Von unserem Redakteur Michael Wenzel
Der 70-Jährige, der mit seinem Traktor die Strecke zwischen Höchstenbach und Welkenbach befahren hatte, war von einem Pkw erfasst worden und noch am Unfallort verstorben. Was der Unfallverursacher zunächst nicht ahnte: Bei dem Mann, den er auf dem Traktor mit seinem Auto von hinten gerammt hatte, handelte es sich um einen engen Freund seiner Eltern.
Es ist ein Fall, wie er an Tragik sicherlich selten im Leben vorkommt. Ein 45 Jahre alter Mann fährt mit seinem Firmenwagen auf der K 6, als er plötzlich extrem stark von der Sonne geblendet wird. Anstatt das Fahrzeug abzubremsen, fährt er mit etwa 80 Stundenkilometern weiter und prallt gegen einen Traktor. Der 70-Jährige, der das Gefährt steuert, wird mehrere Meter weit weggeschleudert. Der Aufprall ist so heftig, dass die hintere Achse des Traktors völlig auseinander bricht. Der Traktorfahrer stirbt kurze Zeit später an der Unfallstelle.
Was dem Unglücksfahrer erst wenige Minuten nach dem Zusammenprall bewusst wird: Der Mann, den er auf dem landwirtschaftlichen Gerät erfasst hat, stammt aus demselben Ort wie er, ist ein enger Freund seiner Eltern. Sie wohnen nur 200 Meter voneinander entfernt, haben mit ihm und seiner Frau den Urlaub verbracht und saßen gemeinsam bei mancher Feier fröhlich zusammen.
In dem Augenblick, als es zu dem folgenschweren Verkehrsunfall kommt, hat die Frau des Traktorfahrers gerade das Haus verlassen und will zur Gesangsprobe. Sie erwartet ihren Mann, will sich noch von ihm verabschieden. Aus der Ferne sieht sie, dass dort auf der Straße etwas passiert sein muss. Sie ahnt Schlimmes und läuft zum Unfallort. Auch andere Verwandte des Verunglückten treffen dort ein. Als sie den Sohn ihrer Bekannten sehen, wollen sie ihren Augen kaum trauen. „Helmut (Name von der Redaktion geändert), ausgerechnet Du?“, stellt jemand aus der Reihe der Hinterbliebenen fest und will es kaum glauben.
In der Folgezeit nach dem Unfall kommt es zu gegenseitigen Besuchen, man tröstet sich, schließt sich in die Arme. Der Mann, der den Tod des 70-Jährigen verursacht hat, hilft der Witwe bei Rechnungen. Der 45-Jährige kann selbst heute noch nicht verstehen, warum ausgerechnet ihm das passiert ist, warum er den besten Freund seiner Eltern aus dem Leben gerissen hat. Nur langsam kehrt er zurück in die Normalität des Alltages. Eineinhalb Wochen lang war er nach dem Unfall krankgeschrieben, nahm über Monate hinweg Medikamente. „Wissen Sie, es ist, als ob einem das eigene Leben aus den Händen gleitet“, berichtet der Angeklagte dem Gericht über die persönlichen Gefühle nach dem Unfall und fügt hinzu, dass die Hinterbliebenen sehr fair zu ihm seien, was ihm viel bedeute.
Gegen einen Strafbefehl von 120 Tagessätzen wegen fahrlässiger Tötung hatte der 45-Jährige durch seinen Rechtsbeistand Einspruch einlegen lassen. Aufgrund der großen Tragik dieses Falles wurden die Sätze mit Einverständnis der Staatsanwaltschaft auf 90 heruntergeschraubt, was zur Folge hat, dass er jetzt zwar vorbestraft ist, es aber zu keinem Eintrag im polizeilichen Führungszeugnis kommt.