Familie Müller setzt in Birken-Honigsessen auf das Konzept der solidarischen Landwirtschaft
Die Ernte teilen, statt Lebensmittel zu verkaufen: Solidarische Landwirtschaft in Birken-Honigsessen
Meike Müller-Schlosser und Sebastian Müller ernten derzeit unter anderem Zwiebeln auf dem Demeterhof Schützenkamp. Vor fünf Jahren haben sie eine solidarische Landwirtschaft aufgebaut, die einzige im Westerwaldkreis und im Kreis Altenkirchen. Fotos: Camilla Härtewig
Camilla Härtewig

Meike Müller-Schlosser und Sebastian Müller betreiben den Hof Schützenkamp in Birken-Honigsessen in der dritten Generation. Sie haben den Hof umstrukturiert, auf biologische Landwirtschaft umgestellt, aus dem ursprünglichen Nebenerwerb einen Vollerwerb entwickelt und sich mit der Zertifizierung zu einem Demeter-Biobetrieb bewusst für die Vielfalt entschieden.

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2019 hat die Patchworkfamilie – sowohl Meike als auch ihr Mann Sebastian haben je drei Kinder mit in die Ehe gebracht – ihren Gemüseanbau auf eine „Solidarische Landwirtschaft“ (Solawi) umgestellt, die Einzige im Westerwaldkreis und im Kreis Altenkirchen übrigens. Mit ihrer „Solawi Wisserland“ lassen sie viele Menschen an dem teilhaben, was ihnen wichtig ist: die Liebe zum Land und dem, was es hervorbringt. Ihr Motto lautet: Die Ernte teilen, statt Lebensmittel zu verkaufen. Seitdem geben die Müllers ihr Demeter-Gemüse als Ernteanteile ab. Mittlerweile wird auf rund 6000 Quadratmetern Gemüseanbau betrieben, insgesamt werden 19 Hektar bewirtschaftet.

Im Erntejahr 2023 wurden rund 80 verschiedene Gemüse- und Salatsorten auf dem Feld und im Gewächshaus geerntet. In diesem Jahr ist die Auswahl genauso groß. Diese breite Palette ist den Müllers wichtig. „So können wir rund ums Jahr Kräuter, Salat, Kartoffeln und Gemüse anbieten und sind besser gegen Ernteausfälle gewappnet“, erläutert der gelernte Gärtnermeister den Ansatz. Und so funktioniert es: Solidarische Landwirtschaft basiert auf dem Prinzip der gemeinsamen Verantwortung und Unterstützung zwischen Produzenten und Konsumenten.

In einer bunten Patchworkfamilie leben derzeit elf Menschen auf dem Hof bei Birken-Honigsessen plus die Hunde Coala (Bild) und Naira.
Camilla Härtewig

Anstatt Lebensmittel über Zwischenhändler zu beziehen, finanzieren die Verbraucher direkt die landwirtschaftlichen Betriebe. Diese Vorabfinanzierung erfolgt in der Regel durch Mitgliedsbeiträge, die oft zu Beginn der Saison im Mai oder monatlich gezahlt werden. Im Gegenzug erhalten die Mitglieder einmal pro Woche frische, lokal produzierte Lebensmittel. Die Anteilseigner verpflichten sich für ein Jahr, regelmäßige Beiträge zu leisten. Diese Gelder dienen der Deckung der Betriebskosten des Hofes. Die Müllers nehmen 50 Euro pro Monat.

Da die Landwirtschaft unvorhersehbaren Faktoren wie Wetterbedingungen unterliegt, teilen die Mitglieder sowohl die Vorteile einer guten Ernte als auch die Risiken von Ernteausfällen. Für Landwirte bietet die solidarische Landwirtschaft finanzielle Sicherheit: Durch die Vorauszahlungen der Mitglieder haben Bauern eine sichere Einnahmequelle, die es ihnen ermöglicht, besser zu planen und zu investieren. Die Müllers benötigen dafür 130 Ernteanteile, eine Zahl, die sie nun annähernd erreicht haben und somit erstmals seit fünf Jahren kostendeckend arbeiten. „Die Jahre davor war das noch ein teures Hobby“, bringt es Meike Müller-Schlosser auf den Punkt.

So sieht eine Kiste Gemüse für eine Person für eine Woche aus. Im Sommer fällt sie etwas üppiger aus als im Winter.
Camilla Härtewig

Den beiden ist es wichtig, in direkten Kontakt mit den Verbrauchern zu treten, den Austausch und die Transparenz zu fördern. So gibt es an jedem ersten Freitag im Monat bei der Warenausgabe auch ein gemeinsames Beisammensein bei Kaffee und Kuchen, zweimal im Jahr werden Hoffeste veranstaltet, es gibt Erntefeste, Aktionstage zum vereinten Anpacken, und zur Winterzeit gibt es regelmäßig Seminare. Wer mag, kann dabei mit Sebastian Müller etwa Sauerkraut herstellen oder den richtigen Obstbaumschnitt lernen.

Die Vorteile für die Solawisten, so nennen die Müllers ihre Anteilseigner, sind natürlich die frischen, saisonalen Produkte direkt vom Feld, was die Qualität und den Nährwert der Lebensmittel erhöht. Sie wissen genau, woher ihre Nahrung kommt und wie sie produziert wird. Dies stärkt das Vertrauen in die Lebensmittelversorgung. Und: Die Beteiligung an der Solawi fördert das Gemeinschaftsgefühl und das Bewusstsein für lokale Landwirtschaft und Umweltfragen. Eine Kiste enthält fünf bis sieben verschiedene Kräuter, Salate und Gemüse. Wenn jemand etwas nicht mag, kann er vor Ort die Tauschkiste nutzen. Bei der Abholung können zusätzlich – je nach Verfügbarkeit – Eier, Honig, Marmeladen, Sirup, Apfelsaft und vieles andere erworben werden.

Auf einer Tafel werden die Solawisten über das Angebot informiert.
Camilla Härtewig

Trotz der vielen Vorteile steht die solidarische Landwirtschaft auch vor einigen Herausforderungen. Dazu gehört die Notwendigkeit, genügend Mitglieder zu gewinnen und zu halten, sowie die Anpassung an wirtschaftliche und klimatische Veränderungen. Dennoch zeigt der wachsende Erfolg dieses Modells, dass es eine zukunftsfähige Alternative zur konventionellen Landwirtschaft darstellen kann. „Die Solawi erfordert unglaublich viel Kommunikation. Das hatten wir zu Anfang unterschätzt. Die Solawisten werden einmal monatlich per Infobrief kontaktiert, es gibt eine Whatsapp-Gruppe, Facebook und Instagram müssen gepflegt werden.

Anfang des Jahres laden wir auch immer zu einer Art Vollversammlung ein und besprechen mit allen Anteilseignern die Kostenkalkulation und Anbauplanung für die kommende Saison“, sagt Meike Müller-Schlosser. Die solidarische Landwirtschaft ist für die Müllers mehr als nur ein Modell der Lebensmittelproduktion; sie ist ein Weg, eine tiefere Verbindung zwischen Mensch und Natur zu schaffen. Durch die Zusammenarbeit und das Teilen von Verantwortung können Landwirte und Verbraucher gemeinsam zu einer nachhaltigeren und gerechteren Lebensmittelversorgung beitragen. In einer Welt, die zunehmend von industrieller Landwirtschaft und globalisierten Märkten dominiert wird, bietet die solidarische Landwirtschaft eine Alternative, die sowohl ökologisch als auch sozial wertvoll ist.

Der Kohl entwickelt sich derzeit auf den Feldern sehr gut.
Camilla Härtewig

Das zweite Standbein der Familie ist die Direktvermarktung von Bio-Limousin-Rindern. 26 Tiere zählt die Herde derzeit. Einige werden derzeit halfterführig gemacht und als Zugtiere trainiert. „Bei unseren elf kleinen Parzellen sind wir bei der Bearbeitung mit Rindern genauso schnell wie mit einer Maschine, aber der Boden wird nicht so verdichtet“, erklärt Sebastian Müller. Um die Kühe vor eventuellen Wolfsangriffen zu schützen, hat die Familie vor einem Jahr zwei Herdenschutzhunde der Rasse Maremmano Abruzzese angeschafft. Diese leben draußen bei der Herde. Zusätzliche Sicherheit bietet ein fünffach gelitzter und 1,20 Meter hoher Elektro-Wolfsschutzzaun. Vier bis fünf Rinder werden pro Jahr geschlachtet und ab fünf Kilo als gemischte Pakete oder frei bestellbar angeboten.

Abgerundet wird das Hofangebot durch die Ayurveda-Heilpraktiker-Praxis mit Kochkursen von Meike Müller-Schlosser. Sie ist aus der Gegend von Limburg erst vor sieben Jahren mit ihren Kindern auf den Hof gezogen und hat aus Liebe ein ganz neues Leben begonnen. Mit Landwirtschaft hatte sie vorher keine Erfahrung. Nun lebt die Familie nach einem umfangreichen Umbau zu elft (zwei junge Leute haben sie aufgenommen und Sebastian Müllers Mutter wohnt auch hier) auf dem Hof. Ihr Strahlen, wenn sie Sebastian Müller anschaut, verrät: Es war der richtige Schritt. Die Landwirtschaft sichert aber noch nicht ihre Existenz. Um ihren Traum finanzieren zu können, arbeiten beide Ehepartner noch in Teilzeit nebenbei.

Zwei Herdenschutzhunde der Rasse Maremmano Abruzzese sollen die Kühe seit 2023 gegen Wölfe schützen.
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Im Laufe der Jahre haben immer mehr Tiere ihren Weg zum Hof Schützenkamp gefunden, die nun lebenslanges Wohnrecht haben. Für diesen „Streichelzoo“ aus Minischweinen, Gänsen, Zwergziegen, Deutscher Edelziege, Pute, Kamerunschafen, Walliser Schwarznasenschafen und einigen Mutterkühen werden Tierpatenschaften vergeben. Einige Gnadentiere suchen noch nach einem Sponsor.

Müllers bieten jungen Menschen ein Freiwilliges Ökologisches Jahr auf dem Hof an. Und erstmalig haben sie derzeit eine sogenannte Wwooferin mit ihrem Sohn aufgenommen. Wwoof (Worldwide Opportunities on Organic Farms) bietet eine kulturelle Lernerfahrung mit Schwerpunkt auf nachhaltiger Landwirtschaft. Die Besucher nehmen am täglichen Leben ihrer Gastgeber teil und lernen ökologische Landwirtschafts- und Nachhaltigkeitspraktiken kennen, während sie etwa die Hälfte des Tages auf dem Hof mithelfen.

Die Gastgeber bieten den Besuchern dafür Unterkunft und Verpflegung, wobei kein Geld zwischen Gastgebern und Wwoofern ausgetauscht wird. Alternative Lebens- und Gemeinschaftsformen sind ein Herzensanliegen von Meike Müller-Schlosser und Sebastian Müller. Und die Ideen gehen ihnen nicht aus. Derzeit werden zwei Wohnmobilstellplätze angelegt.

Die Abholung der Gemüsekisten erfolgt freitags zwischen 15 und 18 Uhr auf dem Hof in Birken-Honigs-essen. Weitere Abholorte sind freitags ganztägig Denn's Biomarkt in Siegen, Naturkost Schmandmarie in Wissen donnerstags von 16 bis 18 Uhr, die Freie Waldorfschule in Gummersbach donnerstags von 14 bis 15 Uhr und das Vintage Kontor in Kirchen freitags von 16 bis 18 Uhr. Weitere Infos gibt es unter www.hofschuetzenkamp.de und per E-Mail an kontakt@hofschuetzenkamp.de

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