Schöffen in Limburg
Wo das Volk in der Justiz mitmischt
Schöffe Michael Clemens (links) und Vorsitzender Richter Andreas Janisch sprechen am Landgericht Limburg gemeinsam Recht.
Rolf Goeckel

Schöffen werden bei am Amtsgericht, Schöffengericht und Jugendschöffengericht sowie am Landgericht eingesetzt. Ihnen kommt bei der Urteilsfindung eine wichtige Rolle zu.

Wenn vor dem Limburger Landgericht Recht gesprochen wird, liegt das Schicksal der Angeklagten keineswegs in „Gottes Hand“, wie das Sprichwort behauptet. Sondern in der Hand von ausgebildeten Berufsrichtern – und von Laienrichtern, den Schöffen. Schöffen, das sind „normale“ Bürger aus der Mitte der Bevölkerung, vorgeschlagen von den Stadt- oder Gemeindeparlamenten in den Kommunen. „Wenn wir im Namen des Volkes urteilen“, erklärt Vorsitzender Richter Andreas Janisch, Vizepräsident des Limburger Landgerichts, „dann sind die Schöffen die sichtbare Beteiligung des Volkes.“ Das ist schon an der Kleidung zu erkennen: Während Berufsrichter (und Verteidiger) schwarze Robe tragen müssen, treten Schöffen in „Zivil“ auf. Doch wie wird man eigentlich Schöffe, welche Funktion hat er (oder sie) innerhalb der Rechtsprechung, und was unterscheidet den Schöffen vom Berufsrichter?

„Der andere Blickwinkel von juristischen Laien ist für mich ein großer Gewinn.“
Andreas Janisch, Vorsitzender Richter am Landgericht Limburg

„Schöffen“, erläutert Andreas Janisch, „sind gesetzliche Richter im Sinne des Grundgesetzes, und ihre Stimme zählt genauso viel wie die der Berufsrichter.“ Das betreffe die Schuld eines Angeklagten ebenso wie die Höhe der Strafe. „Bei der Frage, ob wir einem Zeugen glauben oder nicht, sind wir Berufsrichter auch nicht schlauer als die Schöffen“, sagt Janisch.

Wenn die Beweisaufnahme abgeschlossen ist und die Plädoyers gehalten sind, zieht sich das Gericht zur Beratung zurück, um ein Urteil zu fällen. Und dabei kommt es auch auf die beiden Schöffen an, die in der kleinen Strafkammer (ein Richter, zwei Schöffen) und der großen Strafkammer (drei Richter, zwei Schöffen) sitzen. Die Bedeutung der Schöffen macht Andreas Janisch an einem Beispiel deutlich: Wenn in einer großen Strafkammer am Ende der Beratungen alle drei Berufsrichter für „schuldig“ stimmen, die beiden Schöffen aber für „nicht schuldig“ lautet das Urteil: Freispruch. „Für einen Schuldspruch ist maximal eine abweichende Stimme möglich“, erläutert Richter Janisch. „Das zeigt, dass die Stimme der Schöffen Gewicht hat.“

Aber nicht erst bei der Schlussberatung, sondern schon während der Beweisaufnahme können sich Schöffen ins Verfahren einbringen. Sie haben das Recht, Fragen zu stellen, sei es an den Zeugen oder den Angeklagten. Das wird in der Praxis nicht immer deutlich, da Schöffenfragen häufig in den Beratungen gesammelt und dann vom Richter vorgetragen werden. Aus einem nachvollziehbaren Grund: „Wir sollen nicht suggestiv fragen“, so Janisch. „Sonst riskieren wir Anträge der Prozessbeteiligten.“

Auf „Augenhöhe“ mit den Berufsrichtern

Was bedarf es, um Schöffe zu sein? „Lebenserfahrung und gesunden Menschenverstand“, bringt es Andreas Janisch knapp auf den Punkt. „Ich kenne keine Schöffen, die eine juristische Ausbildung haben.“ Das sei auch gar nicht wünschenswert. Denn gerade die „Perspektive von außen“, der „andere Blickwinkel“ von juristischen Laien sei bei der Urteilsfindung „ein großer Gewinn“. „In Schwurgerichtssachen wollte ich auf Schöffen nicht verzichten“, sagt Janisch.

Einer dieser Laienrichter ist Michael Clemens (61) aus Aßlar im Lahn-Dill-Kreis, der zum Landgerichtsbezirk Limburg gehört. Seit rund zehn Jahren ist der studierte Betriebswirt Schöffe und hat es mit der ganzen Bandbreite der Kriminalität zu tun bekommen, von Mord und Totschlag bis hin zu Drogenhandel und Raubüberfällen. An Urteilen zu „Lebenslang“ war er beteiligt, sagt Clemens, „und zwar auf Augenhöhe mit den Berufsrichtern“. Er stellt klar: „Als Schöffen sind wir kein bloßes Stimmvieh.“

In seiner Heimatstadt Aßlar ist Michael Clemens vielfältig aktiv: in der Stadtverordnetenversammlung, in der Kirche, bei der Feuerwehr. „Ich bin ein überzeugter Ehrenamtler“, sagt er auf die Frage, warum er sich für das Schöffenamt beworben hat. Ein Amt, das ihn fasziniert, zugleich aber auch Herausforderung ist. Auffassungsgabe, Konzentrationsvermögen in oft stundenlangen Verhandlungen, Verantwortung übernehmen wollen und schließlich die Fähigkeit abzuwägen – das ist es, was von ihm als Schöffen erwartet wird. Anders als Berufsrichter bereiten sich Schöffen nicht auf einen Prozess vor. Denn: Das Aktenstudium ist ihnen verwehrt, das übernimmt der Berufsrichter ebenso wie die Auswahl von Zeugen und Sachverständigen. „Der Schöffe nimmt nur das wahr, was in der Hauptverhandlung geschieht“, so Andreas Janisch.

Wo juristisches Fachwissen des Richters gefragt ist

Sache des Richters ist es auch, das notwendige juristische Fachwissen zur Urteilsfindung beizusteuern. Er kennt die Gesetze, die auf bestimmte Delikte angewendet werden können und den Strafrahmen, den sie enthalten. Ebenso kann nur der Richter beurteilen, ob Zeugenaussagen verwertbar sind oder nicht. „In den reinen Rechtsfragen verlasse ich mich ganz auf juristische Fachkunde des Berufsrichters“, sagt Clemens.

Das Schöffenamt ist aber auch Verpflichtung. „Der Schöffe ist der gesetzliche Richter eines Angeklagten und nicht austauschbar“, sagt Janisch. Das sei aus der Geschichte zu erklären: „Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden.“ Berufliche Pflichten haben hinter dem Schöffenamt zurückzustehen, private Verpflichtungen wie eine Urlaubsreise nicht. Denn: „Das Schöffenamt ist ein Ehrenamt“, so Janisch. „Das Ehrenamt soll die persönliche Lebensführung nicht einschränken.“

Wer kann Schöffe werden?

Schöffen müssen mindestens 25 Jahre alt und dürfen nicht älter als 70 Jahre sein. Sie müssen die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen oder Staatsangehörige eines anderen EU-Mitgliedstaates sein. Sie müssen die Fähigkeit besitzen, die Aufgaben eines Schöffen zu erfüllen. Dazu gehört, dass sie über die notwendige Lebenserfahrung und soziale Kompetenz verfügen. Es sind keine speziellen juristischen Kenntnisse erforderlich, jedoch sollten Schöffen in der Lage sein, die Verhandlung zu verfolgen und die Entscheidungen zu verstehen. Personen mit bestimmten Vorstrafen oder rechtlichen Einschränkungen (zum Beispiel wegen schwerer Straftaten) sind von der Schöffen-Tätigkeit ausgeschlossen. Schöffen sollten gesundheitlich in der Lage sein, die Anforderungen des Amtes zu erfüllen.

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