausgeprägten höfischen Kultur messen. Die Höfe von Burgund und Lothringen zählten kulturell zu den fortschrittlichsten und glanzvollsten des Spätmittelalters. Zudem wird die junge Adelige auch den prächtigen Hof ihres Onkels, des Trierer Erzbischofs, kennengelernt haben.
Im Zuge der bei adeligen Verbindungen üblichen detaillierten Eheberedungen sicherte Graf Gerhard von Sayn 1453 seiner jungen Frau im Falle seines Ablebens das saynische Schloss Friedewald zu. Mehr als drei Jahrzehnte später, 1484, wies der Graf seiner Gattin als neuen Witwensitz das saynische Schloss Altenkirchen zu, das er gegenüber Friedewald für geeigneter hielt. 1487 beauftragte das Ehepaar den vermutlich mit Tilmann Heysacker genannt Kreyndunck identischen Kölner Bildschnitzer Meister Tilmann mit der Anfertigung von Entwürfen zu einer gemeinsamen Grablege, die schließlich in der Zisterzienserabtei Marienstatt entstanden ist.
Als Regent der Grafschaft Sayn bemühten sich Graf Gerhard und seine Gattin unter anderem um den wirtschaftlichen Aufstieg der Stadt Hachenburg, die nach einer verheerenden Brandkatastrophe 1454 wiederhergestellt werden musste. Zeitgenössische Darstellungen des Ehepaares existieren nur wenige.
Abgesehen von dem prächtigen Grabmal in Marienstatt ist ein dreiteiliges Gemälde (Triptychon) in der von Jules Floranges geschaffenen Chronik der Herrschaft und der Herren von Meinsberg überliefert. Die mittlere Tafel zeigt das vor der Gottesmutter Maria und dem Jesuskind kniende Grafenpaar Gerhard (links) und Elisabeth (rechts), denen die Heiligen Wendelin und Matthäus zur Seite gestellt werden.
Auf den Seitentafeln werden die insgesamt 16 aus der Ehe hervorgegangenen Kinder abgebildet. Links hinter Graf Gerhard befinden sich die neun Söhne, unter denen in einer vergoldeten Rüstung Gerhards Nachfolger, Gerhard III., hervorsticht, während hinter Elisabeth auf der rechten Seite sieben Töchter dargestellt werden.
Gräfin und ihr Mann Graf Gerhard II. wurden in Marienstatt beigesetzt
Elisabeth von Sierck wurde 1489 in der Abtei Marienstatt beigesetzt. Ihr Gatte verstarb vier Jahre später. Er fand ebenfalls in der Zisterzienserabtei seine letzte Ruhestätte. Gemäß testamentarischer Verfügung sollte in Marienstatt sein Leichnam beigesetzt werden, während sein Herz in die bedeutende Wallfahrtskirche Bad Wilsnack in Brandenburg überführt werden sollte.
Von den 16 gemeinsamen Kindern verstarben zahlreiche bereits zu einem frühen Zeitpunkt. Dennoch war der Fortbestand des Hauses Sayn durch die männlichen Nachkommen gesichert. Das Erbe ihres Vaters Gerhards II. traten die Grafen Gerhard III. (1454-1506) und Sebastian I. (1464-1498) an. Beachtlich war vor allem der territoriale Zugewinn des Hauses Sayn in Lothringen.
Nach dem Tod des Trierer Erzbischofs Jakob III. von Sierck (gest. 1456) gelangte das reiche Erbe schließlich an seine Nichten. Elisabeth erhielt die Burgen Meinsberg, Montclair und Freudenberg samt den dazugehörenden Gütern und Besitzungen. Gemäß einer testamentarischen Bestimmung wurde verfügt, dass die Grafen von Sayn, Grafen und Herren von Montclair nun das Wappen von Sierck-Montclair mit ihren eigenen Wappen verbinden sollten.
Dem doppelschwänzigen saynischen Löwen wurden die Wappen der Herrschaft Meinsberg sowie der Grafschaft Montclair zur Seite gestellt. Allzu lange sollten die Westerwälder Grafen nicht über ihren lothringischen Besitz verfügen. Auf dem Heiratsweg ging der territoriale Zuwachs zu Beginn des 17. Jahrhunderts wieder verloren.
Zur Person
Unser Gastautor Dr. Jens Friedhoff (E-Mail: j.friedhoff@stadtarchiv-hachenburg.de) ist seit 2012 Stadtarchivar von Hachenburg. Er studierte Geschichte, Kunstgeschichte und katholische Theologie. Seine Dissertation verfasste er über „Die Familie von Hatzfeld. Adelige Wohnkultur und Lebensführung zwischen Renaissance und Barock“. Das Stadtarchiv ist in der Perlengasse 2 beheimatet und nach Voranmeldung (Telefon: 02662/ 958 338) für Besucher geöffnet.