Die Zelte flattern im Wind und schütteln noch die letzten Regentropfen von der Nacht ab. In Bauer Thorsten Zellmanns Garten sind Besucher eingezogen, die man so vielleicht nicht direkt auf einem konventionellen Bauernhof erwartet. Umweltaktivisten sind dem Aufruf der Organisation „Meine Landwirtschaft“ zur Teilnahme am Projekt „Hof mit Zukunft“ gefolgt und nach Endlichhofen gekommen, um drei Tage mit anzupacken und ins Gespräch zu kommen über die Themen, die ihnen in puncto Land- und Ernährungswirtschaft auf den Nägeln brennen.
Dafür haben sie mit Bauer Zellmann genau den Richtigen erwischt, wie sich schnell herausstellt. Ganz harmonisch wirkt Runde an Zellmanns Küchentisch, dabei geht es um nichts weniger als die Zukunft unserer Lebensmittelversorgung. Rege wird das große Gesprächsrad gedreht, es geht um Ernährung und Klimaschutz, um Tierschutz und Biodiversität, um die Notwendigkeit von Rinderhaltung und Fleischkonsum.
Dass Thorsten Zellmann zwar ein konventioneller Bauer ist, sein extensiv wirtschaftender Betrieb mit 40 Hektar und 40 Rindern samt eigener Molkerei ein besonderer in der Milchindustrie ist, das hat vor allem Tino Westphal, Vorstand im Kreisverband des Nabu in Darmstadt, gereizt, den Hof zu besuchen. Westphal ist gut informiert, berät Bauernhöfe bei der Umsetzung von Biodiversitätsmaßnahmen und hat mit Zellmann einen gebührenden Gesprächspartner. Vor allem interessiert ihn, wie Zellmann seine Flächen bewirtschaftet und dabei die Artenvielfalt erhält.
Auch Inka Grille, Biologiestudentin und BUND-Mitglied aus Marburg, interessiert der Erhalt der Artenvielfalt sehr. Sie hat bereits Erfahrungen bei einem Arbeitsaufenthalt auf einem Demeter-Hof in Frankreich gesammelt, aber auch gemerkt, dass sich diese Art des ökologischen Wirtschaftens nicht rechnen könne, wie sie sagt. Deshalb suche sie nun den Dialog mit Zellmann, um im respektvollen Umgang auf Augenhöhe einen Konsens zu finden. Und dann geht es auch schon direkt tief in die Thematik: CO2-Kreislauf, Kennzahlen zu Fütterung wie Proteingehalt von Soja, die Rolle des Aktivismus über die Jahrzehnte und die Zielkonflikte der verschiedenen Interessensgruppen und Verbände – die Gespräche sind so vielschichtig wie fachlich tief, man muss genau zuhören, um am Ball zu bleiben. Unvorbereitet ist hier keiner.
So auch der dritte Aktivist im Bunde: Thomas Prey. Der 31-jährige Münchner ist auf einem Bauernhof groß geworden, engagiert sich jetzt in Solawis und Genossenschaften. Er kennt die bäuerliche Praxis gut und ist fasziniert von Zellmanns Art und Weise, einen so kleinen Milchhof am Laufen zu halten. „Was mich hier besonders interessiert, ist, wie Bauern und Bürger wieder einen Konsens finden, wie wir wieder eine Verbindung zwischen Konsument und Hersteller schaffen“, sagt er. Was ihn an der gesamten Industrie nervt, seien die ökonomischen Zwänge, die Bauern die Luft zum Atmen nehmen würden. Der Druck und die Preisgestaltung des Handels machten es den Landwirten schwer, ihrem Job nachzugehen und sich einer ökologischen Zukunft zu öffnen.
Und der Gastgeber? Der lauscht aufmerksam den Fragen und Erläuterungen seiner Gäste, nickt, notiert etwas, entgegnet und erklärt ruhig und konstruktiv. Ein Bild, das man nicht erwartet nach all den Schlagzeilen, Bauerndemos und auch schlimmen Bildern von am Galgen baumelnden Ampeln und wenig gesprächsbereiten Berufskollegen gegenüber Aktionen von Aktivisten. Das Verhältnis scheint zerrüttet, die Situation verfahren. „Momentan stehe ich selbst mit meinem Betrieb an einem Scheideweg, deshalb ruht hier die Arbeit aktuell“, berichtet Zellmann von seinem Betrieb. Bisher produzierte er Milch für den Direktverkauf ab Hof oder über seinen Onlineshop, aus dem großen Lebensmittelhandel hat er sich nach einem Rechtsstreit mit einer großen Handelskette zurückgezogen.
Seitdem hat er auf seinem Hof vieles verändert, auf extensive Landwirtschaft umgestellt, die Tiere laufen vom offenen Stall selbstständig auf die Weide, Kälber bekommen keine Ersatzmilch, sondern werden von Ammenkühen gesäugt. Der Bauer kennt jedes seiner Tiere mit Namen, „es sind nicht nur die Namen, ich kenne ihren Charakter, jedes ist anders“, sagt er und lässt sich die Hand von einer Kuhzunge umschlingen. Ein bisschen wie in Büllerbü fühlt man sich bei Bauer Zellmann auf seiner Weide zwischen frischen Kuhfladen, Wiesenkräutern und wild wuchernden Waldsäumen.
Trinkmilch brauchen wir in Zukunft nicht.
Bauer Thorsten Zellmann stellt die Milchproduktion infrage
Dabei stellt Zellmann die traditionelle Kuhmilchproduktion generell infrage. „Trinkmilch brauchen wir in Zukunft nicht, aber ich sehe eine Notwendigkeit für Tiere, die unsere Landschaft pflegen und erhalten sollen“, sagt er und plant die Umstellung auf Pflanzendrinks. Eine bei Berufskollegen und gerade auf dem Land unbeliebte Position. Neu ist das für ihn nicht. Im Bauernverband gilt er als Querulant, sagt er grinsend, als einer, der immer wieder mit neuen Ideen um die Ecke komme und dem eher konservativen Berufsstand unbequeme Fragen stelle.
„Dabei können wir nicht so weitermachen wie bisher. Wir müssen uns als Berufsstand der Gesellschaft öffnen und machen, was die Gesellschaft von uns verlangt – aber: Wir machen, was ihr wollt, aber so, dass es sich für uns lohnt“, betont er. Landwirtschaft müsse für die Bauern auskömmlich sein, die Gesellschaft müsse bereit sein, den Preis dafür zu zahlen. „Wir Bauern werden die Konsumkette und den Handel nicht ändern können. Dafür sind wir zu klein. Aber die Kunden können den Druck auf die Politik erzeugen, Verarbeitung und Handel in die Schranken zu weisen“, ist seine Position. Zustimmendes Nicken bei den Aktivisten.
Der im Großen so weit entfernt scheinende Schulterschluss zwischen den Umweltschützern und den Bauern ist hier zum Greifen nah – an Bauer Zellmanns Küchentisch ist man sich einig: Alle müssen an einem Strang ziehen – die Bauern, zivilgesellschaftliche Organisationen wie Umweltverbände, die Gesellschaft, um die landwirtschaftlich dringende Wende zu erreichen. Man müsse sich gegenseitig zuhören und gemeinsam handeln. Die Lösung scheint so einfach und doch so schwer, blickt man in die große Politik- und Lobbylandschaft in Berlin und Brüssel.
Das Projekt Hof mit Zukunft
Hof mit Zukunft ist ein Projekt der Initiative „Meine Landwirtschaft“, bei dem Umweltaktivisten und Landwirte gemeinsam ein Wochenende auf Bauernhöfen verbringen. Die Aktion findet dieses Jahr zum dritten Mal auf insgesamt 25 Höfen – bio und konventionell – in ganz Deutschland statt. Ziel ist es, durch praktische Arbeit und intensive Diskussionen Wege zu finden, wie Landwirtschaft, Klimaschutz, Tierschutz und Biodiversität in Einklang gebracht werden können. Dabei sollen Konsumenten, Aktivisten und Landwirte gemeinsam Visionen für eine nachhaltige Agrarwirtschaft entwickeln und sich politisch für die notwendige Agrarwende einsetzen. Mehr Infos unter www.wir-haben-es-satt.de/hof-mit-zukunft