Hachenburg – Am 28.12.1990 starb der 17-jährige Kurde Nihad Yusufogli vor seinem Elternhaus durch die Hand eines 18-jährigen Deutschen. Entsetzen in der Kommunalpolitik und eine breite Debatte über Rassismus und Neonazismus waren die Folge.
Genau 20 Jahre später zogen mehr als 300 Demonstranten in Hachenburg vom Bahnhofsgebäude in Hachenburg zum damaligen Wohnhaus des Opfers im Alexanderring und weiter in den Burggarten, wo die verhängnisvolle Auseinandersetzung zwischen Opfer und Täter seinen Anfang nahm. Gegenüber vom Parkhaus im Alexanderring stoppte der Zug vor dem ehemaligen Wohnhaus der Asylfamilie, der Nihad angehörte. Mit einem Beamer wurden Gedenktexte an die Hauswand projiziert, begleitet von Lesungen und Musik vom Band. Die Demonstranten hielten einen Moment lang inne und ließen die Szenerie emotional auf sich wirken. „Nihad, das war Mord, kein Vergeben, kein Vergessen“, lauteten die Parolen. Dekan Martin Fries appellierte an die Jugend in einer beeindruckenden Rede, der rechten Szene abzuschwören. Er sieht in den Gewalttaten von rechts hinter vordergründigem Affekt organisierte Systematik.
Julia Kaffai vom deutschen Gewerkschaftsbund Koblenz (DGB) sieht sich als Mittler zwischen den antifaschistischen Gruppierungen, dem Bürgertum und der Politik. Menschenfeindliches Gedankengut sei ihrer Meinung nach breit in der Mitte vertreten, nicht nur am Rand. Martin Klein, Kreistagsabgeordneter der Linken und Mitglied der VVN (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes) sagte, Faschismus sei keine Meinung, sondern ein Verbrechen.
Bürgermeister Peter Klöckner ermöglichte seinerzeit den Wunsch der zehnköpfigen Familie des Opfers, von Hachenburg wegzuziehen, was nach dem Asylrecht kein leichtes Unterfangen war. Jeden Ansatz von Rechtsradikalität hätten die Hachenburger seitdem erfolgreich bekämpft. Jede Gesellschaft sei nur so demokratisch, wie die Zivilcourage jedes Einzelnen. Heute hätte das Opfer möglicherweise selbst eine Familie gehabt, dessen Kinder in Sicherheit aufwachsen sollten, nicht in Angst, sagte Klöckner. Alle Redner forderten ein Verbot für die NPD.
Die Polizei setzte 100 Beamte ein, um im Falle von Ausschreitungen sofort reagieren zu können. Einsatzleiter Andreas Bode bezeichnete den Ablauf als sehr friedlich und würdigte die Kooperationsbereitschaft der Veranstalter. Lediglich vier Personen, die der rechten Szene zugeordnet werden konnten, sich aber nicht aggressiv verhielten, erhielten vorsorglich Platzverweis. Bode geht davon aus, dass der Ablauf für Polizei und Demonstranten zufriedenstellend war.
Eine Attacke gab es dennoch: Am Tag der Demonstration erschien auf mehreren Internetseiten die Meldung, die Demo sei in letzter Minute wegen Sicherheitsbedenken von der Stadt Hachenburg verboten worden. Diese Meldung stammt laut Kaffai nicht von der Antifa, sondern sei ihrer Meinung nach ein Trick der rechten Szene, um die Demonstration zum Scheitern zu bringen.
Statistisch gesehen meldet das LKA in Mainz für den Westerwaldkreis im Landesvergleich nur wenige Delikte aus der rechten Szene. 2009 wurden 38 rechtsbezogene Straftaten verfolgt, die meisten wegen Schmierereien und Propaganda mit Verwendung nationalsozialistischer Symbole. Drei mal wurde Anzeige wegen Volksverhetzung erstattet. Die Zahlen für 2010 wurden noch nicht veröffentlicht, sollen aber in einem ähnlichen Rahmen liegen. Christian Reitik von der Antifa, der den Täter von 1990 kannte, ist überzeugt, dass die Eindämmung rechter Gewalt nur möglich wurde, weil sich antifaschistische Bewegungen gruppiert hätten.
Die Mutter des damaligen Täters äußerte gegenüber der WZ Verständnis für die Demonstration, wehrt sich aber vehement gegen den Mordvorwurf. Laut Aktenlage sei es kein Mord gewesen, sondern Totschlag. Ihr Sohn sei keiner der Hardliner der rechten Szene gewesen, die Tat sei auch nicht aus rassistischen Motiven heraus geplant worden. Er habe für die Tat gebüßt und sein Leben sei bis heute davon gezeichnet.
Thomas Sonnenschein