Sie haben nicht nur den Blues im Blut, sie können auch psychedelischen Rock zelebrieren. Zurück in die verrückte wie musikalisch äußerst fruchtbare Hippiezeit. In „Riders on the Storm“ übernimmt Gross den Donner-und Regenpart von Ray Manzareks Fender Rodes, und los geht es im Doors-Gewitter auf eine hypnotische Saiten-Reise. Und neben dem supercoolen und wahren „Slowhand“ J. J. Cale lässt das Trio auch die Songs der alten schwarzen Country-Blues-Meister ausgiebig erklingen. Charles Browns „Drifting Blues“ hat Gross als Jugendlicher in der Clapton-Version kennen und lieben gelernt. Und von der Einsamkeit singt und spielt der Pfälzer viel.
Der Trierer Brauner hat es auch mit Männern wie Robert Johnson, großes Vorbild vieler britischer Young Blues Boys in den 60ern. Mit Slide-Einlagen auf der National Style und perkussiver Begleitung, für die das Publikum mit rhythmischem Klatschen und Fußstampfen sorgt, verwandelt Brauner das Jukz in eine Mississippi-Delta-Spelunke.
Verschmitzte wie ehrliche Art
Solistisch glänzt vor allem Netzer. Der älteste, aber quicklebendige Allgäuer zeigt auf verschmitzte wie ehrliche Art: Auch im Land der Häuslebauer können Tonkünstler die Sau rauslassen – mit gelungenen Harp-Intermezzi, feinem Fingerpicking, kunstvoll eingearbeiteten Basslinien und bunten Melodiesträngen parallel auf den unteren Saiten.
Ein Denkmal setzt Netzer seinem Kater Willi, dem „Bärchen“, mit dem harten „Rockin' My Blues Away“. Zu dritt lassen sie dann das hymnische „Woodstock“ hochleben. Das gleichnamige Stück von Joni Mitchell, die selbst 1969 nicht mit von der Festivalpartie war, kommt überzeugend rüber. „Beim Blues singt meist nur einer, beim Gospel alle. Wer nicht mitsingt, der kommt nicht in den Himmel. Wer aber in Lahnstein die Stimme erhebt, der braucht am nächsten Sonntag nicht in die Kirche!“ Netzers schelmische Bemerkung veranlasst das Publikum beim Traditional „Jesus on the Mainline“ den Refrain „Tell him what you want“ zu intonieren, einer davon sogar lautstark und tenormäßig, dass es eine reine Freude ist, Teil der Zuhörerschaft zu sein.
Ohne Mikro und Verstärker
Bevor im Verbund weiter musiziert wird, hat Gross auch seinen Einzelauftritt. Mit der Akustischen sitzt er, ohne Mikro und Verstärker, auf der Stufe zur Bühne und weiß ein Lied vom Verlust lieber Menschen und der Traurigkeit zu singen. Nicht nur ist Gross’ Mutter, allerdings im gesegneten Alter kürzlich verstorben, auch der Tod am 1. Dezember des 85-jährigen Tom Schröder, Musikjournalist und Mitbegründer des Lahnsteiner Bluesfestivals, ist zu beklagen. Mit „Swing Low, Swing Chariot“ gedenkt Gross, was er schon auf der Beerdigung der Mutter getan hat, den von uns Gegangenen.
Zu Ehren der „großartigen Bluessängerin Bessie Smith“ stimmen die Blueser schließlich den „Backwater Blues“ an, der an Hochwasserkatastrophen im Mississippidelta erinnert, der den totalen Existenzverlust sehr vieler, oft schwarzer US-Bürger und Bürgerinnen bedeutet(e). Und als stürmisch erforderte Zugabe erklingt „Walk on“ von Brownie McGhee.
„Lasst uns jetzt gemeinsam gehen, ich werde weitergehen, bis ich den Weg zurück nach Hause finde, Hey, geh weiter“, heißt es im Text. Und so gehen die Leute und die Musiker an diesem Abend in Lahnstein sehr zufrieden nach Hause. Keep on bluesing.