Sie sind weit gereist, um in Mensfelden dabei zu sein: Ted und Wendy Besmann sind mit ihrem Sohn Elliot aus den USA gekommen, Roni Ashkenazi und ihr Sohn Noam aus Israel. Sie sind Nachfahren der Familie Besmann, die einmal in Mensfelden lebte. Von den Nazis verfolgt, drangsaliert, ermordet – nicht jeder ist ums Leben gekommen, einige haben das Land verlassen. Auch an sie erinnern nun die Stolpersteine im Bürgersteig der Sonntagstraße, die Doron Ben Yehoshua stellvertretend für Gunter Demnig verlegt. Die Nachfahren schauen zu.
Doron ist „der einzige Israeli in Hünfelden“, wie er heute sagt. Früher gab es dort eine ganze Reihe jüdischer Familien, die regen Anteil am dörflichen Leben hatten, sich in Vereinen engagierten, für ihre Heimat kämpften – wie Salomon Besmann als Soldat im Ersten Weltkrieg für Deutschland. „Nach der Machtübernahme durch die NSDAP im Januar 1933 hatte Salomon große Probleme, Käufer für sein Vieh zu finden“, schildert der Arbeitskreis jüdisches Leben in Hünfelden. Salomon Besmann erinnerte sich später aber auch an Bauern und Händler, die weiter fair, wenn auch oft heimlich, mit ihm handelten.
Anfeindungen und Angriffe nahmen zu – überall. Unter dem steigenden Verfolgungsdruck verkaufte er das Wohnhaus der Familie, das Schlachthaus und weiteren Besitz weit unter Wert. Im September 1938 wanderte das Ehepaar nach Haifa in Palästina aus.
Es gibt nicht mal mehr ein Foto
Die Familien Besmann und Rosenberg gehörten zu den alteingesessenen jüdischen Familien in Mensfelden. Von Amalie Rosenberg gibt es nicht einmal mehr ein Foto. Doch „Malchen“, wie sie selbst in amtlichen Unterlagen genannt wurde, war beliebt und geschätzt. Ernst Biebricher hatte sich im Schriftwechsel mit den Behörden für sie eingesetzt, schließlich ihr Haus gekauft. Ihm ist es zu verdanken, dass man ein lebendiges Bild von Amalie Rosenberg zeichnen kann, sagt Markus Streb. Der Historiker hat sich auf Spurensuche begeben – nicht nur in Mensfelden. Er war bei Besmanns in Israel, hat seit Jahren Kontakt zu den amerikanischen Besmanns. Ted, der Sohn von Siegfried Besmann, stellt beim Verlegen der Stolpersteine fest: „Markus Streb ist ein wunderbarer Mensch. Wir haben durch ihn noch mehr über unsere Familie gelernt, als wir wussten, weitere Cousins und Cousinen kennengelernt.“

Die Wurzeln in Deutschland interessieren Ted, Wendy und deren Sohn Elliot. Der ist 29 Jahre alt, Buchhalter und beeindruckt von der Arbeit der Hünfeldener. Die parteilose Bürgermeisterin Silvia Scheu-Menzer stellt fest: „Stolpersteine stehen als Symbol für unsere Verantwortung, eine offene, tolerante und menschliche Gesellschaft zu fördern.“ Unterstützt von Patricia Birkenfeld hat sich auch die Freiherr-vom-Stein-Schule in Dauborn mit dem Thema befasst. Die von Videto (Vielfalt, Demokratie, Toleranz) geförderten Profi-Aufnahmen dienen der Dokumentation und werden weiteren Nachfahren zeigen, was in Hünfelden passiert. Das geht Roni Ashkenazi gerade unter die Haut. Sie ist die Enkelin von Johanna „Hanni“ Besmann. Ihr Sohn Noam ist 28 Jahre alt, tief beeindruckt und bewegt („It’s very touching.“). Seine Mutter stellt fest: „Als ich so alt war wie diese Mädchen, war ich nicht so interessiert an meiner Geschichte, wie sie es sind.“
Als Markus Streb bei ihr zu Besuch in Israel war, hatte sie sich intensiv damit auseinandergesetzt, Bilder, Dokumente, Erinnerungen hervorgesucht. Seit sieben Jahren verbindet sie nun eine Freundschaft – und dieser Tag war ihnen so wichtig, dass sie nach Mensfelden gekommen sind, obwohl Noam in zwei Wochen heiraten wird. Dieser Besuch musste einfach sein.
„Es ist sehr beeindruckend“, sagt Wendy Besmann und spricht die Schülerinnen an. Coralie Oppitz, Lillija Schall, Mia Groß und Lilly Kunze sind 16 Jahre alt. Die Informationen, die sie mithilfe der Schule und des Arbeitskreises Jüdisches Leben in Hünfelden zusammengetragen und ausgewählt haben, gehen nah. Noch mehr aber ihre persönlichen Worte. „Berta Besmann hatte so viel Familie und Freunde in Mensfelden“, stellt Coralie fest. „Plötzlich ist das alles in Gefahr. Das kann man sich gar nicht vorstellen.“ Bei der Flucht musste sie alles hinter sich lassen. Markus Streb zeigt den Umstehenden das Foto dieser Frau. Lillija spricht sie in einem fiktiven Brief direkt an: „Ich finde es so bewundernswert, dass Du trotz dieser schrecklichen Erfahrungen nie Deinen wunderbaren Charakter verloren und Menschen bei Dir aufgenommen hast.“ – „Ich glaube, keiner hier kann sich vorstellen, wie es ist, von seinen ehemaligen Freunden, Nachbarn und Vertrauten gejagt, verraten und benutzt zu werden“, sagt Mia. Lilly ergänzt: „In diesem Haus wurde gemeinsam gefeiert und gelacht, wie bei jeder anderen Familie. Bis Ihr ohne Grund entmenschlicht wurdet.“
Worte wirken nach
Die Worte der Schülerinnen wirken lange nach. Beim anschließenden Gespräch im evangelischen Gemeindehaus in Mensfelden nutzen die Besucher die Gelegenheit zum Austausch und zum Kennenlernen. Die Besmanns aus den USA und Israel sind gerne dabei und waren es auch schon ein paar Tage zuvor, beim Ortsrundgang mit dem Arbeitskreis. 150 Teilnehmer waren gekommen – mit vielleicht 50 hatte man gerechnet. Die Herzlichkeit und das große Interesse bewegen sie sehr. Die jungen Leute haben sich vorgenommen, nicht still zu sein, wenn sie heute Unrecht sehen.
Käthe Eftekhari ist 76 Jahre alt. Die Kirbergerin stellt bei diesem Treffen fest: „Je älter ich werde, desto mehr wird mir bewusst, dass dieses Leid und diese Diskriminierung unvorstellbar sind. Und doch gibt es wieder solche Tendenzen. Man muss in seinem persönlichen Umfeld dagegenhalten.“