Ehemalige Kleiderladen-Truppe wird nicht müde - Engagement im Privaten bringt Lebensfreude
„Wir helfen, weil wir gebraucht werden“: Nassauer Kleiderladen-Truppe ist weiter aktiv
Haben sich im Kleiderladen als engagierte Helfer kennengelernt und sind jetzt Freunde fürs Leben (von links): Uschi Thorn, Gottfried und Maria Kühnau, Karl-Heinz Thorn und Gerlinde Klein. Beim Treffen nicht dabei und trotzdem unverzichtbar: Rolf Schumacher. Foto: Marta Fröhlich
Marta Fröhlich

Der „St. Martinsmantel“ in Nassau hat bereits vor zwei Jahren geschlossen, doch die ehemalige Kleiderladen-Truppe kann es trotzdem nicht lassen. Die engagierten Nassauer um Energiebündel Uschi Thorn helfen weiter denen, die Hilfe benötigen – „weil wir gebraucht werden“, lautet die prägnante Antwort auf das Warum.

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Haben sich im Kleiderladen als engagierte Helfer kennengelernt und sind jetzt Freunde fürs Leben (von links): Uschi Thorn, Gottfried und Maria Kühnau, Karl-Heinz Thorn und Gerlinde Klein. Beim Treffen nicht dabei und trotzdem unverzichtbar: Rolf Schumacher. Foto: Marta Fröhlich
Marta Fröhlich

In den Jahren 2015 und 2016 kamen mit der Flüchtlingswelle auch viele Menschen nach Nassau – mit leeren Händen. Uschi und ihr Mann Karl-Heinz Thorn fackelten nicht lang und sammelten mit einem kleinen Anhänger quer durch die Stadt Kleidung, Möbel und anderen Hausrat zur Grundausstattung ein. Aus einer privaten Initiative erwuchs mit den Jahren der „St. Martinsmantel“ im ehemaligen Schlecker-Markt, der zwischenzeitig dem Gebäude für betreutes Wohnen weichen musste.

Mit Gerlinde und Rolf Klein sowie Maria und Gottfried Kühnau stießen vier weitere engagierte Helfer dazu. Es fanden sich sechs Weggefährten, die auch nach der Schließung des Kleiderladens weiter in der Stadt anpacken. „2021 schloss der Martinsmantel, weil wir kein bezahlbares Gebäude mehr gefunden haben“, berichtet Uschi Thorn.

Thorns sind heute Ersatzgroßeltern für damals geflohene Familien

Geblieben sind jedoch Bekanntschaften und Beziehungen zu Menschen, die damals gekommen und geblieben sind. Beispielsweise sind die Thorns zu Ersatzgroßeltern für die Kinder einer georgischen Flüchtlingsfamilie in der Nachbarschaft geworden. „Die Kinder kommen gern zu uns, und wir helfen weiterhin bei Papierkram oder Organisatorischem“, freut sich Uschi Thorn. Auch der Nachbar direkt nebenan, ein junger Somalier, bekommt von den Thorns immer wieder Hilfestellung, wenn sie gebraucht wird.

Ebenso aktiv sind auch die Eheleute Klein/Schumacher geblieben. „Wenn Sie mal ein voll gepacktes Auto sehen, wo kein Blatt mehr reinpasst, dann ist das unser Gerlindchen auf ihrer Sammeltour“, erzählt Uschi Thorn lachend. Gerlinde Klein, damals als Schneiderin eine wichtige Stütze im Kleiderladen, ist bis heute sehr gut mit wohltätigen Akteuren in der Region wie der Obdachlosenhilfe und der Caritas vernetzt und sammelt regelmäßig Kleidung für wohnungslose Menschen – auch in Koblenz.

Von Nassau bis ans Deutsche Eck aktiv

Mit Ehemann Rolf düst sie von Nassau über Lahnstein bis ans Deutsche Eck, um auch jetzt im Winter Bedürftigen zu helfen. Kisten über Kisten, ob eingesammelt oder von Privatleuten vorbeigebracht, sortiert sie jeden Tag. „Manchmal kriege ich zu Hause einen strengen Blick, wenn wieder eine Maschine mit eingesammelter Wäsche läuft“, erzählt die 70-Jährige augenzwinkernd. Was muss, das muss.

Die Dritten im Bunde sind die Kühnaus. Gottfried und Maria Kühnau sind noch vor der Wende aus dem Erzgebirge nach Westdeutschland ausgewandert und mussten sich neu zurechtfinden. Die Schneiderin und der Arzt sind seit jeher sehr aktiv in der Kirchengemeinde und für sie ist klar: „Solange wir noch krabbeln können, helfen wir.“ So organisiert Maria Kühnau seit einigen Jahren die Spendenaktion „Weihnachten im Schuhkarton“, Gottfried Kühnau war Vorsitzender des Sozialkompass.

Heute ist er so was wie der Daniel Düsentrieb der Helfertruppe, die sich auch im Verein „Nassauer für Nassau“ engagiert. Ist mal eine Steckdose kaputt oder eine Waschmaschine läuft nicht rund, kommt Gottfried Kühnau vorbei und hilft, wo er kann. „In der DDR waren wir darauf angewiesen, dass wir unsere Sachen selbst reparieren. Da habe ich mir einiges angeeignet“, so Kühnau. Doch der 70-Jährige füllt auch mal menschliche Lücken, wo dem Gesundheitssystem keine Zeit bleibt. Seit vielen Jahren besucht er regelmäßig einen jungen, an ALS erkrankten Mann, hält ein Schwätzchen, bringt mal ne Currywurst vorbei, unterstützt bei Korrespondenzen. „Ich kenne den Gesundheitssektor sehr gut, warum soll ich nicht helfen?“

Aus Dankbarkeit ist ein Fordern geworden.

Uschi Thorn beobachtet, dass sich die Anspruchshaltung bei den Menschen verändert hat.

Gottfried Kühnau sagt das mit einer Selbstverständlichkeit, die auch den anderen fünf der Helfertruppe locker über die Lippen geht. Für sie ist klar: Ihnen geht es gut, anderen nicht. Da müssen sie helfen, solange sie können. Auch wenn sich schon die ehrenamtliche Arbeit mit der Zeit verändert habe, sind sie sich einig. “Aus Dankbarkeit ist ein Fordern geworden“, sagt Uschi Thorn, die Konkurrenz untereinander werde immer größer. Das merkten sie alle. Das Land sei sichtlich überfordert, das Eherenamt für das Funktionieren der Gesellschaft überlebenswichtig.

„Wenn alle Ehrenamtler in Deutschland nur eine Woche nichts mehr machen würden, will man sich gar nicht vorstellen, was hier los wäre“, bemerkt Gerlinde Klein. Aber sie machen weiter. Aus Freude, weil Uschi Thorns Augen leuchten, wenn sie von den Menschen erzählt, die jetzt ihr Leben bereichern – und weil sie eben gebraucht werden.

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