Bereits Müller machte deutlich: „Natürlich bedeutet landwirtschaftliches Wirtschaften einen Eingriff in die Natur. Aber schließlich wollen die Menschen auch satt werden.“ Diese Feststellung zog sich – ebenso wie die Frage nach der Selbstversorgung mit Lebensmitteln gerade in Krisenzeiten – wie ein roter Faden durch den Abend. „Die Landwirte in Deutschland sind nur zu 90 Prozent in der Lage, die Bevölkerung mit Nahrungsmitteln zu versorgen“, stellte der Landwirt aus Irmtraut gleich zu Beginn der Veranstaltung fest. Gerade mit Blick auf knapper werdende Medikamente und die Corona-Krise stellte er die Frage, wie man sich besser aufstellen könnte. Durch hohe Auflagen habe man zwar hohe Standards erreicht. Dadurch werde aber auch die Produktion teuer. Mit dieser Frage müsse sich die Politik stärker beschäftigen, forderte der Vorsitzende des Wäller Kreisbauernverbands.
Was die Landwirte gar nicht verstehen können, so Müller, sei die Tatsache, dass sich die Lebensmittelhändler zu immer größeren Einheiten mit einer entsprechenden Marktmacht zusammenschließen dürfen, dies den landwirtschaftlichen Erzeugern vom Kartellamt aber verwehrt werde. Auch mit Blick auf die Demonstration der Landwirte am Sonntagabend am Aldi-Zentrallager in Montabaur (unsere Zeitung berichtete) forderte der Bauernvorsitzende, die Discounter bei den Preisen stärker in die Pflicht zu nehmen. Aber auch über die Gründung einer Erzeugergemeinschaft für den Westerwald sollen die Landwirte verstärkt nachdenken.
Landtagspräsident Hendrik Hering stellte selbstkritisch die Frage, ob die Politik einen ausreichenden Rahmen vorgibt, innerhalb dessen die Landwirte vernünftig wirtschaften können. Gleichzeitig zeigte er sich betroffen davon, dass die Bauern ständig an Ansehen verlieren, obwohl sie sich an die Vorschriften halten. Hier helfe nur, dass die Landwirte noch mehr an ihrem Image arbeiten und zeigen, was sie für den Natur- und Tierschutz tun. Hinsichtlich der Auflagen und Vorschriften stellte der SPD-Politiker unter dem Applaus des Publikums fest: „Die dadurch entstehenden Wettbewerbsnachteile für die Landwirte müssen ausgeglichen werden. Das hat nichts mit Subventionen zu tun.“
Gleichzeitig warnte Hering vor der Doppelmoral vieler Verbraucher: Einerseits sage man in Umfragen, dass man für immer strengere Auflagen beim landwirtschaftlichen Wirtschaften sei und auch dafür bezahlen wolle. Doch im Laden werde dann angesichts der Preise fast immer eine andere Entscheidung getroffen.
Sehr skeptisch zeigte sich der Landespolitiker, dass man den Anteil der Ökolandwirte in Rheinland-Pfalz von jetzt 8 Prozent auf gewünschte 20 Prozent steigern könne. Zudem müsse man sich auch die Frage stellen: Ist das überhaupt moralisch verantwortbar, wenn man die immer weiter steigende Weltbevölkerung ernähren muss?
Die rheinland-pfälzische Milchkönigin Vivien Ludwig stellte angesichts zunehmender Unbeliebtheit von Kuhmilch und -produkten gerade bei jüngeren Menschen fest, dass zu einer gesunden Ernährung einfach die Milch dazugehöre. Es stünden ja die unterschiedlichsten Produkte zur Verfügung, die sowohl kalt wie warm genossen werden können.
Der weitverbreiteten Meinung, die Landwirte kümmerten sich nicht genug um das Wohlergehen ihrer Tiere, erteilte der Manfred Zelder als Vizepräsident des Bauern- und Winzerverbandes Rheinland-Nassau eine harsche Absage: „Nur wenn die Kuh sich wohlfühlt, steigt auch ihre Leistung.“ In Sachen Insektenschwund stellte er fest, dass eigentlich jeder mit seinem Verhalten dazu beiträgt. „Es sind nicht nur die Landwirte.“ Und er wies auf ein ganz schwerwiegendes Problem hin: Mit unserem Wohlstand sei es tatsächlich möglich, auf die Landwirtschaft in der Heimat zu verzichten und die Produkte in der Dritten Welt zu kaufen. Dort würden die steigenden Preise allerdings dazu führen, dass die Menschen verhungern.
Welche Probleme heute schon die Ernährung und Versorgung der zunehmenden Weltbevölkerung aufwerfen, machte im Vortrag und mit eindrucksvollen Bildern und Grafiken Otto Körner aus Triesdorf deutlich. „Reicht eine Erde?, fragte er allein angesichts von Fotos von Megastädten wie São Paulo und Kinshasa, wo schon heute 24 beziehungsweise 10 Millionen Menschen leben, die mit Nahrung versorgt werden müssen, und deren Einwohnerzahl sich weiterhin erhöhen wird.
Bei der Produktion von Nahrungsmitteln würden allein schon die dazu zur Verfügung stehenden Flächen zunehmend zum Problem. Letztendlich könne man weltweit wahrscheinlich nur durch Abholzung weitere Gebiete für die Landwirtschaft nutzbar machen – wie es ja früher in Europa eigentlich auch gemacht worden sei. Körner stellte auch die Frage, ob man es sich in Zukunft wirklich noch leisten könne, landwirtschaftlich genutzte Flächen für die Energieerzeugung oder Ähnliches zu nutzen.
Körner räumte auch mit vielen, nach seiner Ansicht nach falschen Vorstellungen und Informationen auf: So werden nur rund 30 Prozent der weltweiten Getreideproduktion an Tiere verfüttert und nur 10 Prozent der Ackerflächen für die Tierernährung genutzt. Auch der oft geforderte Verzicht auf Fleisch und der vermehrte Verzehr von pflanzlichen Nahrungsmitteln stoße schnell an seine Grenzen. „86 Prozent der Futtermittel für Tiere sind für den menschlichen Verzehr überhaupt nicht geeignet.“ Und für viele eine besondere Überraschung: „Das globale Grünland ist der größte Sonnenkollektor der Erde – durch die Nutzung mit Wiederkäuern“, machte der Experte deutlich. Und insbesondere an die Vegetarier gerichtet, fragte er: „Was fressen denn Ihre Hunde und Katzen?“ Und gab sich selbst die Antwort: „Allein in Deutschland jährlich 1 Million Tonnen Fleisch!“
Nach vielen Anregungen, Richtig- und Feststellungen zog der Landwirtschaftsexperte das Fazit: „Wir brauchen bis 2050 eine Verdoppelung der landwirtschaftlichen Produktion.“ Dazu müsse man noch viel effizienter produzieren und sich von der romantischen bäuerlichen Wirtschaftsweise von einst, die noch in vielen Köpfen verankert sei und zum Beispiel bei der Werbung für Milchprodukte weiter gepflegt werde, schnellstens verabschieden. Körner plädiert für eine (Natur-)integrative und progressive Landwirtschaft. Eine ökologische Landwirtschaft sei allein schon vom Flächenverbrauch her in Zukunft kaum möglich. Denn woher sollen die Flächen kommen? Zumal mehr Öko dem Klima nicht nutze, sondern schade. Man müsse sich vielmehr überlegen, wie man zum Beispiel durch eine intelligente Bewässerung oder auch durch technischen Fortschritt höhere Produktionsleistungen erreicht. Und was sollen die Landwirte in der Region tun? „Weiter wachsen. Arbeitsteilig und mit Fremdarbeitskräften wirtschaften. Ineffektive Verfahren auslagern“, regte der Experte an. Und den Menschen deutlich machen: „So gut wie heute ging es den Tieren in unseren Ställen noch nie.“