Wenn Verena Meyer heute über den Moment spricht, in dem die Idee von der Teilnahme an der deutschen Meisterschaft zu reifen begann, gerät sie immer noch ins Schwärmen. „Wir waren eher auf die Meisterschaften des RKK fokussiert, doch da haben wir nicht in den Altersschnitt gepasst“, erzählt die Trainerin der Jugend-Showtanzformation Dance Infinity des TSV Welschneudorf. Als ihr dann bewusst geworden ist, dass es eine weitere Möglichkeit gibt, sich dem Vergleich bei einer Meisterschaft zu stellen, vielleicht bis auf nationaler Ebene, sei sie „ganz euphorisch“ gewesen. „Mir war klar: Wenn das was wird, dann erreichen wir ein völlig neues Niveau“, sagt sie. Und vor allem: „Dann sehen wir, wo wir auf diesem höheren Niveau stehen.“ Zwei Monate später kennen Meyer und ihre 36 Tänzerinnen zwischen 12 und 17 Jahren die Antwort: Sie stehen ganz oben. Die Dance Infinitys sind Deutscher Meister.
„Das habe ich mir all die Jahre gewünscht für Dance Infinity“, sagt Meyer, die in Welschneudorf die Jugendgruppe mit aufgebaut und in acht Jahren als deren Trainerin „all meine Liebe da reingesteckt“ hat. Als Tänzerin war die 24-Jährige dabei, als die Erwachsenengruppe des Vereins, die vielfach ausgezeichneten Dance Emotions, 2018 den DM-Titel gewonnen haben. Dies auch mit dem Nachwuchs zu erleben, war ein Ziel, das die Trainerin nie aus den Augen verloren hat.

Ende März nimmt der Traum Form an. Neben den Rheinischen Karnevals-Korporationen (RKK) bietet auch die Federation of European Dance (FED) Qualifikationsturniere für die deutsche Meisterschaft an. Das Problem: Die ersten Veranstaltungen sind schon vorbei – doch die Tür ist noch nicht zu. Meyer sucht den Kontakt zu ihren „Mädels“ und deren Eltern. Klar ist schon jetzt: Der Weg zur DM wird kein leichter – und vor allem wird es ein weiter Weg, im wörtliche Sinne. Doch der Reihe nach.
Erste Station: Lindlar. Die Gemeinde im Oberbergischen Kreis liegt etwa 30 Kilometer östlich von Köln. Was Entfernungen angeht, ist das für die Dance Infinitys nach etlichen erfolgreichen Auftritten im Westerwald, im hessischen Langendernbach und bei den Duisburger Tanztagen machbar. Von Beginn an ist Verena Meyer davon überzeugt, dass ihr Tanz auch bei einer großen Meisterschaft gute Chancen hat. „Ameisen zeigen’s jedem – Arbeit ist das halbe Leben“ – so lautet das Thema, mit dem die Welschneudorfer Jugendgruppe nach der Karnevalszeit auch bei den Turnieren nicht nur das Publikum begeistert, sondern auch die Wettkampfrichter überzeugt. Für die erste Qualifikation in Lindlar meldet die Trainerin ihr Team in der Einsteigerkategorie „Beginners“ an. Sie stapelt tief, will vor allem sehen, wie das Urteil der Jury auf diesem Level ausfällt.
Das Ergebnis: Die geforderte Qualifikationsmarke von 24,5 Punkten (von 30) übertreffen die „Ameisen“ deutlich, sammeln für ihren Auftritt herausragende 28,3 Punkte und werden auf Anhieb von den „Beginners“ in die DM-relevante Kategorie „Master-Class“ hochgestuft. Damit ist der Weg zur Endrunde im Frankfurter Stadtteil Griesheim frei – theoretisch. Denn noch fehlen zwei weitere Qualiturniere, bei denen die geforderte Punktzahl ebenfalls überboten werden muss.
Zweite Station: Mücheln. „Wo? Sachsen-Anhalt?“ Die Fragezeichen sind nicht zu leugnen, als klar wird, wo die letzten Möglichkeiten sind, die Vorgaben der FED zu erfüllen. Dass sich der Bus mit den jungen Tänzerinnen tatsächlich auf den Weg Richtung Osten macht, hat eine Vorgeschichte. Die Reaktionen in Lindlar sind Antrieb, es weiter zu versuchen, den Traum von der DM nicht aufzugeben. Erste Kontakte werden geknüpft, auch zum Verein aus Griesheim, der Gastgeber der Endrunde ist. Nicht nur eine hervorragende Punktzahl und die erste der drei geforderten Qualifikationen nimmt die Gruppe aus Welschneudorf mit in den Westerwald, sondern auch den ein oder anderen Tipp. Und den verrückten Plan, es in Mücheln zu versuchen, wo in der höheren Kategorie nun 26,5 Punkte gefordert sind.
„Ich habe nie daran gezweifelt, dass wir es bis Griesheim schaffen. Das ist so ein gutes Gefüge.“
Verena Meyer, Trainerin Dance Infinity
In Sachsen-Anhalt werden die Ameisen gefeiert wie zuvor in Lindlar, erneut belohnen die Wertungsrichter den Auftritt der Dance Inifinitys mit 28,3 Punkten und räumen damit auch die letzten Zweifel aus, ob am DM-Ziel festgehalten werden soll. Für die Trainerin steht da längst fest, dass noch mehr kommen kann. „Nach der ultrahohen Punktzahl in Lindlar habe ich mir nur gedacht: Wie verkaufst du das den Eltern? Doch die Abstimmung war eindeutig“, erzählt Meyer.

Dritte Station: Jülich. Zur dritten Qualifikation geht es wieder nach Nordrhein-Westfalen – ohne den ganz großen Druck. Nach den ersten beiden Ergebnissen reicht beim dritten Turnier bereits die Teilnahme, die geforderte Punktezahl überbietet die Gruppe des TSV Welschneudorf aber erneut, obwohl beim Auftritt nicht alles glatt läuft. „Ich habe nie daran gezweifelt, dass wir es bis Griesheim schaffen“, sagt Verena Meyer. Sie vertraut ihren Tänzerinnen, gleichzeitig gibt sie ihnen den Halt, den sie brauchen. „Das ist so ein gutes Gefüge“, schwärmt die 24-Jährige. „Davon konnte ich nicht ausgehen, weil wir doch so viele sind.“
Rückblick: Vor der Saison wächst die Gruppe um 12 auf insgesamt 36 Tänzerinnen. Betreten die Ameisen die Bühne, geht nicht selten ein Raunen durchs Publikum. Doch viele Tänzerinnen bedeuten auch, dass Ausfälle eher die Regel als die Ausnahme sind. Ein Problem, das Dance Infinity bis zum großen Finale in Frankfurt begleitet. „Die Choreografie ist auf 36 Tänzerinnen ausgelegt. Wenn viele Tänzerinnen fehlen, stellst du dir immer die Frage, ob das, was du entwickelt hast, überhaupt rüberkommen kann“, sagt Verena Meyer, die als alleinige Trainerin Choreografie und Kostüme selbst entworfen hat. „Dann stellst du dir die Frage: Wie schaffen wir das?“ Doch die Tänzerinnen hätten sich in jeder Phase der Saison unterstützt und gegenseitig getragen, sich von Beginn an immer geholfen, auch die Älteren den Jüngeren. „Gemeinsam haben wir uns jeder Herausforderung gestellt.“
„Gemeinsam haben wir uns jeder Herausforderung gestellt.“
Verena Meyer, Trainerin Dance Infinity
Der Höhepunkt: Frankfurt. Der Saalbau im Stadtteil Griesheim fasst an diesem Tag rund 700 Zuschauer, ein stetes Kommen und Gehen von morgens um 8 bis nach 21 Uhr. Das ideale Terrain für Ameisen, möchte man meinen. „Das Beste kommt zum Schluss“, sagt eine der beiden Frauen in Reihe drei, die mit Programmheft auf dem Schoß und Kuli in der Hand jeden Tanz begutachten und fein säuberlich die Wertungen der insgesamt siebenköpfigen Jury notieren. Die Dance Infinitys gehen als vorletzte Gruppe des unfassbar langen Tanztags in der etwas sperrig zu lesenden Kategorie „Show Only Large Group mit mindestens fünf Hebungen“ auf die Bühne. „Diese Hebungen“ sind das, worauf sich die Expertin aus Reihe drei besonders freut, wie sie sagt. Hebungen, Würfe, Spektakel – die ganz große Show.
„Bis die Mädels auf die Bühne gegangen sind, war ich ganz ruhig“, blickt Verena Meyer zurück. „Ich habe dann schnell gesehen, dass sie drin sind bei den Schrittfolgen. Doch bei Hebungen kann immer was passieren.“ Da sei es schöner, selbst Tänzerin zu sein – und nicht Trainerin. Die Angst, es könne etwas schiefgehen, ist aber schnell verflogen. Die Ameisen des TSV Welschneudorf sind voll drin in ihrer Welt.
Trost des Gegners geht im großen Triumph vor
Die aufwendigen Kostüme, die herausstechen aus der Menge des langen DM-Tags, funkeln im intensiven Licht der Scheinwerfer, der starke Ausdruck der Tänzerinnen und die rasante Choreografie reißen das Publikum mit. Und durch den großen Saal springt der Funke auch auf die Jury über, deren Wertungen von 9,6 und 9,7 sich auf 48,2 von 50 Punkten summieren. Dieser Erfolg ist bei allem Talent und Fleiß nicht selbstverständlich. Das erleben die Ameisen, als Gastgeber Griesheim den frühen Einbruch einer Hebung verkraften muss.

„Da war mir klar, dass es eigentlich reichen muss für uns. Einen Fehler in einer Hebung kannst du nicht ausgleichen. Zumal wir den besten Auftritt in der ganzen Saison gezeigt haben, zum ersten Mal endlich mit allen 36 Tänzerinnen“, sagt Meyer. Die drei Dutzend Ameisen verfolgen den Auftritt des großen Konkurrenten aus direkter Nähe. Sie feiern nicht, sondern nehmen die Griesheimer Tänzerinnen in den Arm. Der Trost der anderen ist ihnen in diesem Moment wichtiger als der eigene Triumph. Erst als die Jury zum letzten Mal an diesem Tag die Schilder mit den Noten in die Luft hält, bricht pure Freude aus im Haufen bunt-glitzernder Ameisen. Ihr Traum ist wahr geworden, sie sind Deutscher Meister.
Ausblick: Schon bevor es am schönsten wurde mit der Jugendgruppe Dance Infinity, hatte Verena Meyer angekündigt, den TSV Welschneudorf zu verlassen und in ihrem Heimatort Holler eine eigene Gruppe aufzubauen. Mit den Worten „neue Wege gehen“ hat die 24-Jährige ihre Entscheidung überschrieben. „Kein leichter Schritt, aber der richtige“, ist sie überzeugt. Viele Tänzerinnen werden sie begleiten, andere bleiben bei Dance Infinity, wechseln zu den Dance Emotions oder legen eine Pause ein. In Welschneudorf baut der TSV seine Jugendgruppe neu auf und hat schon mit dem Training begonnen. In Holler startet Meyer mit der Gruppe Eternity Nova die Vorbereitung auf die neue Saison am Sonntag. Neue Ideen beginnen zu reifen.