Die moderne Technik sei Segen und Fluch zugleich, heißt es häufig – was in vielen Fällen sicherlich auch zutrifft. In diesem speziellen Fall aber ist sie eindeutig und ausschließlich ein Segen: Mithilfe der Fotogrammetrie wurde es möglich, historische Inschriften und Graffiti auf der Braubacher Marksburg zu dokumentieren und zu entziffern und auf diese Weise das Wissen über die Geschichte der einzigen unzerstörten Höhenburg am Mittelrhein zu erweitern – ein Thema, dem der Kurator des Marksburg-Museums, Ulrich Linnemann, am vergangenen Samstag im Rahmen des 25. Mittelrheinischen Burgensymposiums einen hochinteressanten Vortrag widmete.

Fotogrammetrie? So nennt sich ein spezielles Verfahren der Fotografie, bei dem die gewonnenen, einander überlappenden Aufnahmen unter anderem in 3D-Modelle, aber auch in sogenannte Orthofotos und digitale Situationsmodelle (DSM), verzerrungsfreie Darstellungen, umgewandelt werden können. Ein glücklicher „Zufall“: Sarah Hillen, Studentin der Fachrichtung Geoinformatik und Vermessung an der Hochschule Mainz, ist gerade dabei, die Marksburg mithilfe der Fotogrammetrie dreidimensional zu erfassen. „Ich bin ihr sehr dankbar, dass sie meine Anregung aufgegriffen und unter anderem das Schartentor fotografiert hat“, betonte Ulrich Linnemann.
Denn hinter den Graffiti, die dieses Tor scheinbar wahllos und zufällig zieren, verbergen sich echte Überraschungen. So ist auf der Vorderseite unter anderem der Name „Friedrich Kohlhaas“ zu erkennen. „Er war der letzte Kastellan der Marksburg“, berichtete der Referent. Auch die Rückseite ist reich an historischen Graffiti. „Auf der rechten Seite sehen wir zum Beispiel eine große Männergestalt, die Puffhosen und an der Seite ein langes, stockartiges Gebilde trägt“, so der Referent, der seine Erläuterungen mit zahlreichen Abbildungen untermauerte. Bei besagter Gestalt handelt es sich um niemand anderes als um den damaligen Kommandanten der Marksburg.

Auch an der Kleinen und Großen Batterie gelang es ihm, Graffiti, darunter vollständige Namen und Datierungen, zu entdecken und zu entschlüsseln. „Die meisten Graffiti auf der Marksburg sind im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts entstanden, und aller Wahrscheinlichkeit nach waren es Soldaten, die sich auf diese Weise verewigt haben“, erläuterte Linnemann und machte deutlich: „Die Gattung der historischen Graffiti findet gemeinhin wenig Beachtung und erweckt erst seit wenigen Jahren die Aufmerksamkeit der Forschung.“ Da es sehr arbeitsintensiv und zeitaufwendig sei, die Graffiti auf der Marksburg vollständig zu erforschen, könne auch er selbst nur erste Ergebnisse präsentieren, betonte der Referent, der außerdem auf etliche Inschriften einging.
Zum Beispiel auf die für den Soldaten Gerhard Manefeld, die sich auf einem Sandstein an der Unteren Batterie befindet. Erst die Fotogrammetrie machte diese Inschrift und ihre Datierung auf das Jahr 1695 eindeutig lesbar. In Kombination mit dem zugehörigen Eintrag im Kirchenbuch der evangelischen Kirchengemeinde Braubach gelang es Ulrich Linnemman, die vollständige Inschrift zu rekonstruieren. „Durch die beiden Kreuzzeichen sind Inhalt und Charakter der Inschrift offenkundig – es ist eine Grabinschrift in ihrer elementarsten Form, die den Verstorbenen mit Vor- und Zunamen und seinem Sterbedatum.“

Noch spektakulärer sind die Umstände, unter denen Gerhard Manefeld auf der Marksburg sein Leben lassen musste. „Das Braubacher Kirchenbuch spricht davon, dass er ‚durch ein zersprungenes Geschütz getödtet“ wurde“, berichtete Linnemann. „Der Fachbegriff meint ein Geschütz, das, zumeist bei der Schussabgabe, explodierte. Derartige Ereignisse waren im 17. Jahrhundert keineswegs selten.“ Mit anderen Worten: Gerhard Manefeld ist, möglicherweise durch eine Überhitzung des Geschützrohrs bedingt, einem Unglück zum Opfer gefallen. „Die sterblichen Überreste von Gerhard Manefeld wurden ohne viel Aufhebens wohl noch am selben Tag auf dem Burgberg beigesetzt – um nicht zu sagen: verscharrt“, fasste Linnemann das Schicksal des „armen Teufels“ zusammen.
Aufschlussreiches wusste er auch über die Steinmetzzeichen am spätgotischen Saalbau der Marksburg aus dem 15. Jahrhundert, die Bauinschriften des Rheinbaus, des Hundezwingers des äußeren Tors aus dem 18. Jahrhundert sowie die Grabinschriften für die Kommandanten Johann Heinrich Hill und Arnold Diesterweg aus dem 19. Jahrhundert zu berichten – und brachte den Zuhörern damit sehr anschaulich ein Thema näher, das sonst eher ein Schattendasein führt.

Sieben weitere Vorträge beim Mittelrheinischen Burgensymposium
Seit 125 Jahren befindet sich die Marksburg im Besitz der Deutschen Burgenvereinigung (DBV). Diesen Geburtstag feierte man jetzt unter anderem mit der rheinland-pfälzischen Wirtschaftsministerin Daniela Schmitt und Staatssekretärin Simone Schneider vom Innenministerium. Am Samstag traf sich zudem die Landesgruppe der DBV zum 25. Mittelrheinischen Burgensymposium unter Leitung von Stefan Köhl. Neben Ulrich Linnemanns Ausführungen gab es für die rund 80 Zuhörer sieben weitere Vorträge, und zwar: Jens Friedhoff: Ein Wallfahrtsort und ein historisches Museum für die Kunst des Mittelalters; Ludger Fischer: Der Nachweis der Richtigkeit. Bodo Ebhardts Purifizierung der Marksburg; Stefan Köhl: Überlegungen zur Frühzeit der Burg; Reinhard Friedrich: Archäologische Funde von der Marksburg; Lorenz Frank: Neue Erkenntnisse zur Baugeschichte der Marksburg; Achim Schmidt: Von Dilichs Maßband zur „airborne structure from motion“; Michael Kirchschlager: Die Beschädigung der Marksburg 1945. ubl
