Bürgerentscheid steht bevor - Das sagen Gegner und Befürworter zum Tötungsplan
Streitgespräch vor dem Bürgerentscheid: Was geschieht mit den Limburger Tauben?
Was wird mit ihnen passieren nach dem Bürgerentscheid? Mehrere Tauben auf Futtersuche auf dem Spazierweg am Schleusenkanal in der Brückenvorstadt in Limburg. Fotos: Stefan Dickmann
Stefan Dickmann

In wenigen Tagen, am 9. Juni, können die Limburger Bürger darüber abstimmen, was mit den Stadttauben in der Innenstadt geschehen soll, die durch ihre zu große Anzahl für Unmut sorgen. Sollen sie als „Schädlinge“ von einem Falkner getötet werden dürfen, wie es die politische Mehrheit von CDU, SPD und FDP will, oder soll es für diese „verwilderten Haustiere“ eine andere Lösung geben? Ein Streitgespräch macht die verschiedenen Haltungen deutlich.

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Die Stadtverordneten Marion Schardt-Sauer (FDP), Dirk Fredl (CDU) und Andreas Nattermann (SPD) machen sich dafür stark, einem Falkner die Aufgabe zu übertragen, die Taubenpopulation in der Innenstadt zu verkleinern (Tauben einfangen, betäuben, Genick brechen). Die Elzer Tierärztin Nannette Welk, Harald Lind vom Taubenprojekt Montabaur und der Stadtverordnete Sebastian Schaub (Grüne) aus Limburg widersprechen energisch.

Vor einem Jahr stellt der Magistrat fest: Limburg hat ein Taubenproblem, weil es zu viele dieser Vögel in der Innenstadt gibt, zwischen 700 und 800. Die Lösung sollen zwei betreute Taubenschläge sein, in der die Eier ausgetauscht werden. Dadurch kann laut Magistrat „die Zahl der vorhandenen Stadttauben mittelfristig reduziert werden“. Trotz dieser Einschätzung ist die Mehrheit der Stadtverordneten einen anderen Weg gegangen und hat sich im Herbst 2023 für eine andere Lösung entschieden.

Wie ist es dazu gekommen?

Dirk Fredl: Ende 2021 hat die Stadt das Fütterungsverbot für Tauben in der Innenstadt verschärft. Doch das hatte leider nicht den gewünschten Erfolg. Die Population ist weitergewachsen, die Verschmutzung durch Kot hat deutlich zugenommen, auch die Beschwerden der Bürger.

Marion Schardt-Sauer: Die Vorlage des Magistrats enthielt nur ein denkbares – und zudem wegen der unsicheren Wirkung höchst umstrittenes – Verfahren, um die Anzahl der Tauben zu reduzieren. Es gab deshalb den Wunsch, sich weiter zu informieren. Vor der Sommerpause kam ein Falkner in den Umweltausschuss und hat uns eine Alternative präsentiert, die FDP, CDU und SPD überzeugt hat. Diese erschien den allermeisten Stadtverordneten als effizient und zielführend. So ist es zu dem Beschluss gekommen, die Population der Stadttauben anders zu reduzieren.

Nannette Welk: Sprechen wir es doch laut aus: Die Stadttauben sollen getötet werden. Das lehnen wir ab. Es gibt eine geeignetere Methode mit dem Austausch der Eier in betreuten Taubenhäusern.

Harald Lind: Die Limburger Stadtverwaltung hat sich bei mir ausführlich informiert, wie wir in Montabaur schon seit fast 15 Jahren mit dem Taubenproblem erfolgreich umgehen. Bevor wir die Taubenhäuser hatten, war das wirklich schlimm mit dem vielen Taubendreck. Montabaur ist mittlerweile so sauber geworden.

Die Teilnehmer des Streitgesprächs dieser Zeitung (von links): Marion Schardt-Sauer, Dirk Fredl, Andreas Nattermann, Sebastian Schaub, Nannette Welk und Harald Lind.
Stefan Dickmann

Gibt es auch aus Ihrer Sicht zu viele Stadttauben in Limburg?

Sebastian Schaub: Wir haben in der Stadt seit Langem zu viele Tauben. Wir Grüne setzen uns seit 2012 dafür ein, die Taubenpopulation auf humane Art und tierschutzgerecht zu reduzieren.

Andreas Nattermann: Es trennt beide Seiten doch gar nicht so viel. Wir alle wollen die Population verringern. Es gibt allerdings große Differenzen, wie man das erreichen soll. Aus dem Flyer von CDU, SPD und FDP zum anstehenden Bürgerentscheid: „Straßentauben sind häufig mit Viren, Bakterien, Einzellern oder anderen Parasiten infiziert, die auch dem Menschen gefährlich werden können.

Beschwerden kommen auch von Kunden der Außengastronomie, wo nicht nur Kot auf dem Tisch landet, sondern auch die Tauben am und mitunter auf dem Tisch nach Brotkrumen suchen.“ Wie gefährlich sind die Stadttauben?

Nannette Welk: Der Kot der Tauben ist nicht gefährlicher als der von anderen Tieren wie zum Beispiel Spatzen und Meisen. Wir haben in Limburg doch überhaupt keine Hinweise auf durch Tauben erkrankte Menschen.

Dirk Fredl: Wir haben in der Innenstadt eindeutig ein Tauben-, aber kein Spatzen- oder Meisenproblem. In der Altstadt und auch auf dem Neumarkt gibt es viele Cafés, viele Begegnungen der Tauben mit Lebensmitteln. Und hat mal jemand an Rollstuhlfahrer gedacht, wenn sie durch Taubenkot fahren?

Nannette Welk: Ich möchte betonen, dass Tauben nicht grundsätzlich als Schädlinge anerkannt sind.

Andreas Nattermann: Da muss ich widersprechen. Voraussetzung für unsere politische Zustimmung, auf einen Falkner zu setzen, war die Aussage des Kreisveterinäramts: Tauben sind in dieser Dimension als Schädlinge einzustufen. Auf dieser Basis haben wir die Entscheidung getroffen, denn die Bürger erwarten zurecht von uns eine Lösung des Problems.

Was sind Stadttauben für Tiere?

Nannette Welk: Es gibt genetische Studien, die belegen, dass Stadttauben Mischlinge aus Rassetauben und Brieftauben sind. Das sind also keine Wildtauben, sondern Nachkommen der Haustauben.

Harald Lind: 90 Prozent der Tauben in Montabaur sind beringt, das heißt, sie gehören jemand, und zwar Züchtern. Wir reden also von herrenlosen Haustieren, um die sich jemand kümmern muss.

Marion Schardt-Sauer: Es gibt klare Kriterien, welche Tiere wann als Schädlinge einzustufen sind. Nach intensiver Prüfung aller relevanten Faktoren – vor allem auch Fragen des Tierschutzes – hat zum Beispiel das höchste Verwaltungsgericht in Hessen hier klare Leitplanken gesetzt. Demnach sind Stadttauben unter bestimmten, hier in Limburg eindeutig erfüllten Bedingungen, als Schädlinge einzustufen. So wie Ratten oder Mäuse auch. Konsequenterweise hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof auch entsprechende Maßnahmen zur Reduktion der ausufernden Bestände ausdrücklich erlaubt.

Aus dem Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 1. September 2011 (Aktenzeichen 8 A 396/10): „Angesichts der zahlreichen Krankheitserreger, die durch verwilderte Haustauben auf den Menschen übertragen werden können, und wegen der erheblichen Schäden an Gebäuden, die durch Taubenkot verursacht werden können, sind die Tauben zumindest dann als Schädlinge einzustufen, wenn sie in praxistypischen größeren Populationen auftreten. Das ist der Fall bei Schwärmen ab einer Größenordnung von etwa zehn Tieren pro 100 Quadratmeter Grundfläche.“ Wie gehen Sie mit dem Urteil um?

Nannette Welk: Ich kenne das Urteil. Die Gesundheitsgefahr ist abstrakt. Ich habe auch mit dem Gesundheitsamt des Landkreises gesprochen, das ebenfalls von keiner konkreten Gesundheitsgefahr ausgeht. Ich habe zu dem Thema lange recherchiert und nichts gefunden, was Tauben an für Menschen gefährlichen Krankheiten verbreiten könnten.

Marion Schardt-Sauer: Der Verwaltungsgerichtshof in Kassel hat sich sehr ausführlich mit dem Thema beschäftigt, viele verschiedene Experten angehört, Studien gesichtet und eine Entscheidung getroffen. Ein hohes Gefährdungspotenzial für die Gesundheit der Bürger ist dabei eine Entscheidungsvoraussetzung gewesen. Wer das in Abrede stellt oder unterschlagen will, handelt verantwortungslos und setzt insbesondere gesundheitlich vorgeschädigte Personengruppen einem unverantwortlichen Risiko aus.

Andreas Nattermann: Wir sitzen hier nicht als Metzger, die Tauben töten wollen. Viele Bürger in Limburg haben mit den Tauben ein Problem. Wir haben eine politische Entscheidung getroffen. Nach zwei Jahren wird das Ergebnis bewertet. Danach entscheiden wir neu.

Dirk Fredl: Wir haben selten so intensiv in der Fraktion diskutiert und uns unsere Entscheidung nicht leicht gemacht. Wir haben das ordentlich abgewogen und mit unterschiedlichen Experten gesprochen.

Marion Schardt-Sauer: Nach Abwägung der beiden Methoden steht für uns fest: Mit Taubenhäusern ist keine Reduktion der Population möglich.

Aus dem Flyer der Initiatoren „Stoppt das Taubentöten“: „Die Tauben nisten und brüten im (betreuten) Taubenschlag. Eier werden durch Attrappen ausgetauscht und der Nachwuchs bleibt aus.“ Wie viele Tauben gab es in Montabaur vor dem Start mit betreuten Taubenhäusern vor knapp 15 Jahren und wie viele gibt es heute?

Harald Lind: Wir haben damals in Montabaur keine Taubenzählung wie in Limburg gemacht und später auch nicht. Ich gehe von einer ähnlichen Größenordnung wie in Limburg aus: Wir hatten zu Beginn ungefähr 800 Tauben in der Stadt, was viel zu viel ist. Jetzt sind es durch den regelmäßigen Eieraustausch geschätzt noch bis zu 100 Tauben.

Wann genau hat sich die Taubenpopulation deutlich reduziert?

Harald Lind: Im ersten Jahr war es schwierig, da sind zunächst ganz wenig Tauben gekommen, sodass ich zunächst selbst meine Zweifel bekommen habe. Das hat sich dann im zweiten Jahr deutlich geändert. Merklich weniger Tauben hatten wir in Montabaur dank des konsequenten Eieraustauschs nach fünf bis sechs Jahren.

Dirk Fredl: Das mit der Dauer von fünf Jahren haben wir natürlich auch gehört. Das dauert uns aber viel zu lang. Wir haben die Information, dass es mithilfe eines Falkners sehr viel schneller funktioniert. Er hat langjährige Erfahrungen bei der Taubenbekämpfung. Wir wissen von anderen Fällen, dass es so deutlich schneller funktioniert.

Sebastian Schaub: Und wir haben Hinweise, dass das Töten von Tauben nicht Erfolg versprechend ist, im Gegenteil. Mehrere Biologen haben wissenschaftlich nachgewiesen, dass sich trotz des Tötens von Tauben die Bestände wieder sehr schnell erholen.

Marion Schardt-Sauer: Es gibt zahlreiche Beispiele, in denen betreute Taubenhäuser wieder geschlossen wurden, weil keine Reduktion sichtbar wurde. Allein in Wiesbaden gibt es vier betreute Taubenhäuser und sogar eine Taubenbeauftragte, und die sagt: Wir schaffen es nicht, mit dem Eieraustausch die Zahl der Tauben zu reduzieren.

Andreas Nattermann: Es ist nicht beweisbar, dass betreute Taubenhäuser funktionieren. Das schreiben die Initiatoren des Bürgerbegehrens sogar selbst in ihrer Stellungnahme. Da steht lediglich, dass Taubenhäuser zu einem Erfolg führen „können“, einen Beleg dafür gibt es leider nicht.

Sebastian Schaub: Ich will einen wissenschaftlichen Nachweis, dass durch das Töten der Tauben die Population nachhaltig reduziert wird. An der Messe in Frankfurt hat man es auch mit einem Falkner versucht. Anschließend gab es mehr Tauben als vorher.

Laut Magistrat ist mit Kosten für zwei Taubenhäuser in Höhe von rund 90.000 Euro zu rechnen plus jährliche Folgekosten in Höhe von 13.000 Euro. Sind die Kosten so hoch?

Sebastian Schaub: Die Zahlen sind hoch geschätzt. Aus dem Austausch mit Betreibern wie Herrn Lind wissen wir, es geht günstiger. Leider liegen die geschätzten Kosten des Falkners den Fraktionen nicht schriftlich vor. In der Genehmigung des Kreisveterinäramts ist geregelt, dass der Falkner jeden Tag die Taubenfangschläge kontrollieren muss. Wenn ich es richtig verstanden habe, berechnet er pro Anfahrt 250 Euro. Das wären circa 90.000 Euro pro Jahr nur für den Betrieb der Fallen. Aus meiner Sicht sind Taubenhäuser deshalb nicht nur die effektivere, sondern auch die kostengünstigere Variante.

Marion Schardt-Sauer: Die Höhe der vom Magistrat geschätzten Investition war für die FDP gar kein Kriterium, sich gegen die Taubenhäuser auszusprechen. Es geht um die effektivste Methode.

Dirk Fredl: Wir sind zwar über den Satz gestolpert, dass der Magistrat diese Ausgaben kritisch sieht, aber ein entscheidendes Kriterium war dies nicht. Unsere Entscheidung beruht in erster Linie darauf, dass die Anzahl der Tauben schnell reduziert werden muss.

Wie geht der Bürgerentscheid am 9. Juni aus?

Marion Schardt-Sauer: Die Rückmeldungen der Bürger sind sehr differenziert. Es werden auch viele Fragen gestellt. Viele sagen gar nichts. Ich kann nicht einschätzen, wie die Abstimmung ausgeht.

Sebastian Schaub: Wir bekommen viele positive Reaktionen von Bürgern, die das Töten von Tauben ablehnen, überraschend viele von Menschen, die mit den Grünen gar nichts anfangen können. Ich hoffe auf eine kluge Entscheidung.

Die Fragen stellte Stefan Dickmann

Stadtverordnete von Verhalten während Demo schockiert

Direkt nach dem mehrheitlichen Beschluss der Stadtverordneten im November 2023 in der Stadthalle gab es eine Demonstration, die viele Stadtverordnete schockiert hat. Mehrere Teilnehmer der Demo beschimpften nicht nur die Stadtpolitiker, sondern auch unbeteiligte Zuschauer mit Megafonen als „Mörder“ und brüllten ihnen direkt ins Ohr. Schon in den Tagen zuvor hatte es für die Stadtpolitiker einen „Shitstorm“ mit E-Mails von aufgebrachten Tierschützern gegeben.

„Mit der Art des Protests, und wie man versucht hat, uns unter Druck zu setzen und uns Anwälte sogar strafrechtliche Schritte angedroht haben, ist eine Grenze überschritten worden“, sagt der CDU-Stadtverordnete Dirk Fredl. „Wir werden dadurch in unserem freien Mandat eingeschränkt. Einzelne Stadtverordnete hatten Angst abzustimmen.“ Bei der Demonstration seien Stadtverordnete verbal und körperlich angegangen worden. „Das ist absolut inakzeptabel und eine Gefahr für die Demokratie“, sagt Fredl.

Das Stadttaubenprojekt Limburg als Initiator des Bürgerbegehrens habe sich bereits am nächsten Tag im Internet von der Art und Weise der Demonstration öffentlich distanziert, betont die Elzer Tierärztin Nannette Welk; auch an den beleidigenden E-Mails sei das Stadttaubenprojekt nicht beteiligt gewesen. Sebastian Schaub betont, die Grünen lehnten die Art und Weise des Protests ebenfalls entschieden ab. „Das ist leider ein grundsätzliches gesellschaftliches Problem“, sagt er. Stefan Dickmann

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