Wenn eine Frau heute unter Partnerschaftsgewalt leidet, ist sie häufig auch von digitaler Gewalt betroffen. Ex-Partner stalken mit digitalen Überwachungstechniken ihre Partnerin weiter, greifen auf elektronische Kalender zu, stellen anonym intime Fotos ins Netz oder missbrauchen gar die Identität der Frau in den sozialen Medien, um ein negatives Bild von ihr zu schaffen. Auf die seit Jahren zunehmende Zahl von Fällen digitaler Gewalt vor allem gegen Frauen macht der Weiße Ring aufmerksam.
„Partnerschaftsgewalt betrifft nicht nur den analogen Raum, auch online können Ex-Partner oder Ex-Partnerinnen sehr viel Schaden anrichten“, sagt Laura Heimann, Leiterin der Außenstelle Limburg-Weilburg des Weißen Rings. „Wie wir wissen, vergisst das Internet nie. Daher liegt es uns am Herzen, bei diesem Thema den Präventionsaspekt nach vorne zu stellen. Wir wollen aufklären, bevor etwas passiert“, sagt Heimann.

Es sei beispielsweise kein Liebesbeweis, Passwörter mit seinem Partner oder seiner Partnerin zu teilen. Auch mit intimen Fotos solle man vorsichtig sein, wenn man nicht möchte, dass sie vielleicht irgendwann doch online missbraucht werden können. „Das sind kleine Dinge, auf die man achten kann und die eventuell vor Missbrauch schützen können“, so Heimann.
Wie groß der Deliktbereich der digitalen Gewalt ist, weiß auch Luisa Schäfer, seit fünf Jahren Richterin am Limburger Amtsgericht und Mitglied im Weißen Ring Limburg-Weilburg. Das fange an mit Mobbing in den sozialen Medien an Schulen, häufig mit sexualisierten Bezügen, und reiche bis zum Versenden von Bildern und Videos mit intimen Inhalten. Aber auch ältere Menschen seien von digitaler Gewalt betroffen, macht Schäfer aufmerksam. Dazu gehöre beispielsweise das Phishing, also der digitale Angriff, um an Kreditkartennummern oder Bankdaten der Opfer zu gelangen.
Bundeslagebild: 62 Prozent der Opfer sind weiblich
Dass Frauen online immer häufiger zum Angriffsziel werden, zeigt das Bundeslagebild „Geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten 2023“ des Bundeskriminalamts. 62,3 Prozent der Opfer digitaler Gewalt sind demnach weiblich. Zu den Formen der digitalen Gewalt gehörten Delikte wie Cyberstalking oder Cybergrooming und weitere Missbrauchsdelikte, die über das Internet begangen werden. Auch sogenannte „Dickpics“ – Bilder des männlichen Geschlechtsteils, die ungefragt verschickt werden - gehören dazu. Und die Opfer seien meistens Frauen, so Heimann. Wer ein solches Foto erhalte, müsse dies nicht einfach hinnehmen. „Das ungefragte Versenden von intimen Bildern ist strafbar und sollte angezeigt werden.“
Der Weiße Ring, der im Limburger „Max Value Tower“ seinen Sitz hat, arbeitet mit neun Beratern, allesamt ehrenamtlich. Opfer können dort Kontakt aufnehmen und einen Gesprächstermin vereinbaren. „Es ist wichtig, dass die Betroffenen in einem geschützten Raum erzählen können, was ihnen passiert ist“, sagt Hildegard Storch, die sich als Rentnerin im Weißen Ring engagiert. Auch Brigitte Kraut ist bereits im Ruhestand und in der Opferhilfe tätig. „Wir haben öfter Fälle, in denen die Gewalt ganz handgreiflich ist“, berichtet sie. Dagegen gebe es zwar beispielsweise gerichtliche Näherungsverbote - doch häufig setze sich die Gewalt im Internet oder mit dem Handy - digital - fort.
Es sei wichtig, ergänzt Laura Heimann, dass sich die betroffenen Frauen das Erlebte „von der Seele reden“ können. Zumal es um sehr intime, schambehaftete Themen gehe. „Viele Frauen gehen befreit aus den Gesprächen heraus“, berichtet sie. Häufig, so Brigitte Kraut, sei es auch wichtig, den Opfern klarzumachen, dass sie Opfer sind, dass sie wegkommen können von möglichen Schuldgefühlen.
„Eine Straftat bleibt eine Straftat – auch im Internet.“
Juristin Laura Heimann
Doch nicht allein mit Gesprächsangeboten hilft der Weiße Ring. Die Opferorganisation ermöglicht beispielsweise anwaltliche Erstberatungen, vermittelt psychologische Hilfen, Selbstverteidigungskurse, gibt konkrete Ratschläge wie das Wechseln der Handy-Nummer und das Auswechseln von Türschlössern oder gewährt in Einzelfällen sogar finanzielle Hilfen.
Digitale Gewalt äußert sich nicht nur im privaten, sondern auch im öffentlichen Bereich. Laut einer Studie der gemeinnützigen Organisation HateAid und der TU München sind 63 Prozent der Frauen, die sich politisch engagieren, von digitaler Gewalt betroffen. Bei den Männern sind es 53 Prozent. 68 Prozent der betroffenen Frauen berichten von geschlechtsspezifischer Gewalt wie Sexismus oder Frauenhass. Fast ein Viertel der weiblichen Betroffenen hat schon einmal Androhungen physischer sexueller Gewalt erhalten, zum Beispiel Vergewaltigungsandrohungen (Männer: drei Prozent). Mehr als jede zweite betroffene politisch engagierte Person verändert der Studie zufolge ihre Kommunikation, vor allem Frauen denken ans Aufhören. „Das ist demokratiegefährdend und zeigt, wie wichtig es ist, auf das Thema aufmerksam zu machen und dafür zu sensibilisieren“, sagt Laura Heimann. „Digitale Gewalttäter verstecken sich häufig hinter der vermeintlichen Anonymität des Internets“, sagt die Juristin. Aber: „Eine Straftat bleibt eine Straftat, auch wenn sie im Internet begangen wurde.“
Der Weiße Ring Limburg-Weilburg ist telefonisch unter 0151-14197280 erreichbar. Weitere Infos gibt es auch unter limburg-weilburg-hessen.weisser-ring.de im Internet oder per E-Mail an limburg-weilburg@mail.weisser-ring.de.