Lebendige Historie
Von Säufüßchen und Schicksalen
Mitwirkende und Gäste präsentieren das Buch, das viel vom alten Leben erzählt.
Thorsten Stötzer

Senioren haben eine Menge aus ihrem Leben zu erzählen, das reicht von Anekdoten bis zur Schilderung von Schicksalen. In Nastätten ist aus diesen Erinnerungen ein ganzes Buch entstanden.

Die Fastenbrezel gilt bis heute als Nastätter Spezialität und ist gerade wieder gefragt. „Gebacken werden sie auf Stroh, dadurch bekommen sie ein ganz besonderes Aroma“, ist in einem Buch zu lesen, das im Wohnpark am Paulinenstift in Nastätten geschrieben wurde und noch viel mehr über das Alltagsleben vor allem in vergangenen Jahrzehnten verrät. „Wisst ihr noch, damals… – Erzählungen aus einem alten Leben“, lautet der Titel des gerade erschienenen, knapp 100 Seiten starken Bandes.

Bei der Präsentation in der Wohneinrichtung für Senioren hat Ellen Hißnauer als Ideengeberin für das Buch und Mitarbeiterin für alle beteiligten Rosen als Dankeschön parat. Alle 36 Autoren und Autorinnen sind auch mit Bildern im Vorspann des Buches zu sehen. Zwölf von ihnen sind zwischenzeitlich verstorben, sagt Richard Rosenthal, der seit April 2024 als Einrichtungsleiter des Wohnparks fungiert. Er freut sich über vielerlei Aktivitäten in seinem Haus, wofür das Buch ein herausragendes Beispiel bietet.

Das ist mehr als ein Büchlein, das ist ein großes Geschenk.
Altbürgermeister und Ex-Minister Karl Peter Bruch

Rezepte und das Thema Nachhaltigkeit standen am Anfang des Projekts. Dann sei man immer mehr ins Erzählen gekommen, berichtet Hißnauer. So erweiterte sich der Rahmen in die Zeitgeschichte hinein. „Viele Bewohner haben einen oder zwei Kriege miterlebt“, sagt Rosenthal; die Erinnerungen daran sollten „Anregung sein, sich dafür einzusetzen, dass das nicht wieder passiert“. „Das ist mehr als ein Büchlein, das ist ein großes Geschenk“, schließt sich Altbürgermeister und Ex-Minister Karl Peter Bruch an.

„Es hat mich mitgenommen“, beteuert Bruch: „Das ist ein Lebensbild, das gezeigt, aufgeschrieben und anderen dargestellt wird“, fasst er zusammen. Bilder aus dem Nastätter Stadtarchiv reichern die Texte sehr authentisch an. Außerdem haben sich Sponsoren eingebracht, um das Buch mit seinen Geschichten, den Rezepten und den biografischen Schilderungen zu ermöglichen. Da reicht das Spektrum von heute weniger geläufigen Gerichten wie „Schweinebrüh mit Säufüßchen“ bis zu Schicksalsreporten.

Kontakt mit Nachfahren in den USA aufgenommen

Flucht und Vertreibung haben viele Lebensläufe beeinflusst. Die Geschichte des 20. Jahrhunderts spiegelt zudem, was Hannelore Scheuermann erlebt hat. Geboren 1929 in Würzburg, arbeitete ihr Vater dort als Automechaniker und Chauffeur für die jüdische Unternehmer-Familie Katzmann. „Meinen Vater diffamierten die Nazis als Judenknecht“, ist im Buch zu lesen. Im Wohnpark war die Neugier geweckt. Es kam ein transatlantisches Zoom-Meeting mit Nachfahren der Katzmanns in den USA zustande.

Die Geschäftswelt von einst wird ebenso beleuchtet im fest gebundenen Werk wie ländliche Wohnverhältnisse samt Plumpsklo. Feldarbeit ohne Mähdrescher, aber mit gemütlichem Kartoffelfeuer, zählt ebenso zum Inhalt wie das Waschen ohne Waschmaschine im Haushalt. Hausschlachtungen und Konservierungsmethoden von früher sind Themen. Wer möchte, kann praktische Tipps mitnehmen und erfahren, wie sich etwa Backpulver als Mittel gegen Fett- und Ölflecken auf der Bekleidung verwenden lässt.

Er setzte sich dann selbst eine Tetanusspitze und die Sache war erledigt.
So ging ein Arzt aus der Region mit Hundebissen nach Hausbesuchen um.

Die Kerb wird anschaulich gemacht aus einer Zeit, als der Viehhandel an den Festtagen noch eine große Rolle spielte. Kino und Waldschwimmbad waren als Freizeitvergnügen beliebt. Vom Gesundheitswesen kündet ein Porträt der Arztpraxis Dr. Steinhauer, der teils in Naturalien bezahlt wurde und faktisch Tag und Nacht in Bereitschaft war. Und „es kam vor, dass der Arzt bei seinen Hausbesuchen von Hunden angegriffen und gebissen wurde. Er setzte sich dann selbst eine Tetanusspitze und die Sache war erledigt.“

Ein Rezept für den Hefezopf zu Ostern sowie Anleitungen zum Eierfärben passen wieder in die aktuelle Jahreszeit. Zwiebelschalen, Kräuter, Rote Bete, Holundersaft, Rotkohl, Spinat oder eingekochte Heidelbeeren machten ehedem die Eier bunt. Das alles kann für 15 Euro nachgelesen werden. Das Buch ist im Handel erhältlich oder im Regionalmuseum in Nastätten, teilt Ellen Hißnauer mit.

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