Norken
Drei Leonhardts und ihr erster Schultag
Röder-Moldenhauer

Norken. Stolz hält der sechsjährige Finn Leonhardt aus Norken seine Schultüte im Arm. Sie ist fast so groß wie er selbst. Auch Papa Kai und Opa Fred sind mit dabei.

Von unserer Reporterin Larissa Schütz

Gemeinsam mit elf anderen Kindern, die ebenfalls fast hinter ihren bunten Schultüten verschwinden, steht er im Dorfgemeinschaftshaus, voller Erwartung, was an diesem besonderen Tag noch passieren wird. Finn ist jetzt ein Schulkind. Fast seine ganze Familie begleitet ihn bei seiner Einschulung – wie Papa Kai und Opa Fred. Die beiden haben ihre Einschulung ebenfalls an der Grundschule in Norken erlebt. Fred Leonhardt im Jahr 1944, sein Sohn Kai 30 Jahre später.

Der erste Schultag ist immer etwas ganz Besonderes, ein neuer Lebensabschnitt beginnt. Nicht nur für die Kinder selbst ist der Tag spannend, sondern auch für die Eltern. Yvonne und Kai Leonhardt, die Eltern von Finn, sind aufgeregter als ihr Sohn selbst. Den interessiert am Morgen seiner Einschulung mehr, wie die deutsche Nationalmannschaft gegen Schottland gespielt hat. Voll bepackt mit neuem Schulranzen, Büchern, Heften und allem anderen, was man als Erstklässler so benötigt, geht es erst einmal ins Dorfgemeinschaftshaus in Norken. Dort werden die i-Dötzchen von ihren zukünftigen Lehrern und den anderen Schülern begrüßt. Die Schultüte hat Mama Yvonne noch im Kindergarten gebastelt. Große, gelbe Feuersalamander aus Moosgummi krabbeln um die kunstvolle Tüte, die mit Süßigkeiten und kleinen Geschenken gefüllt ist.

Ob er überhaupt eine Schultüte hatte, daran kann Opa Fred sich gar nicht mehr erinnern. Seine Einschulung liegt 71 Jahre zurück. Der heute 77-Jährige besuchte 1944 zum ersten Mal die Grundschule in Norken. Der Zweite Weltkrieg neigte sich dem Ende zu, die Leute waren arm. Als Schulranzen hatte Fred Leonhardt eine alte, braune Tasche von seinem Onkel bekommen, an die man einen Henkel genäht hatte, damit er sie besser tragen konnte. An seine Lehrerin, Fräulein Reusch, kann sich Finns Opa noch gut erinnern: „Die war recht nationalsozialistisch angehaucht.“ Acht Tage nach seinem ersten Schultag hatte Fred Leonhardt verschlafen, dafür setzte es eine kräftige Ohrfeige von seiner Lehrerin. Sein Vater konnte bei der Einschulung nicht dabei sein, er war in amerikanischer Kriegsgefangenschaft. Fred lernte ihn erst nach dem Krieg richtig kennen. Zwölf Kinder wurden im Jahr 1944 in Norken eingeschult, genau wie bei Finn 71 Jahre später. Das ist aber auch die einzige Gemeinsamkeit. Die Einschulungen heute gleichen einem richtigen Event. Die Kinder bekommen Geschenke, mittags geht es Essen, nachmittags kommt die Verwandtschaft zum Kaffee und Kuchen. Es soll eben ein ganz besonderer Tag sein, an den sich alle Beteiligten noch lange erinnern. „Unsere Einschulung damals war schlicht und einfach, der Zeit angepasst“, erinnert sich Fred Leonhardt. Finns Papa Kai hatte auf jeden Fall schon eine Schultüte. Das belegen die Fotos aus dem Familienalbum, die nach 41 Jahren schon die typische Verfärbung aufweisen. 1974, mit fünf Jahren, ging Kai Leonhardt zum ersten Mal zur Grundschule in Norken. 16 Kinder waren es insgesamt, die besten Freunde waren auch dabei. Die rot-blaue Schultüte war gekauft und mit Süßigkeiten und Obst gefüllt. Der Ranzen war orange und aus Kunststoff, mit einem Fußballmotiv verziert. „Meine Einschulung verlief ziemlich unspektakulär“, erinnert sich Kai Leonhardt. Egal wie unterschiedlich die Einschulungen der drei Leonhardts waren, verbunden sind sie durch den Besuch der Grundschule Norken. Opa Fred konnte sich bis heute nicht von der Einrichtung trennen und ist als Hausmeister an der Schule tätig.

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