Stimmen gegen das Vergessen
„Zerstörte Hoffnung“: Briefe überlebten den Holocaust
In "Zerstörte Hoffnung" wird die Geschichte der jüdischen Familie Hecht während des Zweiten Weltkriegs nacherzählt.
Mira Zwick

Die Briefe der jüdischen Familie Hecht erzählen von Liebe, Hoffnung und Verzweiflung im Schatten der NS-Verfolgung. Das Buch „Zerstörte Hoffnung“ gibt einem stillen Schicksal eine kraftvolle Stimme.

80 Jahre ist es her, dass der Zweite Weltkrieg endete – eine lange Zeit, doch die Erinnerungen an die Grausamkeit und Unmenschlichkeit jener Jahre dürfen nicht verblassen. Während die Stimmen der Zeitzeugen zunehmend verstummen, bleiben andere Zeugnisse lebendig – etwa die Briefe, die die Familie Hecht über Kontinente hinweg schrieb. Sie sind das Herzstück des Buches „Zerstörte Hoffnung. Rosa, Max und Dagobert Hecht – Drei Schicksale, erzählt in Briefen“, herausgegeben von Martina und Hans-Dieter Graf.

Max Hecht wurde 1878 in St. Goarshausen geboren. Ihn zog es nach Berlin, wo er Rosa Heimann kennenlernte, die er 1908 heiratete. Schon ein Jahr später kam ihr Sohn Dagobert zur Welt. Ihm gelang Ende 1938 unter immer schwierigeren Umständen die Flucht aus Nazi-Deutschland. Über verschiedene Stationen erreichte er am 10. März 1940 endlich die USA, wo ihn seine Cousins Herbert und Helmut Wolff am New Yorker Hafen empfingen.

Die Briefe, die zwischen Dagobert und seinen Eltern ausgetauscht wurden, haben Jahrzehnte überdauert. Sie wurden von Dagoberts Sohn George bewahrt und 2013 dem Familienforscher Raymond Wolff übergeben. In Zusammenarbeit mit Martina und Hans-Dieter Graf entstand daraus ein einzigartiges Dokument deutsch-jüdischer Familiengeschichte während der NS-Zeit. Angereichert mit Fotos und historischen Dokumenten, spannt das Buch den Bogen von 1938 bis 1944.

Viele Jahre mit der Erforschung der jüdischen Geschichte verbracht

Schon das Vorwort der Herausgeber gibt Einblick in die bewegende Entstehungsgeschichte des Buchs. Martina und Hans-Dieter Graf haben viele Jahre ihres Lebens mit der Erforschung der jüdischen Geschichte gewidmet und dabei auch Raymond Wolff kennengelernt, Sohn von Helmut Wolff, der über die Jahre zu einem Freund des Ehepaars wurde. In Raymond Wolffs einleitenden Worten berichtet er, wie er zu den Briefen kam, die der emigrierte Dagobert Hecht während des Zweiten Weltkriegs mit seinen Eltern austauschte, sowie aus deren familiären Umfeld. Was folgt, ist keine nüchterne Chronologie – es sind Stimmen voller Liebe, Hoffnung, Sorge und Verzweiflung.

Der erste Brief datiert vom 25. April 1938, in dem Herbert Wolff noch vor seiner Emigration in die USA an seinen Bruder Helmut in New York schreibt und begeistert über Berlin berichtet. Auf den folgenden Seiten wird in Dutzenden Briefen vom Ehepaar Hecht an ihren Sohn Dagobert, aber auch aus dem Berliner Bekanntenkreis die Geschichte der Familien nachgezeichnet. Die Briefe sind geprägt von großem Respekt und Wertschätzung füreinander. Doch je weiter man in das Buch und damit auch in die Leben der Familien vordringt, lässt sich erahnen, wie die Repressionen gegen die Juden das Leben in Deutschland immer schwieriger werden lässt.

Ein Wechselspiel der Gefühle

Es ist ein Wechselspiel der Gefühle: einerseits der großen Liebe und dem Wohlwollen der Eltern für ihren Sohn Dagobert, dem die rechtzeitige Ausreise aus Deutschland gelungen war, aber auch dem Hoffen, selbst Deutschland verlassen zu können. Zwischen dem Flehen, alle Hebel in Bewegung zu setzen, die Voraussetzungen für eine Emigration zu schaffen, und der Resignation über die Willkür, mit der über ihr Leben bestimmt wurde. Über Jahre kämpften die Eheleute Hecht mit bürokratischen Hürden, doch wegen gesundheitlicher Probleme wurde letztlich Max Hechts Visumsantrag abgelehnt. Kurz darauf verstarb Dagoberts Vater, zurück blieb seine Frau. Dieser Schicksalsschlag trifft seine Frau Rosa hart. In ihrem Brief vom 23. Mai 1941 schreibt sie_“[...] mir geht es so weit gesundheitlich gut. Ich erhalte mich ja nur noch für Dich und werde erst Trost finden, wenn ich bei Dir sein werde, wenn dies nur schnell ginge.“

Viele weitere Briefe folgen noch, wodurch auch weitere Schicksale nachgezeichnet werden. Trotz aller Bemühungen musste Rosa Hecht in Berlin bleiben und Zwangsarbeit in einer Wellpappenfabrik leisten. Im Januar 1943 wurde sie nach Auschwitz deportiert. „Zerstörte Hoffnung“ ist weit mehr als eine Sammlung von Briefen. Es ist ein eindrucksvolles Denkmal des Erinnerns – nicht abstrakt, sondern konkret, menschlich und schonungslos. Es lässt uns die Geschichte durch die Augen und Herzen jener erleben, die ihr zum Opfer fielen.

Ein unverstellter Blick in das Leben während des Zweiten Weltkriegs

Herausgegeben wurde das Werk von Martina und Hans-Dieter Graf, die gemeinsam mit dem 2021 verstorbenen Raymond Wolff an der Aufarbeitung der Familiengeschichte gearbeitet hatten. Raymond Wolff hatte über Jahrzehnte hinweg Dokumente, Briefe und Fotos gesammelt und das weitverzweigte Schicksal der Hecht-Familie rekonstruiert. Die Herausgeber wahren den Ton der Briefe und schaffen zugleich durch ihre Einordnungen einen historischen Rahmen, der das Geschriebene in seiner ganzen Tragweite verständlich macht. „Zerstörte Hoffnung“ gibt einen unverstellten Einblick in das Leben der Familien derer, die den Zweiten Weltkrieg in seiner Grausamkeit durchlitten haben – ein Zeugnis, das Generationen überdauern wird.

Das Buch „Zerstörte Hoffnung. Rosa, Max und Dagobert Hecht – Drei Schicksale, erzählt in Briefen“ ist im Verlag Hentrich und Hentrich erschienen. Es umfasst 228 Seiten und kostet 24,90 Euro.

„Schreie auf Papier“

Auch an dem Buch „Schreie auf Papier. Die Briefe von Heinrich und Selma Wolff aus Mainz an ihre Söhne Herbert und Helmut in New York 1937–1941“ haben Martina und Hans-Dieter Graf gemeinsam mit Raymond Wolff und Hans Berkessel zusammengearbeitet. „Es stellt die vollständige Biografie der Familie Wolff vor“, heißt es im Kladdentext. „Auch die Schicksale von Verwandten und Bekannten geraten in den Blick. Durch die Briefe, die Raymond Wolff gerettet und jahrzehntelang verwahrt hat, wurden sie dem Vergessen entrissen. Das Buch gibt beispielhaft hunderttausenden anderen jüdischen Familien eine Stimme.“

Das Buch ist erschienen im Nünnerich-Asmus Verlag und Media und kostet 25 Euro.

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