Von Kirberg in die Welt
Viel über die Meere und das Leben gelernt
Rosa Ambrosius (16) auf den Azoren am Steuer der „Gulden Leeuw“. Foto: Katharina F.
Katharina F.

Es ist eine Reise, die das Leben der 16-jährigen Rosa nachhaltig verändern wird. Sieben Monate ist die Schülerin auf den Weltmeeren im „Segelnden Klassenzimmer“ unterwegs.

Ostern war ganz anders als zu Hause. Weiße Weihnachten mit Christbaum gab es ebenfalls nicht – dafür einen Tauchkurs bei Grenada. Rosa Ambrosius hat Korallen und Fische hautnah erlebt. „An die Unterwasserwelt werde ich mich noch sehr lange erinnern“, sagt die 16-Jährige. Sieben Monate gehört sie zur Crew eines Segelschiffs. Insgesamt 60 Leute, darunter 44 Schüler wie sie, sind auf der „Gulden Leeuw“ unterwegs. Sie haben den Atlantik und die Karibik gekreuzt, werden im Mai wieder an ihrem Start und Ziel, Wilhelmshaven, ankommen. Diese Reise verändert alle.

Vor gut zwei Jahren hatte sich Rosa bei der Herrmann-Lietz-Schule Spiekeroog beworben. Die Schüler auf See sind Elftklässler, im ersten Jahr der Oberstufe. Das Besondere: An Bord wechselt Schulunterricht in den üblichen Fächern mit der Watch, der Arbeit auf dem Segelschiff. Bordsprache ist Englisch. Die 44 jungen Leute lernen alles, was es an Bord zu tun gibt – vom Plankenschrubben bis zum Segelsetzen.

„Two, six, heave“ (Zwei, Sechs, Ziehen) – diese Worte wird Rosa wohl nie vergessen. Das ist der Ausdruck zum Ziehen an einem Seil, eine Tradition auf englischsprachigen Schiffen. „Er kommt ursprünglich von Militärschiffen. Eine Person sagt ,Two, six‘, alle anderen antworten im Chor ,Heave‘ und ziehen währenddessen am Seil, um das Segel Stück für Stück zu setzen. Dann bekommt man gemeinsam Spannung auf das Seil und kann es schneller und ohne elektronische Hilfe setzen“, erklärt die 16-Jährige. Die Folge kennt sie nun fast wie im Schlaf.

Die Verantwortung am Steuerrad

Oder das Schiff steuern: Rosa hatte diese Aufgabe und ist hineingewachsen. „Am Steuerrad hat man große Verantwortung, man muss bei jedem Wetter auf Kurs bleiben. So sind alle an Bord sicher und die Segel werden nicht strapaziert“, sagt sie zu dieser Tätigkeit. Dann ist sie auch wieder zum Kochen oder Putzen eingeteilt – alles wechselt, ebenso wie der Unterricht.

An Bord sind Lehrer und Pädagogen. Doch noch mehr als in den herkömmlichen Fächern bewähre sich das Lernen über die Erfahrung, ist Pädagoge Felix Schmitt überzeugt. „Die Jugendlichen lernen in den verschiedenen Ländern viel über Nachhaltigkeit. In Kuba zum Beispiel standen soziale Gerechtigkeit und die Armut im Fokus.“ Der Unterricht sei für manche eine Herausforderung, gibt er zu. Neben Mathe, Deutsch, Englisch und Co. gibt es das Fach „Global Learning“, eigens auf die Erfahrungen der Reise abgestimmt.

Laura und eine Mitschülerin tauchen in Kuba. Foto: Laura P.
Laura P.

„Für mich ist es sehr positiv, zu sehen, wie sich mein Leben verbessert“, sagt Rosa. Wie sie das meint? „Am Anfang ging es noch sehr um die See und die Seile. Inzwischen haben wir das verstanden und wissen, was wir tun. Dazu kommen die Erfahrungen. Wir haben mehrmals Wale und Delfine gesehen“, berichtet das Mädchen. Die Abläufe sind in „Watches“ zu je vier Stunden eingeteilt, die um 0 Uhr beginnen und immer bestückt werden. Dazwischen liegen im Wechsel Unterrichtseinheiten, Landgänge, das Lernen miteinander. „Wir sind schon zu einer eingeschworenen Gemeinschaft geworden. Es haben sich Freundschaften entwickelt. Wir haben uns vorgenommen, uns später auf jeden Fall wieder zu treffen.“

Madeira, Kapverden, Costa Rica, die Azoren

Jetzt ist erst einmal alles sehr dicht gedrängt. Die Eindrücke auf dem Weg über Madeira, die Kanaren, Kapverden, Martinique, Grenada, Panama, Costa Rica, Kuba, die Bermudas, die Azoren wirken nachhaltig. Ebenso die Zusammenarbeit auf dem Schiff. Im Mai wird sie wieder die Taunusschule in Bad Camberg besuchen – eine Vorstellung, die auf hoher See so weit weg erscheint. Und dennoch: Rosa freut sich auch darauf.

Zu Hause blickt ihre 19-jährige Schwester voller Anerkennung auf Rosas Leistung. Die Eltern sind stolz und glücklich. Rosas Mutter Melanie Ambrosius erzählt: „Die Reise hat uns gefunden.“ Rosa suchte ein neues Hobby mit Abenteuertouch. Es folgte ein Bewerbungsverfahren mit Motivationsschreiben, Empfehlungen ihrer Lehrer, Online-Vorstellungsgespräch. 2023 stand fest: Rosa hat einen Platz auf dem „Segelnden Klassenzimmer“ beim Törn 2024/25.

Der Kontakt nach Hause

Monate später: Natürlich vermisst Melanie ihre Tochter und freut sich auf das baldige Wiedersehen. In der Zwischenzeit hat sie sich über den Reiseblog online über den Stand der Fahrt informiert, außerdem hin und wieder telefoniert. „Bei Landgängen ist das erlaubt, dann bekommen wir für zwei, drei Stunden unsere Handys“, erzählt Rosa.

Die 16-Jährige hat ihr Leben verändert. Vieles, was früher selbstverständlich erschien, ist jetzt ganz anders. „Und ja“, sagt sie, „am Anfang hatte ich schon Heimweh.“ Das überwinden die Schüler, weil sie sich insgesamt wohlfühlen und stets Kontakt nach Hause halten können – wenn auch nicht immer zu allen Zeiten.

Auf dem Schiff ist man nie allein

Anders ist auch das Zusammensein. „Auf dem Schiff ist man nie allein“, sagt Rosa. Das fehlt ihr etwas: sich zurückziehen können. Auch darauf freut sie sich, wenn das zu Hause wieder möglich ist. Die Erfahrung auf dem Schiff: Könnte das ihre zukünftige Berufswahl beeinflussen? „Ich finde es toll, hier zu sein und zu segeln. Aber beruflich? Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht“, sagt die Teenagerin.

Erst einmal wird sie wieder die Schule wechseln – von der Hermann-Lietz-Schule Spiekeroog zurück in die Taunusschule nach Bad Camberg. Dann wird es sich vielleicht ein wenig seltsam anfühlen, wieder so lange festen Boden unter den Füßen zu haben. Und schließlich ist da noch ihre Familie in Kirberg, die sich sehr auf Rosa freut. Umgekehrt natürlich auch.

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