Im Mittelpunkt des Betreuerfachtags der Stiftung Scheuern stand die emotionale Entwicklung von Menschen mit geistiger Behinderung
Wichtiger Vortrag für Betreuer: Das Alter der Gefühle immer im Blick behalten
Christian Kubczigk vom heilpädagogisch-psychologischen Fachdienst der Stiftung Scheuern. Er hat den Vortrag zusammen mit seiner Kollegin Irina Walta gehalten.
Stftung Scheuern/Bletzer

Nassau/Rhein-Lahn. Ein hochinteressanter Fachvortrag, eine Fülle weiterer wichtiger Informationen und zwei richtig gute Nachrichten – das war, grob zusammengefasst, der Betreuerfachtag der Stiftung Scheuern.

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„Nach sage und schreibe anderthalb Jahren Warten haben wir von der Schiedsstelle des Sozialministeriums die Nachricht erhalten, dass wir unsere Vergütungssatzforderungen am 15. November verhandeln können. Dabei werden wir voraussichtlich zu einem Ergebnis kommen, das es erlaubt, mehr Personal einzustellen“, teilte Bernd Feix, pädagogischer Vorstand der Stiftung Scheuern, in seiner Begrüßung bei der Veranstaltung mit.

Und die zweite gute Nachricht? Ende September hat das Land für die seit geraumer Zeit geplanten Wohnhäuser für insgesamt 48 Menschen mit Behinderung in Lahnstein und Nassau grünes Licht gegeben. „Das sind echte Meilensteine, auf die wir sehr lang gewartet haben“, so Feix. Die Befürchtung des Betreuerrats, dass die im Zentralbereich der Stiftung lebenden Menschen als Folge der Dezentralisierung personell nicht mehr ausreichend versorgt sein könnten, habe sich dank der bevorstehenden Vergütungssatzverhandlungen deutlich entspannt, fügte dessen Vorsitzende Elisabeth Schmitt hinzu. Was hat sich sonst noch getan seit dem letzten Betreuerfachtag vor elf Monaten?

Einblick in Gremienarbeit erhalten

Aufschlussreiche Einblicke in die Arbeit verschiedener Gremien erhielten die rund 100 Teilnehmenden von der stellvertretenden Frauenbeauftragten Merle Bethcke sowie von Christa Schienmann für die Bewohnervertretungen und Florin Abel für den Werkstattrat der Stiftung Scheuern. Judith Bechstedt, Fachbereichsleiterin Wohnen, ging unter anderem auf die Entwicklung eines neuen Wohnangebots ein, das bei der von Sabrina Wittig moderierten Veranstaltung noch nicht zur Sprache gekommen war: „Auf dem Stiftungsgelände hat die konkrete Planungsphase für einen Neubau mit insgesamt 48 Wohnplätzen begonnen, der erforderlich ist, um Sanierungen in anderen Wohnhäusern zu ermöglichen.“

„Es ist durchaus möglich, dass sich ein 50-Jähriger auf dem emotionalen Entwicklungsstand eines Vierjährigen befindet.“

Referent Christian Kubczigk

Um die zunehmende Digitalisierung in den Werkstätten der Stiftung Scheuern sowie um Autismus und Demenz als zwei neue Schwerpunkte der Tagesförderstätten-Arbeit drehten sich, neben vielem anderem, die Berichte von Werkstattleiter Matthias Behnke und Sandra Gratzkowki, die den Förderbereich 2 der Tagesförderstätte leitet.

Dann war er gekommen, der Zeitpunkt für den mit Spannung erwarteten Fachvortrag. „Das Alter der Gefühle“ lautete das Thema, das Christian Kubczigk und Irina Walta vom heilpädagogisch-psychologischen Fachdienst der Stiftung in den Blick nahmen. Im Mittelpunkt: das sogenannte SEO-Modell – ein Instrument, mit dessen Hilfe sich das emotionale Entwicklungsalter ermitteln lässt. Denn dieses kann teils erheblich vom biologischen und kognitiven Entwicklungsalter abweichen. „Es ist durchaus möglich, dass sich ein 50-Jähriger auf dem emotionalen Entwicklungsstand eines Vierjährigen befindet. Das hat zur Folge, dass sein Verhalten als völlig unangemessen empfunden wird“, verdeutlichte Christian Kubczigk.

Wichtig zu wissen: Auch Menschen mit geistiger Behinderung durchlaufen – allerdings in den meisten Fällen verzögert oder unvollständig – die sechs emotionalen Entwicklungsphasen, zwischen denen das SEO-Modell unterscheidet. „Für jede dieser Entwicklungsphasen sind bestimmte grundlegende Bedürfnisse typisch, deren Befriedigung eine wesentliche Voraussetzung dafür ist, dass es zu einer emotionalen Weiterentwicklung kommen kann“, weiß Christian Kubczigk zu berichten und fügt hinzu: „Werden sie nicht befriedigt, resultieren daraus problematische Verhaltensweisen.“

Menschen mit geistiger Behinderung könnten ihren Betreuern nicht oder nur eingeschränkt mitteilen, was sie benötigen: „Deshalb müssen wir stellvertretend für sie ihr Verhalten in Bedarfe übersetzen.“ Diesem Zweck dient insbesondere das aus dem SEO-Modell hervorgegangene Diagnoseinstrument Seed, das hilft, Menschen mit geistiger Behinderung einer der sechs emotionalen Entwicklungsphasen zuzuordnen.

Auf aktuellem Stand der Wissenschaft

„Dabei füllen Personen aus möglichst allen Lebensbereichen des Betreffenden einen Fragebogen aus, der insgesamt 240 Items zum Umgang mit dem eigenen Körper, der Affektregulation und sechs weiteren Entwicklungsdomänen umfasst“, erklärte Irina Walta und betonte: „Mit SEO und Seed bewegen wir uns auf dem aktuellsten Stand der Wissenschaft.“ Es sei sehr fortschrittlich von der Stiftung Scheuern, dass ihr psychologischer Fachdienst mit diesem Modell arbeiten könne, fügte Christian Kubczigk hinzu.

Was bedeutet das alles für den Arbeitsalltag mit den Klienten? „Das gesamte Setting der Betreuung muss dem emotionalen Entwicklungsstand angepasst werden, um das Wohlbefinden des Klienten positiv zu beeinflussen und seine Weiterentwicklung zu ermöglichen“, stellte Irina Walta schließlich klar. Und: Nicht zuletzt hilft die Kenntnis des Entwicklungsstands, besser mit konkreten Situationen umzugehen, und ist eine Grundvoraussetzung für eine Erfolg versprechende Behandlungsstrategie. red

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