Sie berichten, dass die Fälle, die über die Interventionsstelle gegen häusliche Gewalt bei ihnen im vergangenen Jahr gelandet sind, „krasser“ geworden sind. Sprich: Die Fälle mit der höchsten Gefährdungsstufe für die betroffenen Frauen nehmen zu. Da gab es zum Beispiel eine ältere Frau, deren Mann drohte: „Ich mache Dir das Leben zur Hölle und bringe Dich um!“ Er sperrte das Konto, sie stand mittellos da – mitten in der Corona-Zeit, in der es zwar theoretisch für die Frau möglich gewesen wäre, sich online beispielsweise an das Jobcenter zu wenden, doch dazu hätte sie einen eigenen Computer gebraucht. Hilfe bei den Anträgen bekam sie dann durch das Frauenzentrum. Gemeldet habe sich beispielsweise auch eine junge Frau, die in der Corona-Zeit zwangsverheiratet werden sollte. Gemeinsam mit anderen Institutionen erreichte das Frauenzentrum, dass die „Braut“ nun an einem sicheren Ort leben kann.
„Unsere Rückmeldungen zeigen“, führt Howind aus, „dass unter Pandemiebedingungen die Gewalt in engen sozialen Beziehungen noch weiter eskaliert ist.“ Flucht- und Ausweichmöglichkeiten fehlten. Und das hänge auch mit der Wohnungslage im Westerwald zusammen: Es gibt viel zu wenige bis gar keine freien Kleinwohnungen, die vom Sozialsystem refinanziert werden.
„Oft sagen uns Klienten: Wir würden ja gehen, aber es gibt keine Möglichkeit.“ Das habe neben der Wohnungsnot auch damit zu tun, dass die meisten Frauen immer noch finanziell abhängig von dem Mann seien, so Howind weiter. Die Folge: Wenn die von Gewalt betroffenen Frauen aus der Beziehung gehen, den Mann verlassen, haben sie erst einmal nichts, also keinerlei finanzielle Mittel. Zu den Hilfsangeboten, welche das Frauenzentrum leistet, gehört auch, dass geschulte Mitarbeiterinnen die Frauen zu Behörden oder zu Gerichtsterminen begleiten. Das war im vergangenen Corona-Jahr 11-mal der Fall (2019: 17 Fälle, 2020: 27 Fälle). „Auch bei der psychosozialen Prozessbegleitung werden wir verstärkt nachgefragt“, berichtet Howind weiter.
Weitere Begleitungen fanden beispielsweise beim Gang zum Jugendamt oder zum Arbeitsamt statt. „Da bräuchten wir noch geschulte Ehrenamtliche, die uns begleiten“, sagt die zweite Geschäftsführerin Katrin Weiland.
Während der Corona-Zeit habe es leider auch weniger Weiterbildungsangebote gegeben, so die beiden Geschäftsführerinnen. Ein Grund dafür ist, dass die am oder vom Beginenhof angebotenen Kurse nicht nur auf Theorie aufbauen. Körpererfahrung, Selbstwahrnehmung spielen eine Rolle. Wendo sei eben nicht am Bildschirm möglich – ebenso wenig wie Achtsamkeitskurse.
In den vergangenen beiden Jahren musste sich das Frauenzentrum umstellen: „Eine neue Beratungsform hat sich entwickelt“, sagt Howind. Während sie früher davon überzeugt war, dass ein persönlicher Kontakt zu den Betroffenen für eine Beratung unabdingbar sei, haben die Mitarbeiterinnen nun festgestellt, dass es für viele Frauen hilfreich ist, telefonisch Kontakt zu haben. Was sich aus den Pandemiezwängen heraus entwickelte, hat bis heute Bestand. So gibt es auch jetzt noch Frauen, die eine telefonische Beratung bevorzugen.
„Wir haben viel mehr Leute, die über ihr Handy eine Beratung wünschen, dabei face to face mit uns sprechen“, sagt Kirsten Howind. Hingegen habe die Onlineberatung per E-Mail abgenommen. Das lässt sich statistisch belegen: Diese Möglichkeit wurde 2019 insgesamt 244-mal genutzt, 2020 nur 88-mal und 2021 insgesamt 96-mal. Dabei bietet die anonyme Onlineberatung auch Vorteile: Sie wird beispielsweise auch von Klienten genutzt, die nachts nicht schlafen können und etwas (online) loswerden müssen und wollen.
Die Einschränkungen während der Pandemie hat die Arbeit des Beginenhofs auch in anderen Arbeitsbereichen getroffen: So konnte sich beispielsweise die Selbsthilfegruppe für Frauen und Mädchen, die sexualisierte Gewalt/Missbrauch erlebt haben, nicht mehr vor Ort treffen. Der Raum, der bis dahin genutzt wurde, war einfach zu klein, um die Mindestabstände einhalten zu können. „Da war eine Riesennot“, beschreibt Howind die Lage der Betroffenen.
Statt leibhaftiger Treffen wurden deshalb Videokonferenzen einberufen – eine Form, die auch jetzt noch weiter genutzt wird. Das komme manchen entgegen, für die es schwierig sei, aus dem Haus zu gehen, und die lieber in ihrer sicheren Umgebung bleiben wollen. Die Onlinetreffen hätten beispielsweise auch den Vorteil, dass konzentrierter zugehört werde. „Man hat dann größere Hemmungen, andere zu unterbrechen“, verdeutlicht Howind. Und eine Teilnahme ist auch für Frauen möglich, die inzwischen an einem anderen Ort wohnen und für die der Weg nach Westerburg weit geworden ist.
Dennoch sei es wichtig, auch wieder zu persönlichen Treffen zu kommen – nach dem Motto: „Ich muss mal raus aus der geschützten Umgebung – und nehme mein Thema dabei mit.“ Treffen vor Ort haben den Vorteil, dass dann neben der verbalen Kommunikation auch die nonverbale wieder erfahrbar wird – sei es eine Umarmung zur Begrüßung oder die Körpersprache beim Reden und Zuhören.
„Wir wollen uns jetzt auch als Standort einer Kinderinterventionsstelle bewerben“, gibt Weiland weitere Pläne kund. Ein weiteres Thema ist, eine Brücke zur Geschlechtervielfalt zu schlagen.
Angela Baumeier
Weitere Infos und Kontaktmöglichkeiten gibt es im Internet unter www.notruf-westerburg.de