Worum es dabei geht? Ganz einfach: um eine jährlich durchgeführte Aktion der Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen, bei der sich Menschen mit und ohne Behinderung für jeweils einen oder einen halben Tag gegenseitig an ihrem Arbeitsplatz besuchen und dort mitarbeiten. Ziel des Aktionstags ist es unter anderem, das gegenseitige Verständnis zu fördern und eventuell vorhandene Vorurteile abzubauen, erläutert die Stiftung Scheuern in einer Pressemitteilung.
Zum ersten Mal in diesem Jahr mit dabei: die Stiftung Scheuern, wo Bildungskoordinatorin Birgit Klaiber die Teilnahme im Rahmen des Bildungsangebots der Werkstätten organisierte. Den Auftakt machten Andrea Zöller, Mitarbeiterin des Facility-Managements der Kreisverwaltung, und Marcel Kuhne, Beschäftigter der Metallwerkstatt in Singhofen. „Das ist ja richtig abwechslungsreich. Ganz anders, als man es sich bei einer Verwaltung vorstellt“, staunte Marcel Kuhne, als er Gelegenheit hatte, in der Kreisverwaltung hinter die Kulissen zu blicken.
Beim Rundgang durchs Haus zeigte ihm Andrea Zöller unter anderem den Personenschutzraum im Keller, den normalerweise kein Besucher zu Gesicht bekommt. Und: Sogar Landrat Jörg Denninghoff nahm sich ein paar Minuten Zeit für ihn. Die Besetzung der Poststelle und die Belegung der Säle organisieren, sich um die Zulassung der neuen Dienstwagen kümmern und, und, und – Marcel Kuhne konnte nicht nur einen Eindruck von der Vielfalt der Aufgaben gewinnen, sondern seine Schichtwechsel-Partnerin auch an der einen oder anderen Stelle unterstützen.
Metall, Verpackungen und Wäscherei
Handwerkliche Fähigkeiten waren tags darauf beim Gegenbesuch in Singhofen gefragt. Gemeinsam mit Teamleiter Heiko Aulmann zeigte Marcel Kuhne Andrea Zöller die Abteilungen Metallverarbeitung und Verpackung, und auch eine Führung durch die Wäscherei mit Wäschereileiter Matthias Quente stand auf dem Programm. „Ich hatte es mir nicht so groß und vielfältig vorgestellt“, fasste sie ihre Eindrücke zusammen und fügte hinzu: „Auf Außenstehende wirkt die Stiftung Scheuern manchmal wie eine eigene kleine Welt für sich. Umso wichtiger finde ich es, Kontakt zu haben.“
Dieser Aspekt stand auch beim Schichtwechsel zwischen der Nassauer Stadtsekretärin Maria Parbel und Jenny Schneider aus der Kreativwerkstatt der Stiftung im Mittelpunkt. Nachdem Werkstattleiter Matthias Behnke Maria Parbel mit allgemeinen Infos über die Werkstätten der Stiftung Scheuern versorgt und Kreativwerkstatt-Chefin Sandra Hahn ihr einen Überblick über all die schönen Dinge gegeben hatte, die die Beschäftigten dort herstellen, weihte Jenny Schneider sie in die Geheimnisse der Keramikherstellung ein. Welche der Tätigkeiten sie am liebsten macht? „Eigentlich Glasieren“, antwortete Jenny Schneider. „Und das macht sie auch sehr zuverlässig und gut“, lobte Sandra Hahn.
Am nächsten Tag ging‘s dann ins Rathaus. „Schön aufgeräumt“, kommentierte Jenny Schneider, als Maria Parbel ihr das Büro von Stadtbürgermeister Manuel Liguori zeigte. Auch den Ratssaal und das frisch renovierte Trauzimmer bekam sie zu Gesicht. Die Post öffnen, sortieren und abstempeln, Briefe eintüten und im Vorfeld eines Gedenktrauermarschs zur Reichspogromnacht vom 10. November 1938 nach den Stolpersteinen am Weg schauen – das waren einige der Aufgaben, bei denen Jenny Schneider Maria Parbel mit großem Interesse zur Seite stand.
„Wollen wir doch mal sehen, ob der Chef etwas mit den Händen arbeiten kann.“
Jörg Conzen zum Vorstandsbesuch
Sehr aufschlussreich waren die gegenseitigen Besuche auch für Bernd Feix und Jörg Conzen. „Wollen wir doch mal sehen, ob der Chef etwas mit den Händen arbeiten kann“, meinte Jörg Conzen, als Bernd Feix, pädagogischer Vorstand der Stiftung Scheuern, ihn an seinem Arbeitsplatz im Montage- und Dienstleistungszentrum besuchte. Nach dem gegenseitigen Kennenlernen ging es los: Neben dem Verpacken von Dichtungsringen waren insbesondere auch beim Fertigen von Mützchen, die Teil von Beatmungsgeräten für Frühgeborene sind, und dem Testen von Ventilen für die Beatmungsgeräte extreme Sorgfalt und Präzision gefragt.
Bernd Feix merkte schnell, dass die dafür erforderlichen Handgriffe nicht ohne sind. „Ich bring Ihnen ein paar ins Büro. Da haben Sie etwas zu tun, wenn Sie Langeweile haben“, scherzte der Werkstattbeschäftigte.
Dort ging es ein paar Tage später dann aber um ganz andere Dinge. Um 9 Uhr ein Termin zur Vorbereitung von Vergütungssatzverhandlungen, direkt im Anschluss ein weiteres Arbeitsgespräch, um 11 Uhr zum Austausch mit dem Werkstattrat in die Langauer Mühle fahren, nachmittags dann weitere Präsenz- und Onlinetermine und zwischendurch circa 50 E-Mails bearbeiten – ein strammes Tagesprogramm, bei dem Jörg Conzen Bernd Feix einige Stunden lang begleitete.
Ohne das Handy geht nichts
„Mein wichtigster Arbeitsbegleiter ist mein Handy, das mir hilft, den Überblick über meine Termine zu behalten“, sagte Feix. „Spannend ist das schon“, fand Conzen, der seinem Schichtwechsel-Partner erzählte, wie er einst als Siebenjähriger zur Stiftung Scheuern gekommen war und im damaligen Karl-Todt-Haus auf dem Lahnberg lebte. „Herr Conzen, das interessiert mich total. Wenn wir etwas mehr Zeit haben, müssen Sie mir das unbedingt mal ausführlicher erzählen“, erwiderte Bernd Feix. „Da bekommt man nämlich einen viel anschaulicheren Eindruck, als wenn man so etwas in einer Chronik liest.“
Der Schichtwechsel hat sich auf jeden Fall gut angelassen – das fanden auch Daniel Oppermann, Mitarbeiter der Firma Heuchemer, und der Werkstattbeschäftigte Christian Lachner, der in der Schreinerei der Stiftung arbeitet. Nach der gelungenen Premiere in diesem Jahr soll die Aktion 2024 in größerem Rahmen stattfinden. red