Das sagen Branchenfachleute zur Situation nach dem Lockdown
Tourismus in Corona-Zeiten: Erst Stillstand, jetzt Megaboom?
Wohnmobilstellplätze haben zurzeit wegen Corona sehr großen Zulauf – wie hier der Stellplatz „Am Kränchen“ in Niederlahnstein.
Ulrike Bletzer

Nach dem Ende des Corona-Lockdowns, der kaum eine Branche so hart getroffen hat wie den Tourismus, haben Fachleute, quasi als positive Gegenbewegung, einen Run auf Urlaub in Deutschland prognostiziert. War dies mehr als der sprichwörtliche Strohhalm, nach dem man in der Not so gerne greift? Und wenn ja: Wie viel davon ist im Rhein-Lahn-Kreis angekommen?

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Wohnmobilstellplätze haben zurzeit wegen Corona sehr großen Zulauf – wie hier der Stellplatz „Am Kränchen“ in Niederlahnstein.
Ulrike Bletzer

„Die Möglichkeit, wieder touristische Reisen zu unternehmen, hat nicht gleich die Betten gefüllt“, nimmt Petra Brückner, die Leiterin der Touristinformation in Lahnstein, hochfliegenden Erwartungen, die Branche habe nach dem Ende der Corona-bedingten Verbote von 0 auf 100 beschleunigt, die Luft aus den Segeln.

Eher kann von einer schrittweisen Wiederbelebung des Geschäfts die Rede sein. „Am frühesten waren die Camping- und vor allem Wohnmobilplätze gefüllt. Im Nachgang hat sich dann auch bei den Ferienwohnungen die Situation stark verbessert“, berichtet sie. Bei den Hotels und Pensionen habe die Nachfrage erst ab Ende Juli allmählich wieder angezogen.

„Die Tagungen und anderen Gruppenveranstaltungen, aus denen viele Hotels sonst einen Großteil ihrer Einnahmen generieren, fallen in diesem Jahr allerdings flach“, betont Petra Brückner, die den „Corona-Kahlschlag“ umso mehr bedauert, als sich das Jahr für Lahnstein in touristischer Hinsicht sehr gut angelassen habe. „Wenn es so weitergegangen wäre, hätten die Übernachtungszahlen über Buga-Niveau gelegen“, ist sie sich sicher.

Mehr Radfahrer, mehr Wanderer, mehr Kanuten

Insgesamt sei die Saison – oder besser gesagt: das, was von ihr übrig blieb – bisher recht positiv verlaufen, bestätigt Sabine Ksoll, Geschäftsführerin der Lahn-Taunus-Touristik. „Vor allem verzeichnen wir mehr Tagesgäste aus einem Umkreis von zwei bis zweieinhalb Stunden Fahrzeit“, berichtet sie. Nicht wirklich überraschend: Urlaub in der Natur ist gefragt wie nie.

„Es sind deutlich mehr Wanderer und Radfahrer, auch E-Bike-Fahrer, als in anderen Jahren unterwegs“, sagt Sabine Ksoll und ergänzt: „Auch der Bootstourismus auf der Lahn erlebt zurzeit einen regelrechten Aufschwung – sei es mit dem eigenen Motorboot oder mit einem gemieteten Hausboot. Kanufahrer und Stand-up-Paddler sind ebenfalls sehr viele unterwegs.“

Überwiegend positiv klingt auch, was Christoph Keul zu berichten weiß. „Die Monate Mai, Juni und Juli waren besser als 2019“, sagt der Geschäftsführer der Touristik Bad Ems-Nassau, der dies unter anderem mit dem Hinweis auf den Verkauf von Kurkarten untermauert: „Im Juli ist er im Vergleich zum Vorjahresmonat um fast 30 Prozent von 893 auf 1168 Stück gestiegen.“

Auch bei den über die Touristik Bad Ems-Nassau gebuchten Übernachtungen schneide der Juli 2020 besser ab als der Vorjahresmonat. Und nicht zuletzt würden die innerhalb von einem halben Jahr von circa 200 auf knapp 600 gestiegenen täglichen Besucherzahlen auf der neuen Touristik-Homepage das große touristische Interesse an der Region widerspiegeln. Ein weiterer positiver Trend, den alle befragten Touristiker bestätigen: Die Verweildauer der Gäste hat sich im Vergleich zu den Vorjahren erhöht. Christoph Keul beziffert den Zuwachs auf durchschnittlich ein bis zwei Tage.

Großangelegte Werbemaßnahmen sollen die Tourismusbranche wieder auf Kurs bringen

Logisch, dass zusätzliche Marketingmaßnahmen ergriffen wurden, um dem Corona-gebeutelten Tourismus einigermaßen wieder auf die Sprünge zu helfen. Während Christoph Keul zum Beispiel von einer Erhöhung des Marketing-Etats um 12.000 Euro, von Anzeigenschaltungen, Werbung in den sozialen Medien und der Etablierung eines neuen Tourismus-Blogs berichtet, ergänzen seine Kolleginnen, man habe sich sämtlichen infrage kommenden Tourismus-Kampagnen angeschlossen.

Dazu gehörten unter anderem die Kampagne „Wenn raus, dann Rhein“ des Zweckverbands Oberes Mittelrheintal, „Weit weg, ganz nah“ der Koblenz-Touristik und „Deine Goldene Zeit in Rheinland-Pfalz“ der Landesregierung.

„Wenn die derzeitige Situation irgendetwas Positives mit sich gebracht hat, dann ist es die Tatsache, dass die Touristiker der Region noch mehr als sonst an einem Strang ziehen und zum Beispiel auch gemeinsame Anzeigenkampagnen gestartet haben“, sagt Mareike Buchmann, die stellvertretende Geschäftsführerin der Loreley-Touristik.

Alles in bester Ordnung also? Leider nein. „Bei den Pauschalangeboten haben wir riesige Umsatzeinbußen“, bedauert Christoph Keul. „Im ersten Vierteljahr hatten wir hier für rund 30.000 Euro Buchungen, die so gut wie alle storniert wurden. Aufs ganze Jahr gerechnet hätten wir ohne Corona 80.000 bis 90.000 Euro Jahresumsatz generieren können. Mit Corona werden es voraussichtlich nur knapp 20.000 Euro sein.“ Komplett weggebrochen sei vor allem das Busgeschäft einschließlich der Stadtführungen: „Das hat natürlich auch Auswirkungen auf die Gastronomie.“

Die Verluste durch den Corona-Lockdown bleiben weiterhin hoch

Apropos Gastronomie: Die ist zurzeit natürlich deutlich im Vorteil, wenn sie erstens über einen Außenbereich und zweitens über großzügige Räumlichkeiten verfügt – oder wie Sabine Ksoll es formuliert: „Klein, kuschelig und gemütlich ist bei Lokalen zurzeit nicht gefragt.“ Allerdings dürften auch Biergärten und Restaurants mit Terrassen mit den zum Herbst hin sinkenden Temperaturen an Zulauf einbüßen.

Dennoch: Insgesamt gesehen ist die Situation momentan gut. Aber reicht das aus, um die durch den Corona-Lockdown bedingten Verluste auszugleichen? „Nein, davon können wir nicht grundsätzlich ausgehen“, antwortet Sabine Ksoll und differenziert: „Das hängt sehr stark davon ab, um was für eine Art von Anbieter es sich handelt. So sind Betreiber von Wohnmobilplätzen auch allein deshalb schon im Vorteil, weil sie weniger Fixkosten haben als zum Beispiel Hotelbetreiber, die ihre Mitarbeiter bezahlen müssen. Bei diesen wird sicherlich kein Ausgleich möglich sein.“

Und natürlich weiß niemand, wie es in den kommenden Wochen und Monaten weitergeht. Man kann optimistisch sein wie Christoph Keul, der sagt: „Nach den Sommerferien ist es zwar ein bisschen ruhiger geworden. Aber wir hoffen, dass sich die Saison bis in den Oktober hinein erstreckt und wir in den Herbstferien an den positiven Trend anknüpfen können.“

Oder man kann eher skeptisch sein wie Sabine Ksoll, die vor allem das ohnehin schon schwer gebeutelte Hotel- und Gaststättengewerbe vor einer schwierigen Phase sieht. „Das Seminarangebot ist weggebrochen“, sagt sie. „Auch ist noch völlig unklar, ob und in welchem Rahmen Weihnachtsfeiern stattfinden werden. Da gibt es sehr viele Unwägbarkeiten. Der Winter wird zeigen, ob die Betriebe der Krise standhalten können.“ Um Einnahmen zu generieren, habe man in diesem Jahr im Grunde nur die Sommersaison gehabt, zeigt sich auch Mareike Buchmann eher zurückhaltend: „Falls es wieder zu einem Lockdown kommen sollte, wäre das katastrophal.“

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