Bundespräsident lud Unnauerin zu Fest ein
Bundespräsident würdigt Einsatz: Seit 19 Jahren unterstützt junge Unnauerin ihren Bruder
Familie Hermann
Mama Marlene Hermann (von rechts), Papa Erwin Hermann, Sohn Tobias Hermann und Tochter Julia Hermann haben in der schweren Zeit nach dem verheerenden Verkehrsunfall vor 19 Jahren immer zusammengehalten. „Einer unterstützt den anderen“, sagen sie voller Dankbarkeit. Dankbar ist die Familie auch der Initiative von Manfred Franz, durch die Julia eine Einladung zum Bürgerfest des Bundespräsidenten in Berlin erhielt. Foto: Röder-Moldenhauer
Röder-Moldenhauer

Unnau-Korb. Beim Gedanken an den 9. September 2005 füllen sich die Augen von Julia Hermann mit Tränen: Dieser Tag hat ihr Leben und das ihrer gesamten Familie von jetzt auf gleich verändert, denn an diesem Tag verunglückte Julias Bruder Tobias schwer. Er ist seither rund um die Uhr auf Hilfe angewiesen. Tobias war zum Zeitpunkt des Unfalls 19, seine Schwester 16 Jahre alt.

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Während der junge Mann, begleitet von seiner Mutter Marlene, fern der Heimat um sein Leben kämpfte, musste Julia, die damals noch Schülerin war, quasi über Nacht erwachsen werden, Stärke zeigen, sich auf ihr Abitur vorbereiten, den Haushalt managen und den behindertengerechten Umbau ihres Elternhauses beaufsichtigen, damit Tobias nach seinem rund zweijährigen Aufenthalt in einer Spezialklinik fortan in der Heimat in Unnau-Korb gepflegt werden konnte.

Einladung zum Bürgerfest in Berlin

Familienvater Erwin Hermann arbeitete damals in Bonn und hatte somit wenig Zeit für häusliche Angelegenheiten. Als Dankeschön für ihren uneigennützigen Einsatz, der bis heute anhält, wurde die inzwischen 35-jährige Julia Hermann vor einigen Tagen zum Bürgerfest des Bundespräsidenten in Berlin eingeladen.

Ausgangspunkt für diese Einladung war eine Initiative von Manfred Franz, dem früheren langjährigen Vorsitzenden der Unnauer Patenschaft. Er kennt Familie Hermann gut. Vor allem Julias Selbstlosigkeit beeindrucke ihn seit dem Unfalltag vor 19 Jahren, sagt er. Um diese Leistung zu würdigen, schlug Franz sie bei der Kreisverwaltung für die Verleihung der Ehrennadel des Landes vor. Wie er dann jedoch erfuhr, wird diese Auszeichnung bei privaten Betreuungsverhältnissen erst nach 20 Jahren verliehen.

Manfred Franz: Ehrennadel für 2025 versprochen

„Ich habe aber die feste Zusage erhalten, dass Julia 2025 die Ehrennadel bekommt“, berichtet Franz. Doch schon in diesem Jahr blieb sein Schreiben nicht folgenlos: Die zuständigen Stellen bei der Landesregierung in Mainz waren von Julias Geschichte so beeindruckt, dass sie die Westerwälderin für das Bürgerfest des Bundespräsidenten vorschlugen.

Als dann die schriftliche Einladung aus dem Hause von Frank-Walter Steinmeier eintrudelte, konnte Julia Hermann es zunächst nicht glauben. Doch schließlich machte sie sich mit einer guten Freundin für drei Tage auf nach Berlin, wo sie mit rund 4300 weiteren Gästen im Garten von Schloss Bellevue empfangen wurden. Der Zugang erfolgte über einen roten Teppich, wie Julia Hermann begeistert erzählt.

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Julia Hermann und ihre Begleitung wurden auf dem roten Teppich im Schloss Bellevue in Berlin empfangen. Foto: Mirjam Held
Mirjam Held

Es sei eine beeindruckende, internationale Veranstaltung gewesen, die dadurch bereichert worden sei, dass auch der kenianische Präsident Ruto und dessen Frau an der Feier teilnahmen. „Es gab Musik, Tanz, Polittalks und die Möglichkeit, neue Leute kennenzulernen. Wir wurden richtig verwöhnt“, schwärmt die Unnauerin. Zu den auftretenden Künstlern zählte beispielsweise die Sängerin Zoe Wees.

Eigene Bedürfnisse hinten angestellt

Die Einladung nach Berlin war eine Anerkennung dessen, was Julia Hermann bereits in jungen Jahren geleistet hat und immer noch leistet. Viele eigene Bedürfnisse hat sie seit dem Unfall hinten angestellt. Sie hilft bei der Pflege, geht regelmäßig mit Tobias spazieren und sorgt dafür, dass er unter Leute kommt. Die Erfahrung im Umgang mit ihrem Bruder hat auch ihren beruflichen Weg beeinflusst: Nach seinem Unfall musste Tobias Hermann neu lernen zu sprechen. Es war für seine Schwester schwer zu ertragen, dass er sich zunächst über Monate hinweg nicht mitteilen, nur mit den Augen Zustimmung oder Ablehnung signalisieren konnte.

Wir unterstützen uns alle gegenseitig. Nur als Team, als Familie kann man mit so einer schwierigen Situation umgehen.

Familie Hermann unisono

„Tobi hatte keinen Zugriff auf Sprache. Das war schlimm“, erläutert die 35-Jährige, die sich daher nach ihrem Abitur am Gymnasium Marienstatt für ein Studium der Logopädie an einer Privatschule in Bonn entschied – um ihrem Bruder und anderen Menschen dabei zu helfen, sich ausdrücken zu können. Diszipliniert verfolgte sie ihr Ziel, lernte unter der Woche fleißig. Die Wochenenden verbrachte sie in der Regel zu Hause bei ihrer Familie – auch, um ihre Mutter bei der Pflege von Tobias zu entlasten. „Ausgehen und feiern war mir nicht so wichtig“, gesteht sie.

Erfahrung mit Bruder hat Berufswahl beeinflusst

Mittlerweile leitet sie die Logopädie im Heinrich Haus in Höhn – und arbeitet auch regelmäßig mit ihrem Bruder, dessen Sprachkompetenz sich deutlich verbessert hat. „Ich bin immer Julias Versuchskaninchen“, sagt er lachend. Zugleich ergänzt er, dass ihm die gemeinsamen Sing- und Bewegungsspiele auf der Konsole, die die Schwester zu Trainingszwecken einsetzt, durchaus Spaß machen. „Den Schalk hat er zum Glück immer noch im Nacken sitzen“, so die Reaktion darauf von Mama Marlene und Papa Erwin.

Die Eltern sind dankbar für das enge Verhältnis der Geschwister. „Julia schenkt uns schon mal Kurzurlaube zum Durchschnaufen. Während wir weg sind, übernimmt sie komplett Tobis Betreuung. Wir haben vollstes Vertrauen in sie und wissen Tobi bei ihr in guten Händen“, bestätigen die Eltern. Deshalb sind sie, ebenso wie Julia Hermann selbst, Manfred Franz sehr dankbar für seine Initiative und die daraus resultierende Einladung nach Berlin.

Der 9. September 2005 veränderte das Leben der Hermanns

Am 9. September 2005 ereignete sich zwischen Unnau und Nistertal ein schwerer Verkehrsunfall: Zwei Jungfeuerwehrmänner, einer von ihnen Tobias Hermann, waren mit einem Pkw auf dem Weg zu einer Feuerwehrausbildung in Westerburg, als sie in einer Kurve von der Straße abkamen. Der Fahrer wurde leicht, Tobias Hermann schwer verletzt. Der 19-Jährige besuchte damals das Wirtschaftsgymnasium in Westerburg, stand kurz vor dem Abitur, wollte eine Ausbildung beim Finanzamt beginnen. Doch von einer Sekunde auf die nächste änderte sich das ganze Leben. Seit dem Unfall benötigt Tobias rund um die Uhr Betreuung, ist auf den Rollstuhl angewiesen. Die Familie hat ihr Haus in Unnau-Korb behindertengerecht umgebaut und sogar einen Therapieraum für ihren pflegebedürftigen Sohn eingerichtet. nh

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