Dort leben viele Zugezogene, einige junge Familien und solche, die’s noch werden wollen. Wie Christoph und Eveline Loraing, die hier, am Ende der Anliegerstraße, ihr Haus gebaut haben, weit weg von Stadtmief und Elektrosmog. Dachten sie. Von ihrem Garten aus schauen sie genau auf die Anhöhe, wo der 40 Meter hohe, perspektivisch 5G-fähige Mast stehen soll, am alten Wasserhäuschen. Und das ist, nach ihrer Einschätzung, kaum 50 Meter von ihrem Grundstück entfernt.
„Wir machen uns große Sorgen“, gesteht Christoph Loraing. „Die Gefahren sind für uns nicht absehbar. Es gibt keine Langzeitstudien zu der Strahlenbelastung mit 5G.“ Dass der geplante Mast die festgesetzten Grenzwerte der Bundesimmissionsschutzverordnung nicht überschreiten soll, beruhigt die Nutzenörrer nicht.
Deswegen sind es auch längst nicht nur die Anwohner aus dem Neubaugebiet, die sich im Rahmen von zwei Unterschrifteninitiativen gegen die Mobilfunkanlage ausgesprochen haben. 130 Leute insgesamt haben ihren Namen auf die Liste gesetzt – eine Hauruck-Aktion, die unter enormem Zeitdruck über die Bühne gehen musste. Denn das Gros der Kemmenauer wusste nichts von den Beratungen im Gemeinderat um den Sendemast.
„Als wir das mitbekommen hatten, haben wir vor der Ratssitzung nur einen kleinen Teil der Bevölkerung aufsuchen können“, erzählt Nina Jörnhs. Nur ein sehr geringer Prozentsatz der Befragten befürwortete die Sendeanlage. Im März ging es noch darum, diese direkt am Sport- beziehungsweise Spielplatz der Ortsgemeinde aufzustellen. „Im Gemeinderat hieß es dann, den Standort könne man gegenüber der Bevölkerung nicht vertreten“, erinnert sich Nina Jörnhs. „Also stellen sie jetzt das Ding den Leuten quasi in den Garten, die dann permanent der Belastung ausgesetzt sind.“
Bürger kritisieren mangelhafte Kommunikation des Vorhabens
An der Gemeinderatssitzung im Juni, in der die Ortsgemeinde laut Beschluss keine „städtebaulichen Bedenken gegen die Neuerrichtung eines zusätzlichen Mobilfunksendemastes und einer neuen Mobilfunksendeanlage auf dem gemeindeeigenen Grundstück neben dem alten Wasserhochbehälter vorbringt“ und in der Vertreter des Mobilfunkbetreibers das Projekt vorstellten, nahmen einige der betroffenen Anwohner teil.
„Da wurde behauptet, der Standort sei 200 Meter vom nächsten Haus entfernt“, erzählt eine Besucherin der Sitzung. „Das stimmt einfach nicht. Beim Nachfragen meinten sie, sie haben das auf Google Maps errechnet. Was ist das denn für eine Vorbereitung? Da hat man sich offensichtlich nicht mit den örtlichen Begebenheiten beschäftigt.“ Überhaupt hatten die anwesenden Bürger das ungute Gefühl, belächelt und nicht ernst genommen zu werden und mehr noch – lästig zu sein.
„Die Gefahren sind für uns nicht absehbar. Es gibt keine Langzeitstudien zu der Strahlenbelastung mit 5G.“
Anwohner Christoph Loraing sorgt sich um die Gesundheit seines ungeborenen Kindes.
Auch im Vorfeld sei so gut wie keine Information geflossen. „Der Bürgermeister ist nicht gerade offensiv damit umgegangen“, so die Meinung der Betroffenen. Eine „versteckte“ Ankündigung des Gemeinderates, in dem das Thema besprochen wurde, im Mitteilungsblatt habe es gegeben. Keine konkrete Bürgerinformation, kein persönliches Gespräch. „Das ist enttäuschend, vor allem, weil man hier in einem so kleinen Ort Tür an Tür wohnt und eigentlich darauf aus sein sollte, dass man offen und ehrlich miteinander umgeht.“
Neben dem gesundheitlichen Aspekt glauben die Nutzenörrer auch, dass sich der Wert ihrer Grundstücke durch eine räumlich so nahe Mobilfunkanlage mindert. Dabei geht es den Anwohnern nicht darum, den Mast zu verhindern. „Das können und wollen wir gar nicht“, betont der Nutzenörrer Jörg Bach. „Es geht allein um den Standort.“ Eine alternative Idee hätten sie, mit der sie gut leben könnten. „Auf dem Wanderparkplatz zwischen Welschneudorf und Kemmenau, da könnte man einen solchen Mast hinstellen“, finden die Anwohner. „Da müsste noch nicht mal neuer Boden versiegelt werden.“
Bürger wollen keinen Aufstand, sondern gemeinsame Lösung
Ob dieser Standort allerdings den Zweck erfüllt, das Funkloch zu schließen und das Internet schneller zu machen, ist fraglich. Denn sollte der LTE- und GSM-Funkmast künftig mit 5G aufgerüstet werden, dann müssten die Anlagen näher an die Infrastruktur positioniert und in kürzeren Abständen zueinander als bisher gestellt werden. Die höherfrequenten Wellen des modernen Datenübertragungssystems transportieren mehr Daten, haben aber eine geringere Reichweite.
„Wir möchten mit unserem Netz so viele Menschen wie möglich mit so wenig Belastung wie möglich erreichen“, erklärt ein Pressesprecher der Telekom auf RLZ-Anfrage. „Die Richtwerte sind tausendfach erprobt und werden immer eingehalten“, versichert er. Die mobilfunkkritische Organisation „diagnose: funk“ dagegen geht in einer (am Nutzenörr viel gelesenen) Broschüre davon aus, dass Gesundheitsschäden vorprogrammiert seien. Die Kemmenauer jedenfalls wünschen sich, dass ihre Sorgen ernst genommen werden und dass ein neuer Standort für die Mobilfunkanlage gefunden wird. Und dass sie nicht erst rechtlich dagegen vorgehen müssen, wenn der Bauantrag gestellt ist.
Mit der Verbandsgemeinde und der Kreisverwaltung haben sie sich bereits in Verbindung gesetzt, um auf ihr Anliegen aufmerksam zu machen. „Wir wollen keinen Aufstand und kein böses Blut“, sind sich die Bürger einig. „Wir wollen gemeinsam eine Lösung finden.“ Damit künftig keine dicke Luft über dem Erholungsörtchen hängt.