Wirtschaftliche Not war groß nach dem Ersten Weltkrieg - Filsener Arbeitslose bauten damals den neuen Fuhrweg auf die Filsener Haardt
Zeitreise in die 1920er-Jahre: Als nach dem Ersten Weltkrieg die wirtschaftliche Not in Filsen groß war
Gruppenaufnahme der Filsener jungen Männer im FAD im Frühjahr 1933, (von links) obere Reihe stehend: Walter Förger, Balthasar Reitz, Jakob Becker, Karl Dorweiler, Heinrich Mallmann, Michael Hellbach, Franz Hellbach, Hans Dorweiler, Georg Hewel, Josef Hellbach, (?) Hewel, Heinrich Weisbarth, Peter Schwenzer, Jakob Stumm, vorne sitzend: Anton Helbach, Peter Helbach, Philipp Stumm, Johann Hewel, Peter Stumm. Auf wen der Unmut des offensichtlich selbst gemalten Plakates abzielt, war den alten Akten nicht zu entnehmen.
Archiv Alfred Neckenich

Die vielfach gepriesenen „Goldenen Zwanziger Jahre“ sucht man in der Historie der Dörfer und Städte unserer Heimat an Rhein und Lahn vergebens. Vielmehr prägen Arbeitslosigkeit und wirtschaftliche Not die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. Mit der sich verschlimmernden Rezession verloren auch viele Filsener Familienväter und Söhne, die im Zuge des Niederganges des Weinbaues vorwiegend in der Industrie im Raum Lahnstein/Braubach Arbeit gefunden hatten, ihre Beschäftigung. Ein Rückblick.

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Gruppenaufnahme der Filsener jungen Männer im FAD im Frühjahr 1933, (von links) obere Reihe stehend: Walter Förger, Balthasar Reitz, Jakob Becker, Karl Dorweiler, Heinrich Mallmann, Michael Hellbach, Franz Hellbach, Hans Dorweiler, Georg Hewel, Josef Hellbach, (?) Hewel, Heinrich Weisbarth, Peter Schwenzer, Jakob Stumm, vorne sitzend: Anton Helbach, Peter Helbach, Philipp Stumm, Johann Hewel, Peter Stumm. Auf wen der Unmut des offensichtlich selbst gemalten Plakates abzielt, war den alten Akten nicht zu entnehmen.
Archiv Alfred Neckenich

Im Rückblick auf das Jahr 1926 notiert der Filsener Pfarrer Matthias Schleidt damals: „In wirtschaftlicher Hinsicht hatte das Jahr 1926 keinen guten Abschluss. Die Weinernte dieses Jahres war gering. Dazu kam große Arbeitslosigkeit, und infolge davon drückende Not bei vielen Ortseinwohnern. Man hofft allgemein auf Besserung der Verhältnisse im nächsten Frühjahr. Möge Gott der Herr dem Elend bald ein Ende machen und uns bessere Zeiten senden.“ Aber die Zeiten wurden nicht wesentlich besser, sogar im Gegenteil.

Seine Niederschrift über das Jahr 1928 schließt Pfarrer Schleidt mit den Anmerkungen: „Das Jahr 1928 (…) stand wie seine Vorgänger in der Nachkriegszeit unter dem Zeichen wirtschaftlicher Not.“ Am Ende des Jahres 1930 notiert er: „Weitere bemerkenswerte Ereignisse hat das Jahr 1930 nicht mehr gebracht. Die Not schreitet weiter, die Arbeitslosigkeit wird größer.“ In Folge der Weltwirtschaftskrise 1929/30 waren die Arbeitslosenzahlen nochmals drastisch angewachsen, die Unterstützungsleistungen wurden angesichts der schwierigen finanziellen Lage mehr und mehr gekürzt.

Im Wechselspiel mit der Erhöhung von Abgaben und Steuern und der stetig zunehmenden Zahl an Erwerbslosen führte dies bei vielen in die Armut. Mit einer Reihe von Notverordnungen versuchte Reichskanzler Heinrich Brüning den negativen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Entwicklungen zu begegnen.

Filsener Arbeitslose sollten damals den neuen Fuhrweg auf die Filsener Haardt bauen

So rief er mit Verordnung vom 16. Juli 1932 den Freiwillige Arbeitsdienst (FAD) ins Leben. Damit wollte er insbesondere den erwerbslosen Jugendlichen eine Beschäftigung anbieten. Um zu verhindern, dass diese staatlich geförderten Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen nicht in Konkurrenz zum freien Arbeitsmarkt treten konnten, mussten sie zwingend als „zusätzlich“ und „gemeinnützig“ anerkannt werden.

Beherzt ergriff der Filsener Bürgermeister Christian Josef Kup (1896–1947) die Chance, den Arbeitslosen aus Filsen und den benachbarten Dörfern zumindest vorübergehend Arbeit und Lohn zu verschaffen. Vorgesehen dafür hatte er den Ausbau eines neuen Feldweges auf die Filsener Haardt. Bis dahin waren nämlich die landwirtschaftlichen Flächen auf der Höhe nur über den jahrhundertealten Fuhrweg zu erreichen. Der teilweise sehr steil ansteigende Weg, der an vielen Stellen über den blanken Fels verläuft und nach jedem starken Regenguss unpassierbar war, war mit Handkarren und Zugtieren nur sehr schwer zu befahren.

Ein zeitnah eingereichter Antrag der Ortsgemeinde Filsen wurde noch im Oktober 1932 von der Kreisverwaltung St. Goarshausen und dem „Bezirkskommissar für den freiwilligen Arbeitsdienst“ in Frankfurt a.M. genehmigt. Der Anerkennungsbescheid wies die Gemeinde Filsen als Träger der Arbeitsmaßnahme aus und genehmigte zunächst die Beschäftigung von 40 Arbeitsdienstwilligen rückwirkend ab dem 24. Oktober 1932.

Das Bild zeigt einen Auszug aus dem Auszahlungsantrag vom 5. November 1932, gezeichnet von dem Filsener Bürgermeister Christian Josef Kup. Erst nach umfassender Prüfung wurden die Gelder ausgezahlt.
Archiv Alfred Neckenich

1,60 Reichsmark pro Arbeitstag

Der Arbeitslohn, der sich nach der gesetzlichen Regelung an den allgemeinen Sätzen der Arbeitslosenunterstützung zu orientieren hatte, war mit 1,60 Reichsmark pro Arbeitstag festgesetzt. Wichtig für die Männer war aber, dass die Sozialleistungen für die Unfall- und Krankenversicherung aus der Gesamtfinanzierung heraus zu tragen waren. Die Maßnahmen des Freiwilligen Arbeitsdienstes unterlagen einer akribischen verwaltungstechnischen Abwicklung und Kontrolle.

Ansprechpartner für Bürgermeister Kup und abwickelnde Stelle war das Arbeitsamt Niederlahnstein. Dorthin musste die Arbeitsaufnahme beziehungsweise die Entlassung eines jeden Arbeitswilligen mittels Einstellungs-beziehungsweise Entlassungskarte binnen drei Tagen gemeldet werden. An jedem Samstag hatte der Bürgermeister Mitteilung zu geben, wie viele Arbeitswillige in der abgelaufenen Woche beschäftigt und wie viele Tagwerke erbracht worden waren. Der Arbeitslohn wurde wöchentlich ausgezahlt.

Hierzu hatte der Ortsbürgermeister auf der Grundlage einer Wochenabrechnung entweder persönlich oder durch einen legitimierten Boten das Bargeld beim Arbeitsamt Niederlahnstein abzuholen. Der verstorbene Filsener Heinrich Mallmann (1912–2003) der als arbeitsloser Schreinergeselle in diese Maßnahme aufgenommen war, erzählte dem Verfasser, dass die Auszahlungen wöchentlich im Gasthaus „Zur Stadt Boppard“ in Filsen erfolgten. „Nicht alle“, so Heinrich Mallmann damals lächelnd, „gingen mit dem Geld direkt nach Hause. Der eine oder andere blieb noch etwas oder noch etwas länger im Wirtshaus sitzen. Teils ging dann die Kneipentür auf und die Ehefrau einer der Männer stand in der Tür und holte ihren Ehemann aus Angst vor dem ,Geldverlust' ab und mit nach Hause.“

Die Arbeiten am Fuhrweg gestalteten sich schwieriger als gedacht

Die Arbeiten an der 1300 Meter langen Wegetrasse gestalteten sich schwieriger als erwartet, und schon bald zeichnete sich ab, dass der im Erstbescheid festgelegte zeitliche und finanzielle Rahmen nicht ausreichte. Bürgermeister Kup notiert am 31. Dezember 1932, dass er die Anzahl der Arbeitswilligen auf nunmehr 59 Männer aufgestockt hatte. Vor Ort war man auf massiven Fels gestoßen, den man nur durch Sprengungen lockern konnte. Das Einnahme- und Ausgabebuch der Gemeinde Filsen belegt für das Rechnungsjahr 1932 Ausgaben für Sprengmittel in Höhe von 116,57 Reichsmark.

Zur Arbeitserleichterung konnte man zudem bei der Baufirma Neitzer in Camp ab dem 2. Januar 1933 einen Muldenkipper von einem Kubikmeter Inhalt zum Monatspreis von 3,50 Reichsmark und insgesamt 53,50 Meter „Gleisrahmen auf Brigadeschwellen“ zur monatlichen Miete von 0,10 Reichsmarkt pro laufendem Meter ausleihen.

Bereits zu Anfang des Jahres 1933 hatte die Ortsgemeinde einen ergänzenden Antrag auf Verlängerung der Maßnahme gestellt. Diesem wurde mit Datum vom 17. März 1933 mit dem Vermerk entsprochen: „Die Arbeit gilt als volkswirtschaftlich wertvoll hinsichtlich der Beschäftigung. Die Tagwerkszahl erhöht sich durch Nachbewilligung auf insgesamt 5300 Reichsmark, die Gesamtförderung beträgt nun 8555 Reichsmark. Die Maßnahme ist spätestens zum 31. Mai 1933 zu beenden. Die Bewilligung der Förderung für die Zeit nach dem 31. März 1933 erfolgt mit dem Vorbehalt, dass im Haushaltsjahr 1933 Mittel zur Verfügung stehen werden.“

Dem noch vorhandenen restlichen Aktenbestand aus dieser Zeit war zu entnehmen, dass bei dieser Arbeitsmaßnahme nicht nur Männer aus Filsen Beschäftigung fanden. So waren beispielsweise die Anträge des Karl Schaus aus Osterspai, eines Johann Gorgus aus Dahlheim und der Beleg eines Hermann Hesler aus Oberlahnstein auffindbar. In einem Rundschreiben an sämtliche Maßnahmenträger des freiwilligen Arbeitsdienstes vom 13. Januar 1933 weist das Arbeitsamt Niederlahnstein unter anderem darauf hin, dass Wohlfahrtsunterstützungsempfänger nicht zwangsweise zum freiwilligen Arbeitsdienst verpflichtet werden durften.

Hier ein Abrechnungszettel Michael Hellbach (1909–2000) vom 26. Februar 1933.
Archiv Alfred Neckenich

Mit den Jahren verbesserte sich die wirtschaftliche Situation in Filsen

Ein anderes Rundschreiben vom 6. März 1933 befasst sich mit der Notwendigkeit der Durchführung von „Betreuungsmaßnahmen“: „Ich muss darauf bestehen, daß täglich mindestens eine Stunde Sport getrieben und eine Stunde geistige Betreuung in Form von Vorträgen angeboten wird.“ Auch hierzu findet sich im Kassenbuch der Gemeinde Filsen für 1932 ein entsprechender Beleg. Dem Filsener Lehrer Josef Fox wurden „für Unterrichtsstunden 10,50 Reichsmark angewiesen.“

Die Arbeitsbeschaffungsmaßnahme „Bau eines neuen Fuhrweges auf die Filsener Haardt“ wurde wie genehmigt im Frühjahr 1933 fertiggestellt. Die letzte Auszahlungsliste des Gemeinderechners Josef Nengel über den Betrag von 354,40 Reichsmark für insgesamt 34 Arbeiter und 394 Tagwerke datiert vom 13. Mai 1933. Der seither in Filsen als „Neuer Fuhrweg“ bezeichnete Feld- und Waldweg dient auch heute noch als Zuwegung zu den landwirtschaftlich genutzten Flächen auf der Filsener Haardt. An vielen Stellen sind noch immer die „gestickten“ Querschläge zur Abweisung des Oberflächenwassers erhalten, und im oberen Drittel ist noch der massive Fels sichtbar, der den Männern wohl eine Knochenarbeit abverlangte.

In den folgenden Jahren verbesserte sich die wirtschaftliche Situation im Dorf Filsen durch den vermehrten Anbau von Erdbeeren. Auch die in den Jahren zuvor schon in großer Stückzahl gepflanzten Kirschbäume erbrachten von Jahr zu Jahr mehr an Ernteeinnahmen. Der Weinanbau spielte zu dieser Zeit für das Dorf schon keine wirtschaftliche Rolle mehr.

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